Schweiz…wieder Zuhause

Bellinzona -> San Bernardino -> Thusis -> Baar -> Schübelbach ->Luzern -> Dottikon -> Aarau

Grenzübertritt

Einen letzten Stempel, einen Einreisestempel in die Schweiz, unser erstes und letztes Reiseland. Den wollte ich mir am Grenzübertritt holen und wurde angeschaut «wie ein Auto». Und das, obwohl wir mit den Rädern unterwegs sind.

 

 

Dann halt nicht. Von Ranzo aus, dem ersten Örtchen auf Schweizer Seite, sind es nun noch knapp 30km bis nach Bellinzona. Dort Pause und ein Kaffee….. wir sind die Preise doch noch nicht gewöhnt. Die Stadt selber ist natürlich ein highlight, wir wandern durch die Gassen, essen fein zu Mittag und diskutieren mehrfach wie schon in den letzten Tagen, welche Route wir schlussendlich nehmen werden. Gotthard oder San Bernardino. Beide bieten genügend Höhenmeter um schon allein beim Gedanken daran schlapp zu machen. Beide sind – leider – sehr befahren, vor allem am Wochenende. Wir hören den Wetterbericht, schauen in den Himmel, bedenken, wie viele Höhenmeter wir in den vergangenen 3 Monaten schon wieder hinter uns gebracht haben und entscheiden uns trotz aller Widrigkeiten, an einem Sonntag über den San Bernardino zu radeln.

Heute ist Samstag, heute Nachmittag fahren wir so hoch, wie wir kommen und hoffen, dass wir noch eine Unterkunft finden. Der Abend kommt langsam und wunderschön, die Herbstwiesen hier unten im Tal wachsen üppig und dicht, die Stimmung ist grossartig, am Liebsten würden wir bei diesem Licht immer weiter radeln. In Grono wird es langsam dämmrig und wir finden eine B&B. Willkommen in der Schweiz denke ich, denn ich – als hochdeutsch sprechende Person – werde kaum wahrgenommen, abgefertigt. Ich, die ich in den meisten Ländern unserer langen Reise die Zimmer ausgesucht habe – sei es Iran, Turkmenistan, Kirgistan, sei es China, Laos, Kambodscha – und immer zuvorkommend behandelt wurde, werde behandelt wie eine Ausländerin. Am liebsten würde ich umkehren und wieder 18 Monate auf Reisen gehen. Als Roman sich einmischt heisst es dann schon wesentlich freundlicher: Ach, sie sprechen Schweizerdeutsch.

Hätten wir uns nicht soooo sehr auf eine Dusche und ein weiches Bett vor unserem Aufstieg am Folgetag gefreut, wir wären einfach weiter gefahren. So bezahlen wir eine der teuersten Unterkünfte auf unserer Reise und setzten am nächsten Morgen nach einem ordentlichen Frühstück unsere Fahrt mit einem schalen Nachgeschmack fort.

Jetzt heisst es kämpfen. Kämpfen gegen den inneren Schweinehund. Kämpfen gegen den anschwellenden Verkehr. Kämpfen gegen die Hitze. Kämpfen gegen die Schmerzen in den Waden und am Füdli. Wir merken, dass wir nach den letzten 3 Monaten wirklich recht gut trainiert sind. 1600 Höhenmeter schaffen wir, Pizza-Pause inbegriffen und freuen uns auf einen guten Kaffee auf dem Pass.

Hier das folgende Willkommensintermezzo im Ospizio Passo San Bernardino: Das Wetter ist schön, Menschenmassen vor und im im Restaurant, bei den Kassen steht eine Vitrine mit Plüschtieren – Bernardinerhunde. Bald schon, in den nächsten Tagen, werde ich Oma, und als solche möchte ich nun so einen Hund kaufen für mein Enkelkind. Da werde ich von einer Serviertochter so richtig, aber so richtig angeraunzt, ich solle hier weg. Roman steht neben mir, sein Italienisch hat er vor ein paar Tagen bei seinen Verwandten aufgefrischt und nun geht es los. Mit Händen und Füssen sagen Roman und die Serviertochter sich gegenseitig, was sie von einander halten. Willkommen in der Schweiz!

Der Plüschhund hat seinen Platz in meinem Gepäck gefunden, wir haben den See einmal umrundet und befinden uns nun in Talfahrt. Tut das gut, die Beine dürfen sich ausruhen, die Augen weit herum schauen und die Zahl der motorisierten Fahrzeuge hat sich im dahinscheidenden Tageslicht auch drastisch reduziert. Unser heutiges Ziel ist Thusis, mit «dem besten Zeltpatz von Welt». Unter hohen Bäumen, nah genug an den hervorragenden Sanitären Anlagen und der Küche und weit genug entfernt von den Nachbarzelten verbringen wir eine gute wenn auch kühle Nacht.

Die Schweiz ist – wie jedes Land – ein Sammelsurium verschiedenster Menschen. Und in Schübelbach begegnen wir wirklich besonderen Wesen. «Oh, toll, was ihr macht, so eine lange Reise, das kennt man ja sonst nur aus dem Fernsehen.»  Die beiden Frauen sind ca. 50 und 40 Jahre alt, mit Walkingstöcken unterwegs, haben aber offensichtlich mehr Freude am Reden als am Sport. «Ja, bei uns ist noch ein Bett frei im Gästezimmer.» meint Maya, bevor sie sich erschrocken die Hand vor den Mund hält. Telefonisch informiert sie ihren Gatten «Nein, es sind keine Zigeuner, nein sie sind nicht sonderlich dreckig, nein, sie machen einen recht freundlichen Eindruck» Wir verabreden uns im Dorf «beim Denner», und dort warten wir, bis es dunkel ist. Irgendwann kommen die beiden Damen, ein wenig verlegen; sie hätten sich überlegt ob sie uns nicht einfach stehen lassen wollten; sie hatten Angst vor der eigenen Courage bekommen.

Und dann werden wir vorgewarnt: «Also, da ist eine Alarmanlage an der Türe und wenn Ihr die Fenster öffnet sehen wir das auf unserer App.» Wo nur sind wir hier gelandet. Erst mal Schuhe aus und rein ins Gästezimmer – dieses Bettzeug riecht, als habe hier vor einem Jahr schon Tante Heidi mit ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann genächtigt. Einen Platz für unsere Taschen finden wir neben dem Doppelbett – und nun haben wir Hunger. Etwas Käse aus dem Kühlschrank und etwas Brot wird uns angeboten, wir begrüssen «den Gatten». Daniel sitzt – wie in einem schlechten Film – auf der eingemauerten Terrasse im eigenen Mief – sprich Zigarettenrauch. Ein Tisch mit Plastiktischdecke direkt an der Wand, darüber eine grosser Bildschirm auf dem irgendein Politsender läuft und nicht ausgeschaltet wird. Der grosse selbstgebastelte Aschenbecher läuft fast über und der Hausherr begrüsst uns knapp mit 2 Worten. Die Stimmung ist eisig hier auf der Terrasse, obwohl sommerliche Temperaturen vorherrschen. Das Gespräch kommt zwischen den 2 Männern schleppend in Gang, verbrüdernd bietet der Raucher ein Bier an – aber nur Roman, denn Frauen trinken ja kein Bier.

Wir sind froh, als wir endlich in den Betten liegen. Am Morgen machen wir rasch alles parat und wollen los, da wird unsere Zimmertüre aufgerissen: «Was habt Ihr denn gemacht, oben geht der Alarm!» ähhh… ach ja, wir haben das Zimmer gelüftet ….

Schübelbach liegt hinter uns, die Heimat kommt näher und im Bauch wird uns immer mulmiger. Wollen wir das wirklich? Wollen wir unsere Reise beenden? Wollen wirklich wieder in den Alltag eintauchen? Wir gehen die Rückreise langsam an, reisen im ZickZack von Süden her nach Aarau. Zuerst nach Baar wo mein ältester Sohn mit seiner bald 3-köpfigen Familie wohnt. Wir lassen die Räder dort und machen zu Romans Geburtstag einen Ausflug in den Swiss Holiday Park nach Morschach. Luzern und unsere Freunde Urs und Tanya – sie sind ein Stück in Usbekistan mit uns gereist – heissen uns willkommen. Danach ist es nicht mehr weit bis Dottikon, wo Romans Eltern uns ein warmes Willkommen, ein gutes Essen und ein warmes Bett bereiten. Mit Umzugswagen kommt Valentin am Morgen nach Dottikon, wir packen den Laderaum mit altbekannten und längst vergessenen Alltagsgegenständen. Dann die letzte Route, die letzten 15 km bis nach Aarau.

Vielleicht sind es die schwersten 15 km auf unsrer Reise, ich weiss es nicht. Wir sind glücklich und traurig, euphorisch und gedämpft.

Das Unkraut im Garten überwuchert alles, eine Wildnis empfängt uns, Valentin hat schon einen Teil der Möbel ausgeladen und einen kleinen Begrüssungsapero organisiert. Es ist toll, mit lieben Menschen – Romans Eltern, meinem Sohn, den Nachbarn und nicht zu vergessen Thomas, der uns in Kirgistan 3 Wochen begleitet hat, die ersten Minuten im Haus zu verbringen.

Was kommt jetzt alles auf uns zu? Wie verarbeiten wir die letzten 18 Monate? Hört uns überhaupt jemand zu, wenn wir erzählen wollen?