Indien 2011

Onions for sale – Zero Rupee

Chowpatty Beach, Marine Drive, Malabar Hills, Crawfort Market, Colaba Causway, Victoria Station, Haji Ali, Nariman Point – Namen, die einem Mumbai-Liebhaber wie honigsüsser und würziger Masala Chai über die Lippen fliessen. Kratzt man den Lack dieser faszinierend fremden Bezeichnungen weg, so blickt man sprachlos auf ein unendliches Netz verstopfter Strassen, geschäftiger Verkaufsbuden und Millionen von Menschen. Die Megapolis scheint rund um die Uhr zu pulsieren, zieht an, spuckt aus, reibt sich im Innern, schwitzt, dampft, ächzt, glänzt, betört, erschreckt und hämmert jedem noch so apathischen Lebewesen Energie ein.

 

Es ist Abend. Der Duft frischer Guaven findet den beschwerlichen Weg durch mörderische Abgaswolken, lässt die Nase vibrieren. Kurz darauf schleppt sich ein alter, mit frischem Fisch beladener Lastwagen in die Innenstadt und hinterlässt einer Schnitzeljagd gleich schleimig stinkige Spuren auf dem Asphalt. Über dem Eingang des Regal Cinemas flackert die Leuchtschrift zusammen mit den Insekten um die Wette. Die Neonröhne des „R“ ist im Nirvana entschwunden, scheint nicht mehr wiedergeboren werden zu dürfen – „egal“-Cinema.

Die Firma Rajkumar & Sons Ltd. wirbt handgemalt an einer musealen Holztür für Assam Tee (…because only our Assam Tea is real tea), an der schiefen Strassenlaterne ein verbleichtes Plakat des „Empire Circus“. Wände, die Geschichtenerzähler einer Stadt. Verziert, verschmiert, verzaubert. Strassenschilder und Zeichnungen lassen erahnen, geben Hinweise, führen in die Irre. Stundenlanges lesen von Wänden und dennoch scheint das Verstehen eine Unmöglichkeit.

Meine Uhr zeigt Mitternacht, während der Zeiger des viktorianischen Clocktowers seit Tagen, störrisch wie eine indische Kuh darauf wartet, die nächste Minutenhürde zu erreichen. Familien legen sich auf flach gedrückten Kartonschachteln auf den Gehsteigen schlafen. Landflüchtlinge sitzen auf den einsamen Verkaufsständen und blicken müde ins Leere. Durch das kleine Glasfenster einer Dance Bar strahlt rotes Licht auf der Suche nach Testosteron. Der Moloch wird ruhiger, irgendwie trauriger, jetzt wird der Besucher gezwungen hinzusehen, sich mit der Ungerechtigkeit zu konfrontieren.

Unsere Bestellung im namenlosen Strassenrestaurant wird aufgetragen. Paneer Bhurji, Channa Masala, dazu einige Chapatibrote, welche kurz zuvor von einem heiter singenden Angestellten im Sekundentakt zum Backen auf eine feurig heisse Metallkuppel geworfen wurden. Duzende von hungrigen Mäulern wollen befriedigt werden, kein Gast wird im Getümmel um Kalorien vergessen und die Gewürze scheinen die Hektik ins Unermessliche anzutreiben. Zwiebeln, Limechutney und Wasser in einem Alubecher werden gereicht. Mahendra Singh unser stolzer Tischnachbar mit rotem Turban und langem Bart blickt uns an und meint: „Do you like onions?“ Ohne unsere Antwort abzuwarten greift er sich gierig unseren Teller und stopft sich die Zwiebelringe genüsslich in den Mund. Onions for sale – zero rupee!