Kambodscha 1

05.-16.02.2014, Steung Treng – Koh Preah – Kratie – Koh Pdao – Phnom Penh

Seit über einer Woche sind wir in Kambodscha und haben schon so einiges zu erzählen.
Da wäre zum Beispiel der Grenzübertritt. Oder der Mekong Discovery Trail. Oder die Seidenfabrik. Oder die rote, fallende Sonne. Oder die Busfahrten, das Essen, die Menschen.
Ihr wollt mehr wissen? Also gut:
Die Busreise von Champassak nach Steung Treng war „voll durchorganisiert“ und dementsprechend teuer. Um 8:15Uhr fuhr das Boot auf die andere Mekongseite. Dort mussten wir warten, ca. 45min. Dann kam ein Minivan, vollgestopft, der uns zur Grenze fuhr. Dort – ohje – herrscht Korruption. Wenn man so will, ist es für den einzelnen Touristen „nur“ Korruption im kleinen Stil. Aber da geschätzte 300 Touristen pro Tag diese Grenze passieren, ist es doch wieder Korruption im grossen Stil – Transparency International reicht leider noch nicht bis hierher.

 

Für den Ausreisestempel aus Laos muss jeder Tourist 2 US-Dollar bezahlen. Ohne Geld kein Stempel. O.k., dann gehen wir halt ohne Ausreisestempel. Das Visum für Kambodscha ist kein Problem, nur den Einreisstempel erhalten wir erst, wenn wir den Ausreisestempel von Laos für 2 US-Dollar gekauft haben …. Wie wir mitbekommen, läuft das gleiche Spielchen für Touristen, die aus Kambodscha nach Laos reisen. Ausserdem gibt es noch einen „medizinischen Check-up“ bestehend aus einmal Fiebermessen mit „Messpistole“ und dem Ausfüllen eines Formulars, das von niemandem beachtet wird. Kostenpunkt: 1US-Dollar pro Tourist. So wird man reich!

Kambodscha steht bezüglich Korruption auf Platz 168 von 180 beobachteten Ländern, und damit sind wir also schon in den allerersten Minuten konfrontiert worden.

Nach diesem Einstieg in unser zweites südostasiatisches Land war unsere Laune eher unterdurchschnittlich. Aber das hat sich schnell gelegt: Wir haben in Steung Treng ein hübsches Hotel gefunden direkt am Sekong (!) und mitten im Stadtzentrum mit grossen Zimmern und guten Betten – und kaltem Duschwasser. Das Gebäude ist ganz im französischen Kolonial-Stil gehalten mit grossem luftigem Speisesaal im Erdgeschoss.

Steung Treng ist eine chaotische Kleinstadt. Wenige befestigte Strassen, meist Schotterwege, ein grosser Markt im Zentrum auf dem es brutzelt, zischt und stinkt,
Entlang des Sekongs gibt es eine kleine „Promenade“ mit Strassenküchen und Plastikstühlen. Hier eine der riesiggrossen unreifen Kokosnüsse mit Strohhalm leerschlürfen – das ist ein Genuss!

In Steung Treng beginnt der Mekong – Discovery – Trail. Ein gut durchdachtes Tourismusprojekt mit gutem Kartenmaterial und sehr guten Informationen sowohl an der Touri-Info als auch beim privaten Fahrradverleih „Xplore Asia“.
Wir entscheiden uns für 2 gut gewartete Mountain-bikes, die wir am ersten Tag in der näheren Umgebung testen. Nördlich von Steung Treng befindet sich die Seidenfabrik …… Hier wird Frauen in prekären Situationen die Gelegenheit zur Arbeit, Weiterbildung und Ruhe geboten. Eine kleine Oase der zufriedenen Tätigkeit mit einer schattigen Veranda und lärmendem Kindergarten. Zum wiederholten Mal schauen wir uns an, wie aus den Ausscheidungen vieler kleiner Raupen ein wunderschöner Seidenschal wird. Zum ersten Mal aber sehen wir wie die kleinen Raupen sich zu Hauf durch Maulbeerbaumblätter fressen, und dass es neben den üblichen weissen Kokons auch safrangelbe Kokons gibt.

Wir fahren weiter, über die neue Brücke des Sekongs und bis zum Zusammenfluss von Mekong und Sekong. Wassermassen um uns herum. Hier spürt und sieht man, dass diese beiden Flüsse Teile der Lebensadern Südostasiens sind. Fischer werfen von Booten ihre Netze aus, am Ufer wachsen Kokospalmen, riesige Mangobäume und noch grössere Milchfrucht-Bäume. Zwischen Zuckerrohr stehen Mais und Bananen und auf den niedrigen Beeten wachsen Rüben, Salat und Kräuter. An den Ufern wälzen sich Wasserbüffel mit ihren gewaltigen Hörnern und gutmütigen Gesichtern im Matsch, laufen danach glänzend und zufrieden zurück auf die Weide.
Der Weg ist schmal, hier fahren keine Autos, es ist schattig und leicht schwül. Wir bewundern immer wieder die Häuser auf Stelzen, die fröhlichen Gesichter und die ruhige Gelassenheit der Menschen. Sieht so das Paradies aus?

Ab spätestens 13:00Uhr wird es heiss, wir kehren um ins Hotel, faulenzen wie die Einheimischen bis es dann um 16:00Uhr wieder etwas angenehmer wird. Die Sonne verschwindet täglich fast pünktlich um 18:00Uhr in den Wassern des Mekongs – das Schauspiel lassen wir uns auch hier nicht entgehen – und wir sind nicht die einzigen. Zwei Väter, jeweils mit 2 Kindern, sind auf ihren Motorrollern an den „Sunsetpoint“ gefahren, beobachten wie gelb zu orange wird, danach zu rot und schliesslich die Dämmerung einsetzt.

Früh am nächsten Morgen brechen wir auf zu unserer Fahrradtour. Jawohl, es geht nun ca. 50km gen Süden, auf Schotterwegen und vorbei an Häusern auf Stelzen, an Fischern und Vieh, an Kindern und ihrem „hello-goodbye“.
Dieser Weg ist anstrengend aber wirklich schön und führt uns bis nach Tboung Khla. Das klingt in unseren Ohren fast schon afrikanisch – und wie in der afrikanischen Steppe fühlen wir uns hier auch. Die Gesichter werden markanter, die Hautfarbe dunkler – fast schwarz – und wir sehen den einen oder anderen Lockenkopf. Frauen wie Männer tragen weite Hemden oder Röcke aus bunten Stoffen sowie bunte Tücher über dem Kopf.
Aber wir befinden uns noch immer am Mekong, und hier in Tboung Klah gibt es – wie auch an 2 anderen Stellen – einen Delfin-Pool, ein natürliches Wasserbecken, in dem sich bis zu 80 Irrawaddy-Delfine aufhalten. Diese bedrohten Säugetiere haben eine runde Schnauze, sehen eher aus wie kleine Wale. Und wir haben Glück, ein einzelner streckt uns vorwitzig seine Stupsnase entgegen, nun haben wir auch diese Touristenattraktion gesehen und können uns in Ruhe unter einem grossen Baum zur Siesta niederlegen.

Wie übersinnlich sind unsere Kräfte? Ich schaue durch die Zweige in die Wolken, bemerke, dass einige der dickeren Äste schon länger abgestorben sind und meine zu Roman, dass ich mich bei Sturm sicher nicht an diese Stelle legen würde.
Mit diesen Worten schlafe ich ein – und wache auf von Romans Rufen und lautem Krachen im Baum. Genau der Ast, den ich zuvor eingehend gemustert habe, meinte den Augenblick zu nutzen und sich genau jetzt der Erde nähern zu müssen. Zum Glück blieb er im Geäst hängen – und ich bin mir im Moment meiner verschiedenen Kräfte nicht mehr sicher.

Um 16:00Uhr brechen wir auf, die Pause ist vorbei, und wir radeln bis zur Insel Koh Preah. Das Fährboot macht die Fahrt ca. 1x pro Stunde und um 17:00Uhr erreichen wir den gleichnamigen Ort auf der Insel.
Der „Village-Chief“ erwartet uns auf seinem klapprigen Fahrrad. Er ist sicher von der Familie auf dem Motorroller informiert worden. Wir begrüssen ihn und er führt uns zu einem der „Homestays“ entlang des Ufers. Abendessen, Übernachtung, Frühstück kosten pro Person 8 US-Dollar. Dafür haben wir „Rundumbelüftung“, Moskitonetz und direkten Zugang zum Mekong.
Der Sprung ins warme Nass tut so richtig gut! Und wir sind natürlich wieder einmal die Attraktion des Dorfes. Kinder toben um uns herum, in der Nähe nimmt eine junge Mutter mit Sohn ihr Bad und lächelt uns schüchtern zu, ein junger Bursche muss seine Englischkenntnisse anbringen und ein wenig angeben. Und wir geniessen es einfach, Schweiss und Sonnencreme abzuwaschen und den Sonnenuntergang zur Abwechslung einmal IM Wasser zu beobachten.

Entlang des Mekong-Discovery-Trails gibt es einige Homestays. Es scheint, dass sowohl der Radweg als auch die Übernachtungsmöglichkeiten von Australiern organisiert wurden. Die Häuser sind sauber, die Menschen an die Andersartigkeit der Touristen gewöhnt. Es gibt saubere Toiletten und ein einfaches sauberes Bad mit „Schöpfkellendusche“. Diese sanitären Anlagen sehen offensichtlich in allen Homestays gleich aus.

Wir schlafen gut – bis uns zuerst die Hunde und später die Hähne wecken. Nach einem einfachen Frühstück fahren wir den gleichen Weg wie gestern wieder zurück nach Steung Treng. Eigentlich wäre es ja schön, den ganzen Trail bis hinunter nach Kratie zu fahren. Wir könnten unser Gepäck nachbringen lassen und die Fahrräder abholen lassen. Aber: hinter der Insel Koh Preah kommt die grössere Insel Koh Pdao. Und hier ist der Weg nur schwer auffindbar, sandig und über 30km ohne Dorf und ohne Einkaufsmöglichkeit (Wasser!). Das trauen wir uns nicht zu – und nach dem Reisebericht eines französischen Pärchens ein paar Tage später haben wir uns richtig entschieden.

Per Minibus nach Kratie. 14 Sitzplätze, 26 Mitreisende, es ist eng. Überall heisst es die Fahrt dauere 2 Stunden. Ja, das ist wohl aushaltbar. Als wir aber endlich, nach 4,5h in Kratie ankommen, haben wir Knieabdrücke unterm Kinn, der Boden im Bus ist verkotzt, unsere Kleider verschwitzt – und unsere farbigen Erkennungs-Karabiner sind von den grossen Rucksäcken verschwunden, geklaut. Für uns kein wertvoller Verlust, mehr eine Erinnerung daran, dass wir aufpassen müssen.

Kratie ist schöner als Steung Treng, lebhafter. Wir treffen auf Svenja, quatschen etwas und verabreden uns für den kommenden Tag. Wie wir möchte auch Svenja den Mekong-Discovery-Trail nach Norden abfahren, traut sich aber nicht so recht alleine. Und so starten wir zu dritt durch, von Süden ca. 50km in den Norden, bis zum „unteren“ Zipfel der Insel Koh Pdao. So haben wir den schwer zu findenden Sandweg geschickt „umschifft“, und reisen dennoch wieder nah an „unserem“ Fluss.
Die südliche Streck ist anders, hat ihren eigenen Reiz. Wir fahren durchwegs über vielbefahrene Teerstrassen, von Dorf zu Dorf. Im Hintergrund spiegelt sich von Zeit zu Zeit die Mittagssonne im Mekong, der Lärm und die Farben einer Hochzeitsgesellschaft ziehen uns in ihren Bann. Der Tempel der 100 Säulen, nicht restauriert sondern komplett aus Beton nachgebaut (mit 113 Säulen), wird zu unserem Mittagshalt. Von hier ist es eine kurze Fahrt mit der Fähre, danach noch Schotterweg bis ins Dorf Koh Pdao. Ausser Svenja haben wir seit der Fähre noch Clemen im Schlepptau, er will tatsächlich morgen weiterfahren nach Steung Treng, über die „Höllenpiste“. Keines meiner Schauermärchen macht Eindruck auf ihn – ich wüsste ja gerne, wie es ihm ergangen ist.
Gemeinsam mit einer kleinen Herde Wasserbüffel waschen wir uns den Schweiss des Tages im tiefen und schnell fliessenden Mekong ab. Es ist herrlich frisch, urtümlich, naturnah und einfach entspannend. Die insgesamt 4 Tage Radtour hat uns Land und Leute von einer Seite gezeigt, wie es die wenigsten Touristen erleben.

Über weite Teile sind wir dem Mekong gefolgt. Nicht bei der Quelle, aber immerhin im Süden Chinas haben wir den Wassern das erste Mal zugewunken. Später, in Laos, haben wir 2 Tage auf dem immer breiter werdenden Fluss zugebracht. In vielen laotischen Städten – Luang Prabang, Tha Khaek, Savannakhet, Pakse und Champassak – haben wir immer wieder die Sonne im Mekongwasser verschwinden sehen. In Kambodscha hat uns der Discovery-Trail neue Seiten des Flusses gezeigt und wir sind endlich auch im braunen und angenehm warmen Wasser baden gewesen. Und jetzt sitzen wir in einem Schnellboot auf dem Weg ins Mekong-Delta. Kilometerbreit ist der Fluss hier, die Fischer werfen ihre Netze aus, vereinzelte Tempelanlage leuchten golden über den Wassern und immer wieder tauchen Stelzen-Dörfer auf und verschwinden bald darauf schon wieder im dichten Grün.

Die vietnamesische Grenze erreichen wir somit also per Boot von Phnom Penh aus. Diese Stadt mit ihren vielen Millionen Einwohnern, mit ihrem Verkehrschaos und den unzähligen Strassenküchen, mit Gasthäusern und Restaurants, mit Tempelanlagen und Märkten – diese Stadt hat uns (endlich mal wieder) gefesselt! Wir haben uns treiben lassen, Menschen beobachtet, uns durch den Verkehr gewühlt und hinein gefunden in den Phsar Thmey – ein kommunistisch anmutendes Marktgebäude, in den Russenmarkt und den Zentralmarkt. Die Märkte sind unkoordiniert, also südostasiatisch, aufgebaut. Links werden Haare geschnitten während rechts die Fliegen von der Fleischauslage gejagt werden. Nebenan könnten wir, falls nötig, Bohrer oder Schraubschlüssel kaufen und keinen Schritt weiter näht ein junger Mann ein Dessous. Wir gehen um die Ecke wo zwischen kitschigen Holzfiguren und Kosmetika eine grosse Fettpfanne steht, in der undefinierbare (Fisch-?) Kuchen gebacken werden. Davor sitzt auf dem schmierigen Boden eine Frau, die frische Gartenkräuter, FlipFlops und ein Stück Schweineleber verkauft. Neben ihr hockt auf seinem Holzblock ein Fischer, trennt mit gekonntem Schlag den Fischkopf vom Körper und entschuppt seinen Fang für den Verkauf. Es ist eng, laut, stickig und stinkig – und voller Leben.

In einem der vielen guten Cafés entlang des Tonlé Sap, der sich hier mit dem Mekong vereint, erholen wir uns von der Farbgewalt und Geräuschvielfalt, bevor wir vor der Abenddämmerung noch dem Olympiastadion einen Besuch abstatten. Ich weiss nicht, wann hier die Olympischen Spiele stattgefunden haben sollen – oder stattfinden werden – aber das Stadion ist gross und eindrucksvoll, inklusive eines Schwimmstadions. Alle Anlagen sind geöffnet für’s Publikum und ganz Phnom Penh scheint hier versammelt zu sein um Fussball, Tennis, Volleyball zu spielen oder einfach nur zum Joggen, Walken oder zuschauen. Wir drehen ebenfalls unsere Runden, sind erstaunt über die Begeisterung der Südostasiaten beim Sport und suchen langsam unseren Weg zu „Friends“, einem Restaurant das ehemaligen Strassenkindern eine Ausbildung in der Gastronomie bietet. Wo immer wir sind auf unserer Reise, wir versuchen, diesen Restaurants einen Besuch abzustatten und sie somit zu unterstützen.

Die Geschichte Kambodschas ist eine schreckliche! Nicht nur ist auch Kambodscha im Vietnamkrieg extensiv zerbombt worden. Nein, der Krieg war noch nicht zu Ende, da haben die „Roten Khmer“ am 17.04.1975 die Macht übernommen, das Land zersiedelt, Städter zu sklavenähnlicher Arbeit auf’s Land verschickt, die „Intelligenzia“ – also jeden, der eine Brille trug oder einmal etwas studiert hat – ermordet und jegliche Bildung verboten. Schulen wurden geschlossen, und aus der Schule Tuol Sleng – mitten in Phnom Penh – wurde das „Sicherheitsoffice 21“, besser bekannt unter S-21. Von mehreren Lagen Stacheldraht umgeben wurden hier Rebellen, Andersdenkende, Intellektuelle oder anderweitig unbequeme Menschen monatelang gefoltert und gequält bevor sie hinausgebracht wurden auf die Killing-fields, wenige Kilometer ausserhalb von Phnom Penh. Insgesamt sollen in 3 Jahren und 8 Monaten alleine in S-21 über 20‘000 Menschen inhaftiert und getötet worden sein. Genaue Zahlen der Opfer weiss man nicht, aber insgesamt sind unter den Roten Khmer und ihrem Anführer Pol Pot mehr als 1‘000‘000 Kambodschaner dem Genozid zum Opfer gefallen. Die ehemalige Schule – das ehemalige S-21 – ist ein aufwühlendes Denkmal an die dunklen Jahre dieses Landes.
Nach dem Besuch dieser Gedenkstätte bleibt uns nur ein Kopfschütteln. Ein Kopfschütteln über die Geschichte der „Roten Khmer“ und ein Kopfschütteln darüber, dass es ähnliches ja immer noch gibt, in Nordkorea zum Beispiel. Und die Welt verschliesst die Augen anstatt den menschenunwürdigen Bedingungen in diesem kommunistischen Land endlich einmal ein Ende zu bereiten.

Wir fahren nahe des Ufers, das Schnellboot wird langsamer, die vietnamesische Grenze rückt immer näher. Nach nur 11 Tagen verlassen wir Kambodscha im Süden. Aber wir kommen schon bald wieder, werden ins Nachtleben von Phnom Penh eintauchen und die Tempelanlagen von Angkor Wat bei Sonnenuntergang bestaunen.