21.06. – 01.07.2023
Hauptinsel Honshu: Fuji – Gotemba – Yokohama – Tokyo
Geschafft, geschafft, geschafft!!! Die Räder und das Gepäck liegen auf dem Laufband, haben alle ihre wichtigen Kleber aufgeklebt und werden nun langsam in Richtung Flugzeug und somit in Richtung Schweiz bewegt. Bis zu Letzt haben wir nicht mehr daran geglaubt – in diesen letzten Tagen haben wir Lehrgeld bezahlen müssen, so richtig, in Form von investierter Zeit und investiertem Geld, aber auch in Form von Nerven und Erholung.
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Kikugawa, das Städtchen ohne Flair und ohne rechtes Zentrum, sei – so hatten wir gelesen – berühmt und bekannt für seinen Grüntee. Unvorstellbar. Wir sind auf unserem Weg hinaus aus der Stadt durch Vorstadtsiedlungen, entlang von Kanälen und schliesslich immer höher und höher in die Hügel geführt worden. Anstrengend wurde es, wir haben und abgemüht und geschwitzt. Und plötzlich waren sie da, hier auf dem Hochplateau, hörten gar nicht mehr auf. Teesträucher kilometerlang, schön zurechtgestutzt in Reih und Glied mit kleinen hellgrünen Blattspitzen die hier und da von eifrigen Teepflückern mit ihren Pflückmaschinen wieder geschnitten wurden.
Die Planung der letzten Reisetage vor Tokyo ist voller Tücken gewesen. Einerseits war da die zeitliche Komponente, andererseits aber auch die Berge und das Wetter. Umso schöner, dass wir mehrfach auf dem Küstenradweg gelandet sind, aber auch auf anderen gut ausgeschilderten Radwegen. Wir haben den Pazifik bestaunt, mal rau und wild, mal ruhig und einladend, dessen Wellen über weite Strecken rechts von uns an Land rauschten. Wir haben Teefelder, Hügel und Städtchen durchquert und von mancher Brücke in so manches Flussbett geschaut. Sehr schön, voller Überraschungen und vor allem abwechslungsreich war sie, diese Etappe, die uns zum Abschluss noch einen grossartigen Blick auf den Fujiyama gegönnt hat.
Wir haben gewusst – Wetterkomponente – dass wir am Folgetag nur bis ca. mittags fahren können. Wir haben gewusst – Bergkomponente – dass wir noch ca. 1500 Höhenmeter auf knapp 140km zu bewältigen haben. Die ersten regenreichen 45km und 500HM haben wir mit Okonomiyaki gefeiert – alleine in einem Restaurant, die Herdplatte vor uns, der Teig und alle anderen Zutaten in einer Schüssel, Anleitung in Englisch inklusive. Wir waren froh um die Wärme der Herdplatte die uns nicht nur die Kälte aus den Knochen vertrieben hat, sondern auch die Kleider ein wenig getrocknet hat. Und dass der japanische Pfannkuchen total auseinanderfiel hat unserem Appetit keinen Abbruch getan. Dann haben wir es uns im Hotel gemütlich gemacht – und die Sintflut vom Fenster aus beobachtet. Das ist Regenzeit!
Der letzte radreisende Tag war lang und anstrengend! 85km haben wir gemacht, 1000 Höhenmeter bewältigt und viele davon bei weit über 10% Steigung schieben müssen. Wir sind an ausgedehnten Golfplätzen vorbeigekommen, im Hügel eingebettet, wir sind durch regennasse Urwälder gefahren auf gut ausgebauten Strassen, auf denen uns stundenlang kein einziges Auto begegnet ist. Wir sind wieder einmal durch Kleinstädte und Vorstädte gefahren und nach dem Eindunkeln endlich in Yokohama angekommen. Schade, dass die Radreise nun vorbei ist. Aber wir freuen uns auf eine Veränderung, freuen uns darauf, eine andere Facette Japans kennen zu lernen, freuen uns darauf, als Grossstadttouristen durch die Gassen zu ziehen.
Und so bewegen wir uns mit dem Strom vom Hotel zum Hafen, weiter über den langen Fussgängersteg zum Cup Noodle Museum. Hier in Yokohama, so scheint es, ist die Instant-Noodle-Suppe von Ando Momofuku erfunden worden, dem – silbrig glänzend – ein Denkmal gesetzt wurde. Ganz in der Nähe unseres Hotels ist, mitten in der Stadt, das grosse Baseball-Stadion. Es scheint, dass an diesem Wochenende jeden Tag gespielt wird – Fans bevölkern die Gassen und Geschäfte, sind ausgelassen und vor allem wunderbar gekleidet mit bunten T-Shirts, Schals und Schleifen, Taschen und anderen Gadgets ihres Lieblingsteams.
Hinter dem Stadion liegt Chinatown, wohl die grösste in Japan und wirklich einen Besuch wert. Bunt ist es hier, laut, und so gar nicht japanisch. Wir schlendern und schauen und essen Bautze, Sesam-Reisbällchen und Eiscreme und freuen uns am Flair einer anderen Welt. Im Park am Hafen trinken wir ein Bier, lauschen dem Jazz der in Yokohama aus allen Boxen tönt und wissen, dass wir jede Minute geniessen wollen, die Zeit am liebsten stillhalten wollen, unsere Reise in vollen Zügen bis zum Schluss auskosten wollen.
Das Aquamuseum erreichen wir am nächsten Tag in 15km mit dem Rad. Etwas, das wir beide noch nie gesehen haben, ein Meerwasseraquarium mit Fischschwärmen und Haifischen und Rochen, alles von einer riesigen Glaswand aus zu beobachten. Die Parkanlage ist auf einer Insel gelegen, die Besucher strömen nur so dorthin und wir schieben uns zwischen Familien mit kleinen Kindern und älteren Pärchen an den vielen kleinen und dem einen grossen Aquarium vorbei, geniessen es, die unbekannte Tierwelt zu beobachten und freuen uns aber auch schon wieder auf unser Bier am Abend im Park am Hafen, wo wir schon wieder der Jazzmusik lauschen.
Hier sind sie, endlich können wir sie wieder feste umarmen – Tanya und Urs warten im Café auf uns. Nach 30km haben wir Tokyo erreicht, sind erstaunt, wie leicht wir in diese Stadt einfahren konnten und wie spät wir erst realisiert haben, dass das Zentrum gar nicht mehr weit ist. Wir checken ein in unser Hotel und das Zimmer ist tatsächlich gross genug für uns beide und unsere Fahrräder – denn ein Fahrradparkplatz ist weit und breit nicht in Sicht, auf dem Bürgersteig an der Hauswand abstellen darf man sie auch nicht – und hier fängt dann unsere Odysse an. Aber erst einmal saugen wir die Luft, die Stimmung, die „Vibes“ von Tokyo ein! Ab geht es, in die U-Bahn, die pünktlich und häufig fährt – aber wir erleben es kein Mal, dass die Passagiere von freundlichen behandschuhten Mitarbeitern in die Waggons geschoben werden. Wir schlendern mitten hinein ins Gewühl, lassen uns mitreissen und bewundern die grossen flackernden LED-Werbetafeln, die Hochhäuser und Hotels und die Menschenmassen die wie ein stetig fliessender Strom sich aneinander vorbei bewegen ohne je zu stocken, ohne jegliche Berührungen, ohne Zusammenstösse. Am Strassenrand stehen junge Frauen und auch junge Männer, herausgeputzt und kostümiert, die Frauen meist in kurzen rüschigen Kellnerinnenkleidern mit einem Plakat in der Hand und wir fragen uns, was sie denn anbieten. Das finden wir dann ein paar Tage später heraus, als wir unser Mittagessen, ganz bewusst, in einem solchen „Maid Café“ bestellen. So etwas muss man einfach einmal erlebt haben, um es zu glauben. Die gesamte Einrichtung im Café ist kitschig, rosa-hellblau-gelb. Die Kellnerinnen sind sicher alle älter als 18, wirken aber wie 15 und locken die vorwiegend männliche Kundschaft mit ihrer Kindlichkeit. Wir werden am Tisch persönlich begrüsst, die Kellnerin macht scheinbar lustige Spielchen mit uns, verschränkt die Finger zu Herzen und nimmt dann unsere Bestellung auf. Der Kaffeeschaum wird mit Schokolade verziert – Hello Kitty lacht uns an. Als Mittagessen gibt es ein kindgerechtes Menü bestehend aus Reis, Rührei und wenig Salat. Das Rührei wird mit Ketchup verziert („Do you want a bunny, a dog or a cat? »), Urs nimmt den Hasen, Roman die Katze und ich den Hund, und wir alle würden am Liebsten den Laden sofort verlassen. Stattdessen beobachten wir die anderen Gäste, die oft einzeln, aber auch als Pärchen erschienen sind. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, die Damen mit den schwarz-weissen Rüschenkleidern und den Schleifen im Haar sind Psychologinnen; sie nehmen Kontakt auf mit den einsamen Herzen – ob Herr oder Dame ist egal – sie nehmen sich Zeit, hören zu, lachen viel und lassen sich dann – gegen Entgeld versteht sich – auch gemeinsam mit einem Gast fotografieren. Nein, diese Cafés sind keine Puffs, auch keine Kontaktbars. Die Kellnerinnen dürfen nicht berührt werden. Es ist einfach aus unserer Sicht Wildwuchs einer Welt, in der immer mehr Menschen unter Einsamkeit leiden. Wir jedenfalls sind nicht einsam, uns stösst diese Art Kontakt ab und wir sind froh, als unsere Stunde vorbei ist, wir uns wieder unter die Menschen in den lauten und mit Reklametafeln vollgestopften Strassen mischen können. Wir sind in Akihabara, das Quartier ist berühmt für seine Manga-Figuren (typischer japanischer Comic) und die mehrstöckigen Geschäftshäuser, in denen man für jede Manga-Serie die entsprechenden Fanartikel bekommt. Und nicht nur das, manch eine/r läuft sogar stundenlang als seine Lieblings-Mangafigur verkleidet herum. Wir hingegen laufen unverkleidet in die nächstbeste Spielhölle und schnappen uns die Trommelschlegel, versuchen den vorgegebenen Rhythmus nachzuspielen und freuen uns, dass wir alles andere als einsam sind!
Tokyo ist – nein, besser: war – bekannt für seinen Fischmarkt, für die Thunfischauktionen, die schon in den frühen Morgenstunden stattfinden. Diese konnte man als Tourist von den oberen Rängen der Auktionshalle beobachten und anschliessend an den Verkaufsständen vorbeischlendern. Dann wurde ein neuer Fischmarkt gebaut, nun steht ein riesiges Ungetüm von mehreren miteinander verbundenen Hallen am Hafen, die interessierten Besucher werden über lange Fussgängerbrücken bis zu grossen Fenstern geleitet, von denen aus man dem Treiben, wenn man denn möchte, weit entfernt von Geräuschen und Gerüchen zuschauen kann. No fun! Das macht keinen Spass! Dann schauen wir uns doch lieber die Stadt von oben an, dafür ist der Mori-Turm mit seiner Aussichtsplattform auf dem 56. Stock sehr gut geeignet. Und am Abend zieht es uns nach Shibuya, dort auf der Kreuzung vor dem Bahnhof überqueren bei jedem Fussgängergrün mehrere Hundert bis sogar mehrere Tausend Menschen gleichzeitig die Strasse. In einem anderen Stadtteil, Shinjuku, schaut hoch über der Stadt Godzilla über das Dach eines Hotels, recht eindrücklich. Wir geniessen es sehr, mit unseren lieben Freunden die fremde Stadt zu erkunden und zu entdecken, mit ihnen gemeinsam den Tag mit einem Milchkaffee zu beginnen und vielleicht mit einem guten Sushi am Abend zu beenden.
Aber da ist ja noch die Sache mit den Fahrrädern, und die raubt uns während der 5 Tage in Tokyo den letzten Nerv. Hier die Kurzfassung:
Fahrradkarton zum ersten: wir bekommen einen, weit entfernt von unserem Hotel, die Box ist riesig, wir transportieren sie in der U-Bahn (alle Japaner schauen weg; ist sicher verboten), schlussendlich stellen wir fest, dass wir diese Grösse gar nicht im Flugzeug mitnehmen dürfen.
Fahrradkarton zum zweiten: wir bekommen zwei Kartons, weit entfernt vom Hotel, die Boxen sind winzig, wir transportieren sie zu Fuss durch die Stadt (alle Japaner schauen weg; so etwas macht man sicherlich nicht), schlussendlich passt jeweils ein Fahrrad ohne Vorderrad hinein.
Transport: wie schon beschrieben ist in Japan alles klein, alles winzig, alles «miniature». Das trifft auch auf die Taxis zu. Einen Vormittag verbringen wir damit, verschiedene Taxi-Unternehmen, Airport-Bus, Pakettransportdienst, Touristeninfo … uvm anzurufen, nur um immer wieder zu hören: oh, Fahrräder, die transportieren wir nicht. Oh, Fahrräder, nein, da können wir Ihnen auch nicht weiterhelfen. Diese Antworten erhalten wir von ca. 20% der Kontakte. Die anderen 80% haben kein englisch sprechendes Personal und somit haben wir keine Möglichkeit, uns verständlich zu machen. Unser Hotel hat keinen Empfang, wir können nur telefonisch kommunizieren und da heisst es: wir haben keine Kapazitäten, Ihnen dabei zu helfen. Es ist zum Haare ausreissen! 2 Tage vor Abflug haben wir immer noch keinen Transport. Unsere letzte Rettung ist dann die Rezeptionistin in einem Hotel der Nachbarschaft. Sie spricht mit ihrem Manager und organisiert uns dann – obwohl wir nicht bei ihnen wohnen – ein geräumiges Taxi, das uns am Samstagmorgen um 6.00Uhr abholt. «Angela-san» ruft der weiss-behandschuhte Fahrer und läuft uns entgegen. Knapp, ganz knapp, passen Räder, Gepäck und wir dazu in das Fahrzeug und eine Stunde später stehen wir am Terminal. Ein wichtiger Schritt ist geschafft. Aber jetzt kommt noch das Check-in. Die zwei Vorderräder, die nicht in die Fahrradboxen gepasst haben, haben wir mühevoll in eine selbstgebastelte Box gepackt, die ist nun in ihren Dimensionen zu gross. Wir haben weder zu viele Gepäckstücke noch zu viel Gewicht. Aber die Box hat 20cm zu viel «Umfang» und somit müssen wir zuzahlen. Das wissen wir und nehmen wir in Kauf (das ist das am Anfang beschriebene Lehrgeld). Wegen dieser «Unregelmässigkeit» und der dadurch überforderten Mitarbeiterin stehen wir 35 Minuten am Check-in Schalter bis, ja bis die Räder und das Gepäck auf dem Laufband liegen.
Was bleibt uns von Japan? Es ist ein hoch technologisiertes Land, gefangen in alten Traditionen, dies macht es manches Mal für uns sehr fremd, sehr verschlossen und sehr hart. Japan ist aber auch ein sehr schönes und in sich homogenes Land. Es bietet dem Besucher grossartige Tempel, sehr schöne Strassenzüge, üppige Landschaften. Mit Hingabe bauen die Japaner die schönsten Gärten, dekorieren die schönsten Hauseingänge, arrangieren sie die Malzeiten wunderschön. Es scheint uns als sei der Sinn des grossen Ganzen nichts anderes als Harmonie. Jeder Mensch scheint darauf bedacht, eine gute Atmosphäre zu schaffen, der Umgang miteinander ist ruhig, vorsichtig und sehr höflich.
Das Land hat uns berührt, wir möchten mehr erfahren, mehr Zeit mit den Menschen verbringen, noch weiter hinter die Schiebetüren schauen, tiefer in die Reisfelder waten. Unsere Neugier auf Japan ist noch nicht gestillt.