Rumänien

11.-15.05.2013 (Djerdap I) Drobeta Turnu Severin – Zimnicea

Rumänien bereitet uns keinen vergleichbaren Empfang zu Serbien. An der Grenze läuft zwar alles problemlos, aber als wir nach dem Übertritt das restliche serbische Geld wechseln wollen, ist die Wechselstube geschlossen, denn es ist Samstag. Entlang der Hauptstrasse fahren wir 13km, bis wir Drobeta Turnu Severin erreichen. Die Banken sind geöffnet, die Wechselstuben auch. Aber niemand nimmt unsere serbischen Dinar an. Wir könnten Euro, Schweizer Franken, kanadische Dollar, polnische Zloty, US – Dollar …. und vieles mehr wechseln. Aber die Währung des gerade einmal 12km entfernten (bzw. Luftlinie 2km entfernten) Nachbarlandes will keiner. Auch im Verlauf der nächsten Tage, in den anderen Städtchen und Dörfern reihen sich Banken an Wechselstuben – aber serbische Dinar werden nicht genommen. Warum? Wir verstehen es nicht, und niemand mag oder kann es uns erklären.

 

 

Unsere Route führt uns während 6 Tagen auf immer der gleichen Strasse – nachdem wir den holprigen Staudamm Djerdap I überquert haben. Ab hier ist auf der „56“ immer auch Portile de Fier II (= Djerdap II) ausgeschildert – dieser Staudamm ist jedoch nie fertig gestellt worden. Die „56“ wird zur „56a“, dann zur „56b“, im Verlauf der nächsten 300km wechselt sie ihren Namen bis hinunter zur „51a“. Uns ist die Bezeichnung egal, wir sind erstaunt über die Qualität des Strassenbelags. Während wir noch am 11. und 12.05. gegen den Wind kämpfen, erfreuen wir uns ab dem 13.05. über starken Rückenwind. Die 99.2km am Sonntag sowie die genau 100km am Montag sind wie Plauschfahrten: wenig Verkehr, gute Beschilderung, kaum Steigungen, und eben: durchgehend guter Strassenbelag sowie Rückenwind.

Die Strasse zieht sich wie ein Band von Dorf zu Dorf. Links und rechts stehen grösstenteils ausgewachsene Pappeln und Linden. Die Häuser zu beiden Seiten sind alle von Mauern und verschlossenen Toren gegenüber dem ca. 5m breiten grasigen Seitenstreifen getrennt. Wir schauen in die Seitenstrassen, die immer noch sandig, staubig und kiesig sind. Hühner, Esel, Gänse, Pferde, Kühe, Ziegen, Schafe, Katzen und … Hunde … laufen zu Hauf auf Strasse und Seitenstreifen, grasen, ruhen sich aus, rennen weg, bellen oder sind einfach da.

Fliessend Wasser gibt es anscheinend in den meisten Häusern nicht. Ca. alle 100m steht ein Brunnen, mit Dach und Eimer und Kette, ganz wie es sich gehört. Die Menschen nehmen auf Schubkarren – oder Eselskarren so viele Behälter wie möglich an diese Wasserstellen und füllen ihren Trinkwasserbedarf auf.

Im Dorf kommt uns ein Pferdewagen entgegen, ein anderer überholt uns, dazwischen ein älterer Herr mit Hut und Sense auf einem klapprigen Fahrrad. Die Kinder tragen bunte Kleider auf dem Weg von der Schule nach Hause und rufen und Ciao oder Hello zu. Je weiter wir von den verschiedenen Grenzübergängen entfernt sind, je näher wir ans Schwarze Meer kommen, desto überschwänglicher werden wir begrüsst und verabschiedet. „Drum bun“ (gute Reise) hallt in jedem Ort hinter uns her.

Wir haben uns eine Mückenspraydose gekauft. Das hat uns in Calafat ein weitgereister Rumäne empfohlen – um die streunenden Hunde abzuwehren. Vielleicht nicht ganz die feine Art, aber Pfefferspray bekommen wir nicht, und mit einem Stock auf dem Fahrrad fährt es sich auch nicht leicht. Die Hunde sind eine üble Plage, die meisten ohne Halsband, entweder sehr unterwürfig – oder eben aggressiv. Schon nach dem ersten Kilometer auf der stark befahrenen „56“ hatten wir unser Schockerlebnis. Für uns unerwartet kamen zwei Köter hinter den Rädern hergerannt und bellten und kläfften und schienen jeden Moment in unsere mittlerweile recht strammen Waden beissen zu wollen.

Seither haben wir festgestellt, dass doch mehr als ¾ der Hunde eher ruhig liegen bleiben, oder uns sogar aus dem Weg gehen. Dennoch: die Angst sitzt tief.

Wir sind am A… der Welt angekommen. Die genannte Strasse verbindet zwar die Dörfer, dennoch versetzt uns das Leben fast 50 Jahre zurück. Ackerbau wird mit Muskelkraft betrieben, ich sehe zum ersten Mal bewusst auf fast jedem Feld Pferde, die einen Pflug hinter sich her ziehen, am Abend gehen die Bauern und Bäuerinnen nach einem anstrengenden Arbeitstag alle mit dem gleichen landwirtschaftlichen Instrument – ein Art Hacke – über der Schulter nach Hause. Traktoren – was ist das?

Und Hotels/Pensionen/Gasthäuser? Alle 100km gibt es mal eine Unterkunft.

So haben wir unsere erste Nacht in Rumänien im Zelt verbracht, auf der Wiese hinter dem Haus von Chrissi. Er hat uns in Burila Mare aufgegabelt, spricht nur Rumänisch und trägt ein deutsches Faustball-Shirt. Die Wiese ist mehrheitlich uneben, wir entdecken einen geraden Flecken unweit seines weissen Pferdes. Vor dem Haus ist ein Mäuerchen auf dem wir unser Abendessen zubereiten, während Chrissi noch mal ins Dorf fährt. Zurück kommt er mit seinem Freund – und einer kleinen Flasche selbstgebranntem (?) Schnaps. Der Fernseher wird auf die Brüstung des altersschwachen Balkons gestellt, Hunde und Hühner laufen um uns herum, das Essen schmeckt gut, der Schnaps tatsächlich auch und geredet wird mit Händen und Füssen, während irgendein Actionfilm für die Hintergrundgeräusche sorgt.

 

16.-19.05.2013 Abstecher nach Bulgarien

Zimnicea (RO), Ruse (BG), Tutrakan (BG), Silistra  (BG)

Hunde – wir betonen es nochmals – sind in Rumänien eine Plage.

Die Strecke nördlich entlang der Donau durch Rumänien bis nach Giurgiu war eher langweilig, ein Dorf ähnelt dem anderen, die Strasse ist mittelmässig gut, die Menschen winken, die Kinder spielen mit uns „Tour de France“, stellen sich am Wegesrand auf und klatschen mit unseren Händen zusammen, rufen „Autogramm“. Auch wenn wir nur sehr wenige andere Tourenradler sehen (insgesamt 3, seit wir in Rumänien sind), scheinen wir keinen wirklich ungewohnten Anblick zu bieten. Schon die ganz kleinen – ca. 3-jährigen – rufen „hello, hello“.

Und mehrmals sind uns heute die Hunde kläffend hinterher gerannt!

Hunde – wir betonen es nochmals – sind in Rumänien eine Plage.

Wir haben geplant, über die „Brücke der Freundschaft“ von Giurgiu nach Ruse, also von Rumänien nach Bulgarien einzureisen, nur für die Übernachtung, um am nächsten Tag zurück und nördlich der Donau zu reisen. Leichter gesagt als getan. Entweder ist die Freundschaft so gross, dass man als guter Rumäne die Brücke „einfach im Blut“ hat, oder aber mit der Freundschaft ist nicht viel los. Jedenfalls fahren wir verzweifelt durch das halbverlassene und sehr kommunistisch wirkende Städtchen und finden den Weg nicht – es gibt keine Schilder, die zur Grenze oder zur Brücke zeigen.

Endlich haben wir eine halbwegs taugliche Wegbeschreibung von einem Passanten erhalten, da stürmt von einem verlassenen Fabrikgelände – ungelogen – ein Rudel von ca. 10 grossen Hunden kläffend auf uns zu. Wir ändern die Richtung …. und befinden uns schon wieder im Zentrum der Stadt. Nun müssen wir einen neuen Weg finden.

Hunde – wir betonen es nochmals – sind in Rumänien eine Plage.

Die Brücke der Freundschaft, die Grenze, der Zoll. Hmmm. Nachdem wir den Weg gefunden haben, sind wir uns trotzdem nicht ganz sicher, ob alles so stimmt. Das Gelände liegt verlassen, die Strasse hat riesige Schlaglöcher, einzig ein paar LKWs stehen auf den grasbewachsenen Betonplatten in der Nähe irgendwelcher Buden, die wohl den Zoll darstellen sollen. Und – wie sollte es anders sein – überall tummeln sich herrenlose Hunde. Zum Glück sind sie hier nicht so angriffig.

Hunde – wir betonen es nochmals – sind in Rumänien eine Plage, in Bulgarien jedoch nicht!

Wir fühlen uns nicht gerade auf Anhieb wohl, auf der anderen Donauseite. Eine eher mittelmässige Strasse entlang verlassener Fabriken führt nach Ruse hinein. Dann aber erinnert uns vieles an Serbien – und wir atmen auf. Cafés an jeder Strassenecke – und entlang der Strassen. Die Menschen sind fröhlich und ausgelassen, schlecken Eiscreme, fahren Rollerblades oder Fahrrad, machen alles in allem einen deutlich moderneren Eindruck als die Menschen in Südrumänien.

Und die Hunde – sind endlich keine Plage mehr.

Südlich von Ruse befindet sich der Naturpark Rusenski Lom, der neben einer Vielfalt verschiedener Tiere und Pflanzen auch mittelalterliche Felsenkirchen beherbergt. Das Felsenkloster bei Basarbovo ist in diesem Gebiet das einzige, das noch genutzt wird. Insgesamt leben 5 Mönche dort. Selbstversorger, wie es scheint, denn als wir mit unserem Taxifahrer dort ankommen, haben einige Hühner gerade unter dem Messer eines langhaarigen, bärtigen, mit dunkler Kutte bekleideten und ausgesprochen gut aussehenden Mannes ihre Köpfe verloren. Die Kirchen, die Schlafräume, die Andachtsräume sowie das Grab des Heiligen Dimitrii Basarbovski sind in natürlichen Höhlen im Fels untergebracht; zusätzlich sind Wände und ein Kirchturm gebaut – ebenso wie ein „Hafen“ und eine „Fähre“ über die Lom, den Fluss, der sich durch das gesamte Tal windet.

Hier in Ruse haben wir nicht den gleichen Fehler gemacht, wie in Novi Sad. Dort wollten wir ja mehrere Klöster in der Vojvodina anschauen. Wir haben uns damals für „ö.V.“ (öffentlichen Verkehr“) entschieden und somit die Möglichkeit erhalten, 1 (ein !) Kloster anzuschauen. Das nächste wäre 10km entfernt gewesen und es gab keine weiteren Busse.

Im Rusenski Lom wäre es uns genauso gegangen, wenn wir nicht in der Touristeninfo ein Taxi für einen fairen Preis bestellt hätten. Es gibt keinen ö.V. zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Region. Unser Taxifahrer ist ein wirklich knuffeliger Kerl, mit dem wir dann noch das Kloster in Ivanovo angeschaut haben und zuletzt noch die Ausgrabungen der mittelalterlichen Stadt Cherven.

Der Ruhetag in Ruse, mit einer guten Unterkunft im „English Guesthouse“, dem Ausflug in den Park und gutem Essen in der belebten Stadt hat uns gut getan. Die rumänischen Hunde gingen uns dennoch nicht aus dem Kopf und so haben wir uns spontan entschieden, für die kommenden 2 Tage weiterhin in Bulgarien zu reisen. Silistra heisst das Ziel, ab dann sind es noch ca. 5 Tage bis Tulcea und weiter 5 Tage (inklusive Ruhetage) bis Constanta. Rumänien, wir kommen wieder. Aber erst am 20.05.2013.

Also sind wir durch Bulgarien gefahren – nein, gerast. Die „21“ ist gut ausgebaut, für Autos vignettenpflichtig und die kommenden 72km laufen wie am Schnürchen. Tutrakan ist irgendwie … kommunistisch… gepflegt …. verlassen … nett … ursprünglich … alt … Das angeblich Denkmal -geschützte Fischerdorf finden wir entweder nicht, oder aber wir befinden uns mittendrin und realisieren es nicht.

Am nächsten Tag erreichen wir Silistra, die Grenzstadt zu Rumänien. Es ist der 19.05. und Pfingstsonntag, wovon wir im orthodoxen Osteuropa aber nichts merken. Diese Tagestour haben wir uns hart erkämpfen müssen, auf teils sehr schlechten Wegen durch hügelige Landschaft bei sonnig-heissem Wetter.

Nun bereiten wir uns körperlich, geistig und seelisch auf die Wiedereinreise nach Rumänien vor. Hunde, habt Acht, wir kommen!

 

20.05. – 24.05.2013, Silistra (BG) – Ion Corvin – Hirsova – Macin – Tulcea

Bald schon, irgendwo hier, beginnt das Delta. Der Begriff „Flussdelta“ weckt ganz spezifische Vorstellungen bei mir. Mücken, Vögel, weit, feucht, flach.

Mücken: stimmt. Wir haben mittlerweile das eine oder andere rotgefärbte, runde und leicht erhabene „Tattoo“ auf unserem Körper.

Vögel: stimmt auch. Störche auf fast jedem Strommast, Reiher auf den Wiesen, Gänse auf den Strassen, Schwäne in den Seen und mir unbekannte Vögel in den schroffen sandig-lehmigen Hügeln. Und natürlich Schwalben, Schwalben, Schwalben – die sehr tief fliegen aber trotzdem der Mückenscharen nicht Herr werden.

Feucht: richtig! Nicht nur Fluss, Seen, Teiche und sumpfige Gebiete. Nein, das Wasser kommt seit 2 Tagen auch von oben.

Weit ist auch nicht ganz falsch, immerhin sind wir von Silistra bis Tulcea über 300km geradelt und von hier sind es noch einmal 72km per Fähre durch’s Delta nach Sulina am Schwarzen Meer.

Aber flach … ich weiss nicht, wer mir diesen Floh ins Ohr gesetzt hat. Auf unserer gesamten über 3000km langen Fahrradtour sind wir nur im Schwarzwald solchen Steigungen wie hier im (Vor-)Delta begegnet.

Dafür aber ist die Landschaft einzigartig schön und abwechslungsreich. Weinberge, Obstplantagen, fast schon alpin anmutende Hügelkulisse, kleine Dörfer. Die Dörfer hier im Osten Rumäniens sind ganz anders als die am Nordufer der Donau zwischen Djerdap I und Giurgiu. Wir fühlen uns eher an Bulgarien erinnert, alles ist ordentlicher und „zivilisierter“. Wir sehen vermehrt auch Traktoren, obwohl die Pferdewagen immer noch allgegenwärtig sind und auf den Feldern Heerscharen von Bauern weiterhin Handarbeit verrichten. Es gibt kein grosses „Hallodri“ mehr, wenn wir durch die Strassen fahren, die Hautfarbe, die Ethnie, haben sich geändert. Wir sehen viele blonde Menschen, kleine Mädchen, die auch in Dänemark nicht auffallen würden („Ida“ … Anm. d. Red.) und immer weniger Romas. Aber immer noch hören wir von der schlechten wirtschaftlichen Situation; die Pensionen und Hotels, die noch im 2010 erschienenen Radführer erwähnt werden, sind geschlossen und verwahrlosen, auf weiten Strecken gibt es keine einzige Unterkunft.

So wird der erste Reisetag nach der Abzweigung Richtung Norden zum bisher anstrengendsten in unserer Reisegeschichte. Keine Ahnung, wie viele Höhenmeter wir bergauf und wieder bergab gefahren sind, aber nach 73km wollten wir einkehren – geschlossen. Weitere 10km war ein Hotel ausgeschildert – verlassen! Und so mussten wir die 100km voll machen und bis nach Hirsova auf der Hauptstrasse fahren um in einem schäbigen „Truckstopp“ mit entsprechendem Klientel zu nächtigen.

Am Folgetag sind wir müde gestartet und nach 93km sowie unzähligen muskelzehrenden Steigungen vor dem geöffneten (!) Hotel angekommen. „Sorry, full!“ war die einzige Antwort, danach nur Schweigen. Kopfschütteln, es gebe kein anderes Hotel in der Stadt; Kopfschütteln, er kenne niemanden, der ein Zimmer vermiete. UND JETZT? Werner und Margrit, auf dem gleichen Weg wie wir (62/56, Österreicher jedoch wohnhaft in der Nähe von Münster), hatten Glück und eine Privatperson hat ihnen ein schäbiges Zimmer überlassen. Wir haben uns schon mit dem Gedanken abgefunden, einen Umweg zu fahren in die nächste grössere Stadt, da hat die nette runde Bäckerin im – an düstere kommunistische Zeiten erinnernden – Verkaufsstand uns doch noch ein Hotel organisieren können. Gar nicht so schlecht, im Gegenteil: die Dusche hatte seitliche Spritzdüsen und eine „Regenwaldbrause“, theoretisch hätten wir noch Radio unter der Dusche hören können. Nur der Abfluss funktionierte hier – wie fast überall in Rumänien – nicht richtig.

Die Strecke am nächsten Tag, ans Fahrradziel Tulcea, war durchwachsen in jeder Hinsicht. Gewitter, Regen, Sonnenschein, Kälte, Hitze, und Gegenwind. Bergauf/bergab, gerade Strecken, „gottverlassene“ Gegenden, kleine Dörfer, Industriegebiete und Gegenwind.

Und dann Tulcea, nicht gerade ein architektonisches Highlight, aber immerhin ganz o.k. mit Plattenbau – Uferpromenade, kleinen Kneipen – und in einer Kneipe: Werner. Mit ihm und Margrit sind wir dann Essen gegangen, haben uns über Gott und die Welt übers Reisen und zu Hause sein unterhalten und gemeinsam 1.5l Hauswein getrunken.

Das konnten wir uns leisten, denn der nächste Tag, der 24.05.13, stand ganz im Zeichen der Ruhe. In Ruhe aufstehen, in Ruhe frühstücken, in Ruhe dem Regen zuschauen, in Ruhe die Touri-Info aufsuchen, in Ruhe die nächsten Tage planen, in Ruhe lesen, in Ruhe schreiben, in Ruhe Mittagsschlaf halten, ….. in Ruhe ….

 

25.-29.05.2013, Delta Dunarii

Crisan, Sulina, Tulcea

Es ist nicht ganz einfach, eine Tour durch’s Delta vor Ort und ohne Rumänisch-Kenntnisse zu planen. Es scheint, als habe der Kommunismus noch die eine oder andere Nachwehe, der Dienst am Kunden ist mittelprächtig und der Kunde muss den Anbieter suchen – nicht umgekehrt.

Natürlich sind an der Uferpromenade verschiedene Schifffahrtsgesellschaften, die unterschiedlichste Routen anbieten. Aber eben, am Rumänisch hapert es. In der Touri – Info erhält man tatsächlich einige wenige Informationen wie man von wo nach wo kommt … aber organisieren muss man alles selber, und dafür müssen wir den Uferweg „nach dort hinten entlang gehen“. Solche präzise Wegbeschreibungen sind uns schon auf der ganzen Radreise begegnet.

Aufgrund der Erzählung im ziemlich guten Donau – Reiseführer von Dumont wollen wir nach Crisan, 2/3 des Wegs im Kanal nach Sulina. Dort angekommen sehen wir eine Zeile Häuser. Wie wir gelesen haben: 7km entlang des Kanals 1 Häusezeile, kein eigentliches Dorfzentrum aber ein interessantes Delta- Informations- Gebäude – welches, wie wir erfahren, im Moment renoviert wird und geschlossen ist.

Die von uns auserkorene Pension ist voll: 14 Deutsche … wo kommen die nur schon wieder her? Das scheint irgendein ornithologischer Verein zu sein, den Kamera-Taschen, Ferngläsern – und dem Alter nach – zu urteilen.

Florin – von der Pension – hilft uns aber freundlicherweise und bring uns zu … Florin … seinem Freund. Dort erhalten wir ein schönes Zimmer, komplette Gartenmitbenutzung und Halbpension zu einem vernünftigen (jedoch leicht höher als erwarteten) Preis. Ausserdem können wir mit Florin, „dem Zweiten“, am folgenden Tag das Delta erkunden.

Die 4-stündige Kahnfahrt bringt uns gemächlich und mit leisem Motor durch grosse Kanäle, kleine Kanäle und Wasserwege, die für uns als solche gar nicht erkenntlich sind, wo wir uns tief bücken müssen um keinen Ast an den Kopf zu bekommen. Wir sind von roten, grünen und wunderschön glänzend blauen Libellen umgeben, die im hohen Schilf ihren Liebestanz tanzen, wir fühlen uns wie von Feen umgeben, die Frösche singen dazu ein Lied und springen von Blatt zu Blatt, plumpsen lautstark ins Wasser. Zwischendurch überqueren wir einen grossen See, auf dem Pelikane schwimmen, Kormorane tauchen und Albatrosse ihre Landung üben. Dann wieder unendliche Inseln aus gelben Seerosen und den wunderschönen, fast perfekten weissen Seerosen. Kurze Mittagspause in „Mila 23“, einem Lipowanerdorf, das leider überhaupt keinen Charme versprüht. In der Bar sitzen ein paar einsame Herzen um einen „Einarmigen Banditen“, die junge Kellnerin ist topmodern gekleidet – und wenig kundenorientiert. Im Dorf gibt es viele Pensionen, aber es ist noch Nebensaison. Die kleine Kirche liegt einsam und verlassen hinter einem total vermüllten Teich. Schade, eigentlich.

Dennoch haben wir unseren Ausflug sehr genossen, ebenso wie das wunderbare Essen von Virginica und die Spaziergänge entlang des Kanalufers – immer der gleiche Weg, hin und her, und her und hin.

Den nächsten Vormittag verbringen wir erneut mit Spazierengehen entlang der einen Häuserzeile  und warten auf das Schnellboot, welches uns nach Sulina bringt.

Sulina ist der östlichste Zipfel von Rumänien – hat aber nur unwesentlich mehr für uns zu bieten, als Crisan. Wir finden die im Lonely Planet als „our pick“ angegebene Pension Ana und werden von einem laut bellenden aber angeleinten und ansonsten recht freundlichen Hund begrüsst. Dann geht im ersten Stock eine Türe auf und ein „Hutzelweib“ – anders kann man es gar nicht nennen – schaut heraus. Sie ruft „immediat“ – also: sofort – und verschwindet wieder. Wir warten also auf Ana, bis wir feststellen, dass Ana eben diese ältere Frau mit einem Rücken im 90°-Winkel und zwei Krücken ist. Sie zeigt uns das Zimmer und wir sind’s zufrieden; vor allem bei dem Preis von 70Lei (= 18Euro). Und jetzt … mmh… die Touristeninformation hat montags geschlossen – und es ist Montag. Am kommenden Morgen soll sie um 8:00Uhr wieder öffnen, doch als wir um 9:00Uhr (und später am Tag um 14:00Uhr) dort vorbei kommen, hat sich noch nichts getan.

Unsere erste Aktion – am Montag – ist, ENDLICH das Schwarze Meer zu sehen! Wir gehen zu Fuss, vorbei an der Orthodoxen Kirche, die aktuell restauriert wird und innen zwar schön ist aber sehr modrig riecht. Vorbei am alten Leuchtturm, der mittlerweile einige Kilometer vom Meer entfernt liegt, weiter zum alten Friedhof. Dort entdecken wir zwar nur die orthodoxen und anglikanischen Gräber, dafür aber teilweise welche von 1850. Um durch den Hintereingang wieder heraus zu kommen – der Ein- bzw. Ausgang Richtung Strand – müssen wir über’s versperrte Tor klettern; das kümmert niemanden. Und endlich, da ist es, das lang ersehnte grosse Schwarze Meer. Der Strand liegt verlassen, keine Menschenseele ausser uns. Wir halten die Hände ins Wasser (zu kalt zum Schwimmen) und beglückwünschen uns zum Ende unserer ersten Etappe.

Am Dienstagmorgen – wie gesagt, die Touri-Info ist geschlossen – finden wir einen Fischer, der uns erneut durch’s Delta fährt. Die Tour ist lange nicht so schön, wie die erste. Dennoch: wir fahren unter anderem bis zur Mündung des Sulina-Kanals (also der Donau) ins Schwarze Meer. Dort am neuen Leuchtturm, genau dort ist die Donau zu Ende. Von der Quelle bis zur Mündung … ein Supergefühl.

Noch ist Nebensaison, noch läuft nicht viel in Sulina, in Crisan, in Mila 23 oder in Tulcea. Im Delta liegen die Touristenboote vor Anker, die Kneipen sind geschlossen, in den Restaurants gibt es eine kleine Auswahl an Gerichten. Die wenigen Touristen müssen sich entweder selber um ihre Ausflüge kümmern, lange suchen und genau wissen, was sie wollen – oder schon im Vorfeld ein Pauschalangebot gebucht haben. Uns hat das Delta ordentlich heruntergebremst. Wir haben viel geschlafen und wenig erlebt. Auch das tut zwischendurch einmal gut. Dennoch sind wir froh, als wir am Mittwoch, 29.05.2013 um 6:45Uhr vom Pier ablegen und um 8:10Uhr wieder in Tulcea ankommen.

 

29.05.-01.06.2013, Tulcea – Constanta

Die Fahrräder stehen am Bahnhof, gut eingeschlossen für wenig Geld, wir kommen mit unseren Rucksäcken aus Sulina am frühen Morgen an.

Roman: auspacken, umpacken, einpacken, aufpacken, losfahren.

Angela: ein wenig auspacken, oh, was ist denn das?, Landkarte studieren, diskutieren, ein wenig einpacken, wieder umpacken, lesen, trinken, aufpacken, Sonnencreme, … jetzt bin ich auch fertig.

Um 10:00Uhr – eigentlich eine vernünftige Zeit – sind wir wieder unterwegs – und es tut sooo gut!

Jedoch, leider: Hügel und Gegenwind. Der Wind scheint sich einfach gegen uns verschworen zu haben. Egal in welche Richtung wir fahren, Osten, Norden oder Süden, er weht (fast) immer in die falsche Richtung, und dann nicht zu knapp. Aber wir „kämpfen“, jetzt noch mit Freude, das Ziel heisst Jurilovca. Auf dem Weg dorthin sind wir erstaunt. Diese Region wirkt ganz anders, als das übrige Rumänien, das wir gesehen haben. Gepflegter, ordentlicher und mit mehr Infrastruktur. Ausserdem sehen wir zum ersten Mal in diesem Land Windräder in unzählbarer Menge. Das macht auch Sinn, wenn der Wind immer so fegt, wie heute…

Der Ort Sarichioi ist in kyrillisch angeschrieben, es gibt einen Detskii sad (Kindergarten) und als wir in die Gesichter der Anwohner schauen, dämmert es uns. Hier wohnen Lipowaner, Auswanderer aus dem alten Russland. Erstaunlich, wie die Gesichter der Menschen auch das Gesicht einer Ortschaft beeinflussen.

In der Pension Heracleea in Jurilovca essen wir ein köstliches Abendessen unter dem Bärenfell. Die gesamte Gaststube ist mit ausgestopften Tieren gefüllt, mittendrin hängt auch noch Jesus am Kreuz. Der Bibelspruch an der Pinwand unseres engen Zimmers ist fest installiert, lässt sich nicht bewegen. Dafür wackelt der Wasserhahn beim Aufdrehen des Wassers, der Vorhang hält nur noch an einer Stelle, die Jacken dürfen wir nicht an der Garderobe aufhängen, sonst kommt sie uns entgegen und die Matratzen im Doppelbett haben zwei verschiedene Höhen. Die Duschtüre rechts hängt schief und wir können aus dem Bad herausschwimmen, da der Abfluss verstopft ist. Aber ansonsten gefällt es uns gut, zwischen einem übergewichtigen riesigen Schäferhund und einer bettelnden rattengrossen „Töle“.

Wie wird das Wetter wohl heute, Donnerstag? Wir sitzen wieder auf den Rädern, es ist bewölkt, das Ziel ist jedoch ein Zeltplatz in Mamaia, direkt am Schwarzen Meer. Hier tanzt ab nächster Woche der Bär (Saisonbeginn), ein Hotel steht neben dem anderen, und das auf einer Strecke von über 15km, bis hinein nach Constanta. Dies ist das „Naherholungsgebiet“ der Stadt, die Landzunge zwischen einem Süsswassersee und dem Meer nur wenige hundert Meter breit, die Strände sind toll. Einfach die Strasse ist nervig und wird voller und gefährlicher, je näher wir der Stadt kommen.

Auf dem Zeltplatz treffen wir erstaunlicherweise einen Holländer wieder, den wir vor ca. 6 Wochen schon in Komarno gesprochen haben. Er ist ca. 65-jährig, mit Van unterwegs und hat sein Hobby zum Tagesgeschäft gemacht. Er fotografiert …. Schiffe. Seit einem Monat hält er sich in Mamaia auf, mit Kamera und Laptop ausgestattet und fährt täglich zum Donau-Schwarzmeer-Kanal um dort, eben, die Schiffe zu fotografieren. Er habe 30‘000 Fotos auf seiner Website; begeistert drückt er uns seine Visitenkarte in die Hand. Leider, leider, verstehen wir kein Niederländisch und kommen auf der Website nicht zurecht; zu gerne hätten wir jedes einzelne Schiff angeschaut!

Vom Zeltplatz bis Constanta ist es nicht mehr weit, wir quartieren uns in dem vom lonely-planet empfohlenen, preiswerten Hotel im Zentrum ein. Hier ist die Zeit stillgestanden, Ceausescu hat bestimmt auch schon in einem dieser Zimmer übernachtet, die Löcher im Treppenläufer stammen von seinen Schuhsohlen, und auch damals hat es sicher 15min gedauert, bis das Wasser unter der vorhanglosen Dusche handwarm wurde.

12km weit sind wir heute gefahren, dann noch einmal 6km quer durch die ganze Stadt, auf der Suche nach einem Fahrradgeschäft. Roman ist gestern eine Speiche im Hinterrad gebrochen. Wir haben zwar Ersatz dabei, trauen uns aber (noch) nicht, die Reparatur selber vorzunehmen. Niemand fährt Rad, in Rumänien, so scheint es. Ausserhalb der Stadt finden wir nach mehreren Wegbeschreibungen ein Fahrrad- und Mofa-Geschäft, zeigen unser Problem und …. So etwas machen sie hier nicht. Es ist zum Verzweifeln! Aber, zum Glück, werden wir weiterverwiesen und landen in der Nähe des Bahnhofs, und somit dann auch in der Nähe des Hotels, in einer kleinen aber hochprofessionellen Fahrradwerkstatt. Es ist eine wahre Freude, dem jungen Burschen beim Handwerk zuzusehen. Wir lassen zeitgleich noch unsere Bremsen nachziehen (könnten wir ja auch selber, aber ….) und Roman muss seine Kette auswechseln. Einmal „waschen, legen, föhnen“, bitte, und die Weiterfahrt läuft wie geschmiert.

Constanta war für uns ein Stopp, um Erledigungen zu machen: Veloreparatur, Planung der weiteren Route, Organisation für Istanbul. Wir haben wenig erwartet und waren umso erstaunter, eine sehr schöne Hafenpromenade vorzufinden, viele Restaurants und Kneipen, Clubs und Tanzlokale. Auch scheint es, als werden die EU – Gelder endlich für die Verschönerung des Stadtbildes ausgegeben; die Tafeln mit den im Kreis angeordneten gelben Sternen auf blauem Grund erzählen zumindest davon. Wir sehen jedoch im Zentrum leider weiterhin baufällige, einsturzgefährdete Häuser, Bürgersteige, die diesen Namen nicht verdient haben und aufgerissene Strassen mit tiefen Löchern, notdürftig gekennzeichnet. Falls die Bauarbeiten in Constanta so fortschreiten, wie es angekündigt ist, kann diese Stadt in wenigen Jahren zu einem kleinen Schmuckstück werden. Das Potential ist zumindest gegeben.