China Süd

12.-21.12.2013, Shanghai und Hangzhou

Die Fahrten mit dem Hochgeschwindigkeitszug vergehen wie im Flug. Schon nach 3 Stunden sind wir in Shanghai-Hongqiao angekommen. Hier hat uns die Grossstadt begrüsst. Gutgekleidete Menschenmassen mit dem üblichen „Städterblick“ und vereinzeltem Lächeln ziehen an uns vorbei, wir wissen in dem riesigen Bahnhofsgebäude nicht, welche Richtung für uns richtig ist.
Dennoch gelangen wir mit der U-Bahn schlussendlich ohne Umsteigen mitten ins Zentrum, hin zum touristischen Highlight, dem „Bund“.
Der Bund, das ist ca. 2km Hauptstrasse und Uferpromenade entlang des Huangpu-Flusses mit faszinierendem Blick auf den Finanzdistrikt. Shanghai ist eine wichtige Hafenstadt, das Meer haben wir aber leider gar nicht gesehen. Dafür Hochhäuser jeden Formats und kleine Einfamilienhausviertel; die historischen Gebäude des Bunds und die über 100-stöckigen Glaspaläste gegenüber. Unser Hotel liegt 5 Gehminuten vom berühmten Peace-Hotel entfernt, ist preislich jedoch Meilen davon entfernt. Für 40Sfr pro Nacht (oder ca. 32Euro) haben wir ein gemütliches und warmes Doppelzimmer mit wunderbarer Dusche „mitten im Kuchen“. Anders als im Peace-Hotel steht bei uns jedoch kein 6m hoher Weihnachtsbaum im Eingangsbereich, und wir haben auch keine Jazzbar im gleichen Gebäude. Dafür können wir vor der Hoteltüre aus verschiedenen fahrenden Küchen unser Abendessen – oder auch Frühstück – auswählen. Was will man mehr! Ach ja, auch Frauen könnte man direkt vor unserer Haustüre auswählen. 2x ist Roman abends zum nächsten Laden gelaufen, um Süsses zu holen – und man hat ihm manch eine „Süsse“ angeboten.

 

Der Abendspaziergang in den Norden und dann entlang des Huangpu ist wunderbar. Alle paar Meter haben wir Fotos gemacht, die hell erleuchtete Stadt in der Dunkelheit ist faszinierend schön. Hier haben wir Weihnachten und Weihnachtsbeleuchtung im Grossformat! Und das nicht nur in Form von Tannenbäumen und Lametta sondern auch in Form von vielen Metern hohen Leuchtreklamen und beleuchteten Wolkenkratzern. Nur wenn man beginnt, den Kopf einzuschalten, findet man – finde ich – es nicht mehr so schön. Die Energie, die in dieser Stadt sinnlos(?) an einem Tag in die Luft gepufft wird könnte bestimmt ganz Kirgistan ein Jahr lang beleuchten und erwärmen. Um mir die Laune nicht zu verderben und da ich sowieso heute nichts daran ändern kann, schalte ich mein Hirn wieder aus und geniesse.

Wie schon in Bei Jing so verbringen wir auch hier in Shanghai viel Zeit in der U-Bahn. Wir fahren hinaus zum „PeoplesSquare“ reisen zum Yuyuan Garden mit seinem künstlichen TouriViertel wo Shanghai ganz verloren scheint. Wir spazieren vorbei an verschiedenen Museen und geniessen einen Vormittag in der sogenannten „French Concession“. Der Spaziergang dorthin hat uns durch den samstäglichen Fuxing-Park geführt, in dem uns von allen Seiten Musik entgegen schallt – sei es ein nicht ganz entspannter Schlagzeuger, der die neuesten Beats zum Besten gibt oder die Musikbox für Tai-Chi-Gymnasten. Eine Gruppe mittelalter Frauen kreischt zum Sound aus den grossen Lautsprechern in ihre Mikrofone und nur wenige Meter weiter liest ein ad-hoc-Chor die Texte bekannter Lieder von grossen Tafeln; der Dirigent ist eine charismatische Person, er hat die Gruppe – und den Klang – voll im Griff. Und während wir mit einem Lächeln auf den Lippen durch den Park schlendern haben wir den Eindruck, die Chinesen hier erfreuen sich des Lebens!
In der touristischen „French Concession“ mit ihren europäisch anmutenden Häusern und Alleen hat uns besonders das Propaganda-Art-Museum gefallen, in dem eine grosse Ausstellung der vorwiegend gemalten Propagandaplakate von ca. 1930-1990 zu sehen ist. Zusammen mit kurzen geschichtlichen Fakten ist es ein erschreckender und teilweise aber auch makaber erheiternder Rundgang gewesen.

Während wir also in Shanghai natürlich zu einigen touristischen Highlights unterwegs waren, haben wir auch das Shanghai der Shanghaianer kennen gelernt. Die hinteren Wohngassen sind teilweise eng und dunkel, in den allermeisten Fällen – und wenn es nicht regnet – hängt die Wäsche vor den Häuser, quer über die Gassen. Es fahren keine Autos, nur auf die Mofas und Fahrräder muss man aufpassen. In den Quartieren gibt es mehr als genug kleine Restaurants – Suppenküchen oder ähnliches – und allgemein herrscht ein Dorfcharakter vor. Vor allem hier – aber auch in der Haupteinkaufsstrasse „East Nanjing Road“ – sieht man Frauen und Männer in ihren Plüsch-Pyjamas in der Sonne sitzen, den Hund Gassi führen oder schnell beim Händler an der Ecke das Gemüse für’s Mittagessen holen.

Und dann kam der Regen. Einen ganzen Tag haben wir uns ins Zimmer verkrochen, haben das gute und preiswerte Hotel genutzt um „Büro“ zu machen – emails, Finanzen, Fotos, Texte, all das braucht auch seine Zeit.

Und der Regen hing auch am nächsten Morgen noch fest, dennoch sind wir ohne genaue Informationen schon früh aufgebrochen. In Regenjacke, Regenhose und mit je einem Regenschirm bewaffnet, haben den Bus nach Tongli gesucht. Alles, was wir wussten war, dass er zwischen 8:00Uhr und 8:30Uhr irgendwo beim „Stadium“ abfährt. So ein Stadium ist gross und Tongli ein schweres Wort; jedenfalls hat uns nur jeder 3 Passant, den wir gefragt haben, verstanden. Von denen wusste auch wiederum nur jeder 3., wo der Bus den losfährt und so hatten wir um 8:15Uhr schon eine grössere Odyssee hinter uns. Wiederum knappe 2 Stunden später kamen wir im „Venedig“ Chinas an. Nun ja, das ist eher eine grosse Übertreibung, aber ein hübsches Kanalstädtchen ist Tongli allemal. Erfrischend dörflich präsentieren sich die Hintergassen entlang des Wassers. Und ganz hinten in der hintersten Gasse der „Altstadt“ befindet sich Chinas Sexmuseum, in das wir vor dem Regen geflüchtet sind. (Mit dem letzten Satz umgehe ich es, zugeben zu müssen, dass dieses Museum der Hauptgrund für unseren Besuch in Tongli war …). Auch den Perlenturm mitsamt grosser Gartenanlage haben wir bewundert, aber es hatte sich so richtig eingeregnet, kein Ende in Sicht und uns war kalt. An einem warmen Tag ist das Örtchen sicher wunderbar kurzweilig, heute waren wir froh, wieder im Bus nach Shanghai zu sitzen.

Nachdem wir auch noch eine Ausstellung zur Seidenstrasse im Süden der Stadt und den M50-Kunstdistrikt im Norden der Stadt bei Regenwetter genossen haben, hat es uns in den Westen gezogen, nach Hangzhou. Unser letzter Stopp vor der langen Fahrt in den Süden, zum Glück bei besserem Wetter.

Hangzhou wird angepriesen als gemütlich und vielseitig. Und das stimmt zu einem grossen Teil. Am sogenannten West-See gelegen merkt man gar nicht, dass man sich in einer 2-Millionen-Stadt befindet. Touristisch aber trotzdem nett und gemütlich haben wir uns recht wohl gefühlt, haben einen Spaziergang am See gemacht, den Berg des Stadtgottes bestiegen (ein Hügelchen) und sowohl das Seidenmuseum als auch das Teemuseum besucht. Alles in allem drei gemütliche Tage ohne spezielle „Hochs“, aber ganz klar auch ganz ohne „Tiefs“.

So sind wir besinnlich eingestimmt in unseren „Weihnachtsferienort“ gereist. Mit dem Nachtzug sind wir in 19 Stunden in Guilin angekommen, von dort waren es „nur noch“ 2 Stunden mit dem Bus nach Yangshuo.

22.-30.12.2013, Provinz Guangxi: Yangshuo – Dazhai (Longji-Reisterassen) – Guilin

Dreieinhalb Stunden unserer letzten langen (24-stündigen!) Zugfahrt sind mittlerweile vergangen. Obwohl es erst 13:20Uhr ist, schläft mein Gegenüber tief und fest. Wir haben die Zeit genutzt, und unsere Weihnachtsferien Revue passieren lassen.

Wunderbare Tage haben wir verbracht, in Yangshuo.
Das ehemalige Backpacker-Paradies hat sich zu einem beliebten Ausflugsort der Chinesen gemausert. Wir haben ein Hostel am Stadtrand gefunden, dort, wo es (noch) ruhig ist. Jedoch: nachdem wir das Zimmer bezogen hatten und unser Luxusartikel, das Raumthermometer, eine Weile herumstand, war uns klar: hier bleiben wir nicht. 7°C im Zimmer während unserer wohlverdienten Auszeit, das macht keinen Spass! Zum Glück befindet sich ein kleines aber feines Hotel vom gleichen Besitzer ganz in der Nähe, so dass wir problemlos umziehen konnten. 22°C im Zimmer, mit gut funktionierender Klimaanlage und wunderbaren Heizdecken im Bett, wenn das keine Freude ist! Und der Preis liegt sogar immer noch im Rahmen unseres Budgets!

Die nächsten Tage standen unter der Überschrift: Faulenzen, in den Tag hinein leben, die Gegend erkunden und ein wenig Fahrrad fahren! Und das alles bei Temperaturen tagsüber zwischen 10 und 20°C, einem leichten Wind und mehrheitlich Sonnenschein. So lässt sich auch Weihnachten recht angenehm verbringen – im Hotel wurde sogar das Restaurant hochweihnachtlich geschmückt, mit Tannenbaum und viel Lametta; am Abend gab’s ein Weihnachtsessen.
Hier, am Stadtrand waren wir gemeinsam mit einer Polin, einem deutschen Pärchen und einer Familie aus Kanada die einzigen Gäste. Alle zusammen haben wir um 19:00Uhr mit einem wirklich guten Glas Rotwein angestossen auf die Feiertage „am Ende der Welt“. Das „Poulet Provençale“ war ausgezeichnet, die Stimmung ebenfalls und im Hintergrund lief immer wieder die gleiche Platte kitschig-amerikanischer Weihnachtslieder. Einfach grossartig!

Abgesehen von diesem einen Abend war jedoch kaum weihnachtliche Stimmung. Dafür haben wir die Landschaft in vollen Zügen genossen! Diese Karstfelsen sind kaum zu beschreiben. An und für sich macht die Gegend zwischen den Flüssen LiJiang und Yulong einen flachen Eindruck. Aber das ist falsch, denn das Land ist hier gesprenkelt von mehr oder weniger ausladenden, mehreren hundert Meter hohen Felsblöcken. Das Leben jedoch spielt sich im Slalom auf der Ebene dazwischen ab. Auch unsere Radtouren führten stundenlang über flaches Gelände – entlang eines Flüsschens oder einfach quer durch die Felder. Hier rufen uns Bauersfrauen oder junge Männer auf Motorrädern immer wieder ein Wort zu. „Bamboo“. Eigentlich hatten wir uns fest vorgenommen, auch einmal auf einem der vielen Bambusfloße über den Yulong zu schippern. Irgendwie haben wir schlussendlich aber zu viel Zeit mit „faulenzen“ oder „in den Tag hinein leben“ verbracht.

Dafür sind wir am ersten Weihnachtstag nach Xing Ping aufgebrochen. Der Name dieses Städtchens könnte direkt aus Michael Ende’s „Jim Knopf“ kommen, in dem Jim und Lukas dem winzigen Chinesen Ping Pong begegnen und der Kaiserin von China ihre Aufwartung machen. Xing Ping liegt in einer Landschaft, die ebenfalls diesem Kinderbuch entstammen könnte.
Der Fluss Li ist hier von Nebel umhangenen und mit knorrigen Bäumen bewachsenen Karstfelsen gesäumt, die Felder sind weitläufig und mit Bananen, Kumquats oder Pomelos bepflanzt, das Örtchen ist trotz offensichtlichem Tourismus sehr authentisch geblieben. Auf eine Bootsfahrt haben wir hier verzichtet, unser Budget hätte es uns nicht gedankt und ausserdem wäre auf den hier verwendeten Floßen jedes Gespräch vom stetig ratternden Aussenbordmotor zunichte gemacht worden.

Yangshuos Stadtpark ist das ungeplante Ziel eines weiteren Ausflugs gewesen. Bei unserem Spaziergang durch die Haupttouristenmeile „West Steet“ oder „Xie Jie Lu“ kamen wir am Ende bei Kartenspielern, Sängern und Zuckerrohrverkäufern an. Um das Bild zu komplettieren, haben eigentlich nur Tai Chi- oder Tanzgruppen gefehlt. So kennen und lieben wir die Chinesen! Hier findet das Leben statt, wenn im Geschäft oder zu Hause nicht viel zu tun ist, ja hierher bringen sogar einige Frauen ihre frisch gewaschene Wäsche, hängen sie zwischen den Bäumen in der Sonne auf und sitzen bewachend – und strickend – daneben.

Obwohl wir mittlerweile schon über 7 Stunden unterwegs sind, ziehen immer noch gemächlich die hochaufragenden Karstfelsen in der ansonsten topfebenen und fast schon subtropischen Landschaft an uns vorüber. Ob der Zug jemals sein Ziel erreicht, sei dahingestellt, wir haben das Gefühl, mehr auf dem Abstellgleis auf bessere Zeiten zu warten, als Kungming näher zu kommen.

Nachdem wir es uns in Yangshuo eine knappe Woche haben gut gehen lassen, den Rucksack für einmal längere Zeit in die Ecke gestellt hatten, wollten wir eine weitere Attraktion der Provinz Guangxi in Augenschein nehmen. Die „Dragon’s Backbone Rice Terraces“ der Region Longji seien sommers wie winters ein Highlight, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Ein längerer Blick in unsere Reisekasse hat uns gezeigt, dass wir uns die 4-stündige Taxifahrt dorthin leisten können – und auf mehrmaliges Umsteigen und ungewisse öffentliche Busse verzichten konnten.
Das Dorf Dazhai, vom Volk der Yao bewohnt, ist kostenpflichtiger Eingang in diese hügelige und weitgehend naturbelassene Landschaft. Wir hatten – unwissend, wo es sich befindet – ein Hotel reserviert. Schlussendlich haben wir uns über Stock und Stein und beladen mit je 2 Rucksäcken von insgesamt mehr als 20kg pro Person während einer guten Stunde einige hundert Höhenmeter bergauf geplagt. Vorbei an stolzen und freundlichen Menschen in schwarz-pinker Tracht. Die Frauen haben ihren seit Geburt ungeschnittenen Haaren zu einem Turban mit Knoten über der Stirne gebunden und mit einem schwarzen Tuch hutartig verdeckt. Überall wurden wir eingeladen, doch in ihrem Gasthaus zu übernachten – und vielleicht hätten wir das auch besser gemacht. Aber die Anzahlung für’s „Hotel“ war geleistet, und wir waren auch neugierig. Hoch oben, fast am höchsten Aussichtpunkt über den braunen und trockenen Reisterrassen, hat uns eine patente Yao-Frau die Tür geöffnet. Wir waren die einzigen Gäste, niemand ausser uns im ganzen Haus, das fast schon an eine Skihütte erinnert. Im komplett hölzernen Zimmer hat unser geliebtes Thermometer dann (fast) den Tiefstand unserer ganzen Reise angezeigt: 5.4°C! Eine Heizung oder einen Airconditioner gab es nicht, dafür aber Heizdecken, die punkt 18:00Uhr – dann wenn der Generator genügend Strom erzeugt – eingeschaltet würden.
Bis dahin haben wir uns die Zeit mit dem schweisstreibenden – und somit natürlich wärmenden – Aufstieg zum Aussichtspunkt 1 und Aussichtspunkt 2 vertrieben. Wunderschön muss es hier sein, im Frühling, wenn die Reispflanzen im Boden sind und die Terrassen mit Wasser überflutet. Oder im Sommer, wenn der Reis hoch steht und die untergehende Sonne rotgoldene Schatten wirft über das Tal. Wir haben die Reisterrassen bei bedecktem Himmel und unbestellt vor uns gehabt. Ein schöner Anblick, aber nicht überwältigend. Überwältigend hingegen war die Temperatur am nächsten Morgen, die mich lauthals zum Lachen brachte. Bei 4.1°C im Zimmer sind wir erwacht! Die heisse Suppe zum Frühstück im Nachbarhotel und der Abstieg mit vollem Gepäck hat dann irgendwann aber die Kälte der Nacht endgültig vertrieben.

Links von uns liegt im diesigen Licht der untergehenden Sonne ein Städtchen zwischen den Karstfelsen. Davor Bananenplantagen und grüne Felder. Obwohl wir mehr gen Westen als Süden reisen, scheint das Klima milder zu werden. Wir freuen uns auf höhere Temperaturen, auf Tage ohne lange Unterwäsche und vielleicht dann auch, in nicht allzuferner Zukunft, auf Sandalen und T-Shirts. Aber noch immer sind wir 15 Stunden von Kunming, der „Stadt des immerwährenden Frühlings“ entfernt.

Mit dem Minibus sind wir am Bahnhof in Guilin angekommen, hier sind wir eine Nacht geblieben, bevor wir es uns um 9:50Uhr am nächsten Morgen in Wagen 13, Liege 7a und 7b, für einen vollen Tag bequem machten.
Guilin hat uns besser gefallen, als erwartet. Und das, obwohl (oder weil?) wir nur einen Nachmittag und Abend hier spaziert sind. Uns hat das Treiben auf dem nachmittäglichen Nachtmarkt gefallen, und die Parkanlage um die beiden Seen. Der einbeinige Sänger und sein Musikerkollege haben am Ufer wunderschöne, melancholische Melodien zum Besten gegeben und am Fluss LiJiang legten die letzten Ausflugsboote an. Auf den Tag genau heute sind wir 9 Monate unterwegs.
Es ist ein wunderbares Gefühl, zurückzublicken und sich zu erinnern an all die Länder und Erlebnisse und es ist fast noch ein besseres Gefühl zu wissen, wie viel wir noch vor uns haben.

31.12.2013 – 11.01.2014, Provinz Yunnan: Kunming – Jinghong (Xishuangbanna)

Frühling! Kunming hat uns bezaubert. Dabei ist dieses Städtchen (mit 1.1Mio Einwohnern) gar nicht besonders schön. Aber es lebt!

Unser Hotel hatten wir uns, ohne es zu ahnen, wunderbar im Stadtzentrum ausgesucht. Nur wenige Schritte vom Eingang entfernt, nah genug um es schnell zu erreichen und weit genug, um nicht gestört zu werden, befindet sich das Ausgeh- und Diskothekenviertel der Innenstadt. Die Preise hier sind für normale Menschen unbezahlbar. Aber wenn wir nur wenigsten eine Garnitur „schicke Klamotten“ bei uns gehabt hätten, wir wären aus reiner Neugierde einmal in eines dieser blinkenden, glitzernden und absolut überdimensionierten Gebäude gegangen, hätten vielleicht sogar Sylvester hier verbracht. So aber haben wir uns kurz vor Mitternacht, 10 Minuten vor dem Jahreswechsel, unter das Volk vor den Toren gemischt. Wir haben junge aufgemotzte Chinesinnen in kniehohen Stiefeln mit turmhohen Absätzen und superkurzen Miniröcken bewundert, haben grinsen müssen, über die Frisuren und die Kleidung der jungen Männer und uns die Ohren zugehalten ob des Lärms von der Bühne. Dort wurden, als wir ankamen, die Gewinner der vorhergehenden Karaoke gekürt. Jeder erhielt – eine Flasche Bier.
Wir warteten, schauten uns um, schauten auf unsere Uhren. Nichts spezielles passierte. Irgendwann dann, so ca. 4min nach Mitternacht, hatte jeder dritte Chinese sein Handy am Ohr, dann löste sich langsam aber stetig der Pulk vor den Toren der Diskotheken auf, Stiefel und Frisuren suchten ihren Weg nach Hause. Das war’s, das war der Jahreswechsel.
Uns sollte es recht sein, wir hatten ja schon unseren Sylvesterabend bei einer chinesischen Pizza (nicht zu empfehlen!) verbracht, und wir wissen auch ohne Feuerwerk, dass uns ein wunderbares, weiteres Jahr bevor steht.

Jeden der 5 Tage sind wir irgendwann, nachdem wir durch die verschiedenen Gassen der Stadt spaziert sind, im „Green Lake Park“ gelandet. Menschen gucken.
Im November kommen in dieser grünen Oase die Rotschnabel-Möwen vorbei. Und sie haben es gar nicht eilig, weiter zu ziehen auf ihrem Flug in den Süden; vermutlich bleiben sie den ganzen Winter hier, denn hier werden sie begrüsst und bewirtet, wie alte Freunde. Gross und Klein feiert die Möwenzeit mit Tanz, Gesang und Musik, mit essen, trinken und flanieren. Der Park ist voller Menschen mit Brot in der Hand und voller Möwen, die versuchen, einen Brocken zu erwischen – oder schon faul auf dem Wasser schwimmend verdauen. Die Atmosphäre ist unbeschreiblich schön, unbeschreiblich entspannend und unbeschreiblich erheiternd. Wir sehen an jeder Ecke grosse Gruppen von Menschen – nicht nur Frauen – die sich zu Musik choreographisch bewegen, am See steht ein Flötenspieler, der für sich und für die Möwen spielt. Eine Band kleinwüchsiger Menschen macht auf sich und auf ihr Leid aufmerksam – mit tollem Tanz und verbesserungswürdigem Gesang – das geht unter die Haut. Nur wenige Schritte weiter formiert sich ungeordnet eine Bläserkapelle. Am Nordufer des Sees stehen kleinere und grössere Gruppen mittelalter und älterer Menschen an einer hunderte Meter langen Wand voller Spickzettel. Hier ist der Heiratsmarkt. Vermittler finden an der gegenüberliegenden Seite vielleicht eine Partnerin oder einen Partner für den Sohn oder die Tochter. Auf den Brücken fliegen einem die Möwen und die Brotbrocken um den Kopf; leicht sind die Besucher aus den umliegenden Dörfern zu erkennen, an ihrer traditionellen Tracht und an ihren etwas unbeholfenen Bewegungen in den Menschenmassen.
Wir befinden uns mittendrin, schiessen so viele Fotos, dass die Speicherkarte fast platzt und können uns kaum losreissen von diesem Gewusel, diesem Leben – dieser Lebensfreude! Falls es überhaupt möglich ist, so haben wir in Kunming noch einige Gänge heruntergeschaltet.

Doch irgendwann geht es auch von hier weiter, obwohl es uns schwer fällt, diese Stadt zu verlassen. So fahren wir mit dem Nachtbus – 11 Stunden, liegend und wunderbar schlafend – nach Jinghong, dem letzten Ort in China, bevor wir nach Laos einreisen. Hier, so hatten wir uns gedacht, wollten wir eine oder zwei Nächte verbringen. Insgesamt sind nun aber doch 6 Nächte daraus geworden – 4 hier und 2 in den Urwaldhügeln der autonomen Region Xishuangbanna.

Jinghong hat uns mit ENDLICH mildem Klima, Sonnenschein und Strassen im Schatten hoher Palmen empfangen. Wir befinden uns schon nicht mehr in China, rein gefühlsmässig, sondern mitten in Südostasien. Im Schatten der Palmen liegen in Korbsesseln die Verkäufer vor ihren Läden und dösen vor sich hin. Der Verkehr auf den Strassen geht kreuz und quer, überall dampft, brodelt und zischt es und im MeiMei Café sitzen wir seit langem wieder einmal zwischen Reisenden und vor einem „westlichen“ Frühstück. Wir haben in den ersten 2 Tagen alles gesehen, was man sehen muss: den Mekong – hier zum ersten, aber definitiv nicht zum letzten Mal, den Botanischen Garten voller tropischer Pflanzen, den Medizinal-Pflanzen-Garten und die „Blinden-Massage-Schule“. Insgesamt drei Mal haben wir uns hier durchkneten lassen mit überaus durchschlagendem – wenn auch teils schmerzhaftem – Erfolg.
Jetzt sind wir bestens vorbereitet auf die dreitägige Trecking-Tour mit „Mr. Rush“ durch Reisfelder, Zuckerrohrfelder, Teeplantagen und Bambuswälder, von Dorf zu Dorf im „Dschungel“ von Xishuangbanna.
Mr. Rush ist ein kleiner und sehr typischer Han-Chinese, der seinen Übernamen schon in Schulzeiten von seiner Englischlehrerin erhalten hat. Und auch jetzt passt dieser Name hervorragend – schnellen Schrittes rennt er uns voran, zum Busbahnhof. Der erste Tag wird körperlich nicht sehr anstrengend, dennoch sind wir abends rechtschaffen müde. Mr. Rush ist mit uns über den Markt des Städtchens Menghai gegangen, wir haben dort, im gut besuchten Eckrestaurant auf klebrigen Tischen ein gutes Mittagessen zu uns genommen und sind weitergefahren, 3 Stunden mit dem Bus über Kopfsteinpflaster, bis nach Bada, einem der grösseren Orte, in dem sich auch eine (Internats-)Schule für die Kinder der umliegenden Dörfer befindet.
In der Region Xishuangbanna leben sehr viele verschiedene Minderheiten Chinas. Hier in Bada – wie auch in vielen anderen Dörfern – wohnen die Aini, erkennbar an den rosarot-weiss grobkarierten Kopftüchern der Frauen. Anscheinend gibt es hier im Einstrassen-Dorf ein Restaurant, das heute aber geschlossen hat. Unser wunderbarer Mr. Rush, der die Region wie seine Westentasche kennt, lässt sich aber nicht entmutigen, spricht mal hier mal da sehr geduldig mit den Bewohnern und schon können wir uns am Strassenrand hinsetzen. Die Nudeln mit Kohl und Chili schmecken hervorragend und wir wissen, wir werden heute Nacht in dem kleinen Hotel mit den harten Betten gut schlafen. Vorher aber noch müssen wir uns bei der örtlichen Polizei registrieren lassen. Denn wir befinden uns unweit der Grenze zu Myanmar, wir können schon hinüberwinken, aber sicher nicht hinübergehen!
Zum Glück haben uns in der Nacht die Ratten auf dem Gemeinschaftsklo nicht gefressen, und so können wir also am Morgen die Nudeln mit Kohl und Chili am Rand der Strasse geniessen, bevor wir früh aufbrechen. Um uns herum wird langsam Tag, die kleinen schwarzhaarigen Hängebauchschweine suchen sich einen Platz an der Sonne und die Hühner suchen eifrig mit den Köpfen wackelnd nach heruntergefallenen Reiskörnern.
Wir ziehen los, die frische, saubere Luft um unsere Nasen, saftiges Grün vor unseren Augen und Mr. Rush’s fliessendes Englisch in unseren Ohren. Er liebt es, Fragen zu stellen und Fragen gestellt zu bekommen. Als studierter Historiker hat er nur 2 Jahre unterrichtet; die Schüler seien ja einfach nicht mehr an Geschichte interessiert. Anschliessend hat er 4 Jahre in der Provinz Xingjiang (unsere „erste“ Provinz) als Tourguide gearbeitet, ist später 4 Jahre als Imker von Provinz zu Provinz gezogen und nun hat es ihn seit 10 Jahren nach Yunnan verschlagen. Hier arbeitet er als Englisch- und Mathe-Nachhilfelehrer. Eben, Geschichte interessiert niemanden mehr. Ansonsten führt er Touristen in die abgelegenen Dörfer, und das macht er wirklich gut! Von Mr. Rush, der 1970 geboren ist, lernen wir viel über die neuere Geschichte des Landes und über die aktuelle politische und auch korrupte Situation. Wir erfahren, dass er mit seiner Mutter, einer Englischlehrerin, während der Kulturrevolution auf dem Land bei den Bauern wohnen und arbeiten musste. Wir hören, dass er sich als Kind trotz Armut glücklich fühlte, ein Chinese zu sein, denn ihnen wurde ja eingetrichtert, es gehe ihnen gut, Mao sei die Sonne ihres Lebens. Mr. Rush ist seit Jahren aber ein aufgeklärter – oder eher abgeklärter – Mensch. Er nennt Mao einen „Emperor“ und Verbrecher, er zeigt uns auf, wie Politik und Korruption in China zusammenhängen und weiss über jedes noch so kleine Land westlich von China Bescheid. Die Unterhaltungen mit ihm sind interessant, lehrreich und anstrengend. Vor allem auch, da er – wenn er einmal ins Reden kommt – nicht mehr weitergehen kann. So bleiben wir manches Mal alle paar hundert Meter stehen, diskutieren, dann rennt er uns wieder davon. Rennt von Bada durch Teeplantagen und Zuckerrohrfelder zum neuen Dorf ManWa und weiter zum alten Dorf ManWa. Hier wollen wir Mittag essen, aber auch hier hat das angeblich vorhandene Restaurant geschlossen. Mr. Rush raucht 4 Zigaretten in 5 Minuten, verteilt doppelt so viele Zigaretten an die Dorfbewohner und schwatzt mit den alten Männern, die die Kinder ihrer Töchter beaufsichtigen und in Tüchern herumtragen.
Schlussendlich landen wir mit selbstgekauftem Gemüse aus dem Dorfladen im Haus des Dorfchefs. Mr. Rush ist ein ausgezeichneter Koch und so essen wir kurze Zeit später in der verrauchten Dorfchef-Küche beim offenen Feuer. Eine Etage tiefer kümmert sich der Grossvater um die drei kleinen Enkel – alle drei mit triefender Nase und ohne Hose.

ManWa ist genauso wie ZhangLang, unser nächstes Übernachtungsquartier, bewohnt von der Minorität der Bulang. Die Bulang-Frauen kleiden sich vorwiegend in ihrer Lieblings»farbe», nämlich schwarz. Auch mir gefällt das schwarze Kopftuch der Bulang deutlich besser, als die «Tischdecke», die die Aini über dem Haar tragen. So sind wir also nach dem selbstgekochten Mittagessen erneut 3 Stunden gewandert, über Stock und Stein, hinunter zum Fluss und hinauf in das etwas reichere Dorf ZhangLang mit einem schönen, kleinen Buddha-Tempel und ein paar sehr entspannten Mönchen. Hier ist das Leben gut. Im Gegensatz zu Thailand müssen die Mönche nicht in das Dorf, um Gaben einzusammeln. Nein, die Dorfbewohnerinnen bringen selber mehr als genügend Esswaren ins Kloster. Viele Mönche sind verheiratet und können über Mittag zu ihren Frauen nach Hause gehen; zu Hause schmeckt es immer noch am Besten. So kommt es, das der Überschuss an Reis und Gemüse häufig von den Mönchen weiterverkauft wird. Beten – und Handel, das sind nun unter anderem die Aufgaben der orangen Männer. Zwischendurch sehen wir den einen oder anderen heiligen Mann auf dem Motorrad durch die Gegend sausen – einmal macht uns Mr. Rush auf das Kind auf dem Rücksitz aufmerksam. Der Sohn wird zur Schule gebracht.

Unser Guide weiss im Voraus nicht, wo wir übernachten werden. Wir erreichen die Dörfer immer unangekündigt. Und so spazieren wir einmal hin und einmal her durch das ganze im Berghang verteilte Dorf. Mr. Rush spricht mit jedem und verteilt Zigaretten. Wir finden am hinteren Ende das einzige Gemeinschaftsklo – für Frauen und Männer je vier Löcher im Boden, mit nur mit kniehohen Wänden voneinander abgetrennt und ohne Türen. Das wird ein weiter Weg, in der Nacht – oder wir machen es so, wie die Dorfbewohner, und nutzen in der Dunkelheit die Abwasserrinne am Strassenrand.
Schlussendlich landen wir in einem komplett aus Holz gebauten Haus. Die Treppe in die erste Etage knarzt und die erste Bohle im Obergeschoss biegt sich erschreckend durch. In wenigen Minuten sitzen wir im grossen, dunklen und fast fensterlosen Raum, sehen durch die Ritzen der Wandbretter hinaus ins Tal und durch die Fugen im Boden die Hühen und Schweine unter uns. Das offene Feuer wird zum lodern gebracht – ich wundere mich, dass nicht das ganze Haus in Flammen aufgeht – und wir essen bald schon Reis mit Gemüse und Omlett. Sehr lecker!
Der ca. 60-jährige Vater setzt sich zu uns und isst mit; seine Frau und seine Tochter sitzen abseits, am Feuer und wärmen sich. Mr. Rush hat uns erklärt, dass in den vergangenen 10 Jahren all seine Bitten sich dazu zu setzen nichts genützt haben, die Tradition ist tief verwurzelt, die Frauen essen nicht mit den Gästen. Dafür reichen sie uns aber nach dem Essen einen guten Selbstgebrannten. Schade, dass wir nur einen kleinen Schluck davon bekommen.

Wir schlafen alle in dem einen Raum – die Familie auf Matrazen am Boden auf der einen Seite, wir hinter einer selbstgezimmerten Holz»couch» auf der anderen Seite auf Decken und unter Decken. Wir schlafen gut, trotz des Windes der zwischen den Holzdielen weht. Am nächsten Morgen gibt es Reis, Gemüse und Omlett und wir ziehen – mit etwas Verspätung – los. Hier, im Dschungel von Xishuangbanna ist Zeit kein wirklich wichtiges Element.

Für uns jedoch bedeutet die Verspätung, dass wir weniger Diskutieren können (denn Mr. Rush bleibt ja jedes Mal stehen) und mehr bergab und bergauf hechten müssen, da wir in XiDing sowohl den Wochenmarkt sehen wollen als auch unbedingt den einzigen Bus zurück nach Menghai und dann nach Jinghong erwischen müssen. Die 3 Stunden durch Teeplantagen, Zuckerrohrfelder und Bambuswälder führen uns auch in das regional verrufene «Drogendorf» LongPeng. Die Dai – eine weitere Minorität – die hier wohnen, leben vom Drogenhandel aus Burma und Laos nach China. Unverkennbar wird der Reichtum anhand der riesigen, neuen und teuren Autos gezeigt. Und wenige Kilometer weiter sehen wir – weil Mr. Rush es uns zeigt – ein neues Dorf, gebaut von den Bewohnern LongPengs, mit riesigen Villen und einem goldglänzenden neuen Tempel.

Der Wochenmarkt in XiDing ist nicht mehr ganz so ursprünglich wie vor einigen Jahren, aber dennoch sehr einfach. Die Waren werden vielfach auf Tüchern am Boden – direkt neben der Abwasserrinne – feilgeboten, ein einziges Gewusel schiebt uns von Markt»tuch» zu Markt»tuch». Der abgeschlagene Kopf einer Kuh liegt friedvoll auf dem Metzgerstisch und zwei Meter weiter verkauft ein fliegender Händler Jacken und Mützen.

Wir haben schon viele Märkte gesehen, und trotzdem hat auch dieser uns wieder fasziniert. Aber nun geht es halt doch zurück nach Jinghong, zurück ins Hostel und endlich wieder einmal unter die Dusche.
Good bye, Mr. Rush. It was great, talking to you!

Ja, und nun ist wirklich der letzte Tag unserer Reise durch China gekommen. China hat uns teilweise nur wenig berührt, teils ist es tief in unsere Erinnerung eingewachsen. Die 72 Tage China sind irgendwie schnell vergangen; durchgefroren im Norden haben wir uns nichts mehr gewünscht, als endlich in den warmen Süden zu reisen. Im Süden angekommen könnten wir nun durchaus noch ein paar gute Wochen hier verbringen.
Doch der Plan steht, der Bus fährt am 11.01.2014 um 10:40Uhr in 7 Stunden von Jinghong nach Luang Namtha in Laos. Und wir fahren mit.