29.05.-10.06.2023
Kyushu: Fukuoka – Dazaifu – Karatsu – Kitakyshu – Usa – Beppu; Shikoku: Yawatahama – Ozu – Matsuyama – Omishima (Inselradweg „ShimanamiKaido“); Honshu: Kasaoka
„Oh no, no exchange, no!“ Das ist nun schon die dritte Bankangestellte in der dritten Bank hier in Yawatahama, diesem „internationalen“ Fährhafen-Kaff, die total erschrocken den Kopf schüttelt. Wir sind fast pleite, was die einheimische Währung angeht, und unser Weg führt uns weg von städtischem Gebiet hinein in die Hügel von Shikoku. Es regnet Bindfäden, wir sind unter dem Regenzeug nassgeschwitzt und sind kurz vorm Verzweifeln. Euros kann man nicht essen, unsere Kreditkarten werden von den ATMs postwendend ausgespuckt und sogar die Fähre haben wir Cash bezahlen müssen.
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Ausserdem haben wir Hunger, und geben unsere letzten Yen für ein Mittagessen aus, vielleicht hilft uns das ja weiter. Während wir auf das Essen warten durchforsten wir das Internet, machen eine Wahnsinnsentdeckung: Banken wechseln meist kein Geld, Banken haben meist keine ATMs bei denen europäische Kreditkarten angenommen werden. Stattdessen könnte man es bei der Post probieren (funktioniert hier in Yawatahama auch nicht) oder aber, und jetzt kommt der Clou: im 7Eleven Convenience Store – einer modernen Gemischtwarenladenkette. Ja, und das funktioniert wirklich, wir machen Luftsprünge, lachen, freuen uns wie kleine Kinder und halten endlich genügend Geld in der Hand um uns in die Berge aufzumachen.
Radeln im Regen, macht keinen Spass. Radeln im Regen durch Tunnel macht noch weniger Spass, Radeln im Regen durch Tunnel bergauf… ja genau! Aber wir haben eine kurze Etappe vor uns, verbringen die erste Nacht auf der zweiten Insel in einem traditionell gebauten kleinen Holzhaus (Walking Pilgrimage Hostel = Pilgerunterkunft) mit offenem Innenhof und Koi-Teich, in dem die Regentropfen ihre Ringe hinterlassen. Die Einrichtung ist einfach und alt, die Tatamimatten sind angenehm unter den Füssen und der Schlaf auf dem Boden erstaunlich erholsam. Vor dem Einschlafen denke noch einmal an unser Mittagessen und muss lachen: unsere Tabletts wurden uns, kein Scherz, von einem Roboter serviert. Erst hat es gepiept, dann ein leises Rollgeräusch und schon lachte uns ein Bildschirm über beide Pausbacken an. Zum Abschied hat er dann auch brav „Arigato“ – Danke – gesagt.
Japan hat es in den ersten Tagen nur mässig gut mit uns gemeint. Fukuoka – auf der Insel Kyushu – haben wir im Regen erreicht, ein Taifun war auf dem Weg von den Philippinen zu uns, hat Unmengen an Wasser, aber zum Glück keinen Sturm auf die Insel gebracht. Taifun-unerfahren wie wir sind haben wir uns gegen das Weiterreisen entschieden, stattdessen die Stadt und die Umgebung erkundet, was mit dem ersten Abendessen in der Kneipe „um die Ecke“ begonnen hat. Kaum hatten wir die Türe geöffnet, fühlten wir uns in die 70er Jahre versetzt. Die Einrichtung: braun-beige, Holz, alt. Die Gäste: ausschliesslich Männer, teils in weissen Hemden und Anzügen, wohl frisch aus dem Büro, und teils am Tresen, ein Bier vor der Nase und eine Kippe nach der anderen rauchend. Ja, rauchen ist in vielen Restaurants immer noch gestattet.
Nachdem wir unsere erste Bento-Box gekauft (und gegessen) haben, natürlich am Hauptbahnhof in einem der vielen spezialisierten Läden, führt uns der Weg zu unserem ersten Shinto-Schrein. Wir bewundern die Architektur und beobachten die Gläubigen, die vor dem Gebet eine rituelle Waschung vornehmen – beide Hände und angedeutet das Gesicht – und nach dem Gebet ehrfürchtig 2x in die Hände klatschen, bevor sie Platz machen am Heiligtum für die nächsten Betenden. Viele tragen ein kleines als „Ziehharmonika“ (oder Leporello) gefaltetes Büchlein mit sich, in dem sie sich einen heiligen Spruch von einem der Mönche eintragen lassen. In jeder Stadt, jeder Präfäktur in Japan ist mindestens ein Tempel oder Schrein immer auch als eine wichtige Sehenswürdigkeiten angegeben, und so fahren wir am 2. Tag, als ein kleines „Hoch“ den Taifunregen unterbricht, mit den Rädern nach Dazaifu. Die Tempelanlage dort ist weitläufig, gross und wunderschön, am Ende einer hübschen Touristeneinkaufsstrasse gelegen. Wir fühlen uns ein wenig gestört durch die Fahrräder und finden endlich eine Mauer, an die wir sie stellen können um den Tempelgarten mit seinen Brücken und Schreinen mit freien Händen zu betreten. Wir laufen staunend durch die Anlage, geniessen das Grün der riesigen Bäume und das Fremde der Heiligen Stätten – und sind nach einer Stunde froh, dass unsere Räder noch dort stehen wo wir sie abgestellt haben. Es hätte auch anders kommen können, als dass uns jemand nur, fein säuberlich und mit rotem Stift geschrieben an jedes Rad einen Zettel klebt mit der Aufschrift: Fahrrad abstellen verboten (meiner Übersetzungsapp sei Dank).
Karatsu liegt mit dem Zug ca. 1 Stunde von Fukuoka entfernt, gen Westen. Mit Regenschirm bewaffnet machen wir uns erneut auf in den Schilderwald am Hauptbahnhof. Wir finden die Ticketautomaten und auch den richtigen Knopf um Anleitung in Englisch zu erhalten. Aber nun: mit welcher Zuglinie fahren wir? Es gibt 5 verschiedene Unternehmen. Wir fragen eine junge Frau die ausnehmend gut Englisch spricht, uns die Tickets fast schon ausdruckt und dann meint, wir sollten doch besser mit dem Bahnangestellten sprechen. Am Schluss fahren wir mit der U-Bahn und kommen ohne Umsteigen in dem verschlafenen Touristenort an. Toll ist die Burg anzusehen, so ganz anders als Burgen bei uns gebaut: Zwar auf einem Hügel und mit Befestigungswall, aber dann die Wohneinheiten ganz aus Holz und weiss verputzten Wänden. Wir gehen weiter, es ist schwül, der Regen hängt in der Luft, aber gerade schaffen wir es noch das zum Museum umfunktionierte Haus eine höheren Beamten zu besichtigen. Hier, zum ersten Mal, können wir uns vorstellen, wie japanische Häuser wohl von Innen aussehen; „reduce to the max“ oder „weniger ist weniger“, schlicht gestaltet aber immer stilvoll. Natur und Wohnen gehen in einander über, alles ist aus Holz, Tatami und Reispapier gebaut und mit Schiebefenstern zum Garten versehen. Wir würden uns gerne hier ein wenig ausruhen, Stunden mit Nichtstun verbringen und die Atmosphäre einsaugen. Stattdessen spannen wir den Schirm auf und besuchen die Ausstellung der bunten und ein wenig erschrecken aussehenden Prozessionswagen, die einmal jährlich in grossem Getöse und mit riesigen Menschenansammlungen von Schrein zu Schrein durch die Strassen von Karatsu getragen werden.
Ein Riesengetöse, ein Geschrei ertönt, als wir das Restaurant betreten. Wir verstehen kein Wort und haben schon Sorge, dass wir irgendetwas falsch gemacht haben. Aber anscheinend nicht, eine junge Kellnerin kommt uns entgegen, zeigt uns, wo wir sitzen können und dann geht’s los! Unsere Sitzplätze sind an der „Theke“, dort sitzen schon viele Gäste, und hinter der Theke wird gebrutzelt, gekocht, gezapft und immer wieder auch laut gerufen. Eine Bestellung wird durchgegeben gefolgt von lauten Schreien der Köche. Ein neuer Gast kommt – und am Geschrei merken wir, dass wir nichts falsch gemacht hatten. Ein Gast zahlt und geht, und wieder rufen alle Mitarbeitenden im Chor. So geht das den ganzen Abend. Wir sind nun schon den zweiten Tag auf dem Rad unterwegs in Japan – endlich – und haben einen Bärenhunger. Grundsätzlich gestaltet sich die Suche nach Restaurants für uns schwierig; die Karten können wir nicht lesen, in die Restaurants hineinschauen auch nicht, da oft Fenster und Türen mit Tüchern verhangen sind. Nachdem wir schon wieder, wie auch schon in Fukuoka, mirnichts dirnichts im Rotlichtviertel gelandet sind und den Weg dann auch wieder hinausgefunden haben, haben wir das nächstbeste Restaurant gestürmt und sind glücklich. Wir bekommen endlich einmal genug zu essen mit Show inklusive und noch dazu ist es hervorragend lecker. Wir müssen unsere Bäuche, unsere Muskeln stärken für die Bergetappe am Folgetag.
„Links fahren!“ Hundert Mal, tausend Mal haben wir uns diese zwei Worte in den ersten Tagen zugerufen. Es ist nicht einfach, den Abstand zum linken Seitenstreifen einzuschätzen, es ist sehr ungewohnt rechts in den Rückspiegel zu schauen und immer noch, auch jetzt nach fast 2 Wochen, wird mir ganz mulmig im Magen, wenn mir auf der rechten Strassenseite ein grosser LKW in rasendem Tempo entgegen kommt. Aber wir haben es geschafft, das Rechtsabbiegen, wir schauen fast schon automatisch erst rechts, dann links, dann rechts, wenn wir eine Strasse überqueren und nur noch selten spuren wir morgens früh auf einer leeren Strasse in die falsche Richtung ein.
Heute, haben wir gelesen, gab es ein Erdbeben der Stärke 6.5 in Hokkaido, das ist die nördliche grosse Insel Japans. Aktive Vulkane gibt es hier einige und das ganze Inselreich ist vulkanisch-hügelig. Täglich machen wir mehrere hundert Höhemeter, nie geht es (bisher) über 600m aber das ständige auf und ab addiert sich auf. Und so kommen wir nach 670 Höhenmetern und 61km in Matsuyama auf der Insel Shikoku an. Wir sind nun 6 Tage geradelt, eine Pause hätten wir verdient, und so denkt auch die Wettergöttin, die uns einen Regentag ankündigt. Ab Mittag giesst es wie aus Eimern, aber den Vormittag verbringen wir in der wunderschönen Burg von Matsuyama, die Anfang 2000er Jahre komplett nach alten Skizzen und Bilder wieder aufgebaut wurde.
Exakt 50km hinter Matsuyama stehen wir auf der ersten Brücke und staunen, geniessen den Blick hinunter auf das Meer, auf die Inseln und Inselchen die sich im Wasser tummeln. Es ist grün, es ist hügelig, es ist dunstig und es ist schön hier! Die Strecke von Imabari auf Shikoku hinüber nach Onomichi auf Honshu, der Hauptinsel, ist per Rad zu bewältigen und eine Reise wert. Wir „hopsen“ von Insel zu Insel, geniessen die Aussichten auf das Wasser und freuen uns auf unsere erste Camping-Nacht auf dem herausgesuchten Campingplatz Tatara auf Omishima. Doch plötzlich schlingert Roman vor mir, hält an und…. Wir wechseln den ersten Schlauch. Irgendwo hat sich eine Scherbe ins Rad gefressen. Das passt sowieso nie, so eine Reifenpanne, aber heute sind wir zusätzlich noch spät dran. Nun denn, bis 18.30Uhr haben wir es geschafft, haben den Zeltplatz gefunden – und niemand ist da, alles ist gesperrt, so ein Mist. Der Zeltplatzwächter macht sich dann aber doch noch bemerkbar und eine Stunde später steht das Zelt, direkt am Strand und direkt unter den Beton-Serpentinen die hinauf auf die Brücke zur nächsten Insel führen. Wir schlafen gut, hier in der Einsamkeit, und die zweite Inselweg – Etappe, die nächsten 35km, nehmen wir gut erholt in Angriff, sie führt uns bis nach Onomichi, und dann noch weiter und weiter und weiter, bis am Ende des Tages 86km auf dem Tacho stehen, wir wieder einmal 700 Höhenmeter geschafft haben und in Kasaoka eine hübsche, traditionelle Unterkunft ausgelegt mit Tatami-Matten erreichen. Hier ist uns wohl, hier geht es uns gut und hier geht der erste Teil unserer Japanreise zu Ende.