Turkmenistan

31.08.-04.09.2013, Asgabat, Mary, Turkmenabad

Wenn
– Du am Grenzposten in Militärbegleitung auf’s Klo gehst
– Du 25USD pro Person für eine 30km-Busfahrt von der Grenze in die Stadt zahlst
– Du ca. 500 Höhenmeter durch Wüstenlandschaft bergab fährst
– Du in der Ebene vom strahlenden Weiss der Stadt geblendet wirst
– Du das Gefühl hast, in einem James-Bond-Film – oder Disneyland – gestrandet zu sein
– Du überall von Marmor aus Carrara (oder der Türkei) umgeben bist
– Du kein Foto dieser unwirklichen Stadt machen darfst
– Du an jeder Ecke das Bild von „Chasperli II“ mit einem Stift in der Hand siehst
– Du an jeder 2. Ecke von einem streng schauenden Polizisten an- oder weggepfiffen wirst
– Du an jeder 3. Ecke von den wenigen Passanten NICHT angeschaut wirst
– an jeder 4. Ecke ein Park in unendlicher Grösse darauf wartet, gepflegt aber nicht genutzt zu werden
– um 23:00Uhr per Gesetz die Bürgersteige hochgeklappt werden
– am nächsten Morgen ebendiese Bürgersteige von eifrigen Landsmänninnen mit Putzeimer und Putzlumpen gereinigt werden
– das Hotel kommunistisch, alt und dreckig ist
– du weisst, dass in jedem Hotelzimmer Abhöranlagen sein können
– Schülerinnen rote lange Samtkleider als Schuluniform tragen
– schon 6-jährige Schüler (wie alle anderen) mit schwarzer Hose, weissem Hemd und schwarzer Krawatte zur Schule gehen
– alle Kinder die gleiche Kappe auf dem Kopf tragen

Dann
– bist du in Asgabat (Turkmenistan) angekommen!

Wir sind bisher in keinem vergleichbaren Land gewesen! Kein Land hat uns mehr überrascht, verwirrt. Kein Land hat uns emotional weniger berührt.

 

Aus dem Iran, dem Gewusel in Mashad, der tiefen Religiosität dieser Stadt, hat es uns herauskatapultiert in eine uns unverständliche Welt. Turkmenistan hat seine Unabhängigkeit 1991 erklärt, und sich im Verlauf dem Personenkult verschrieben. Der erste „Führer der Turkmenen“ – wir nennen ihn immer unverfänglich „Chasperli I“ hat in grössenwahnsinniger Manier seinem Volk eine Bibel geschrieben. Dazu hat er das Land mit goldenen Statuen seiner selbst überschwemmt, mit riesigen ungenutzten Parks und überdimensionierten weissen Marmorbauten. Er hat sein Volk von der Aussenwelt abgeschottet, sich selber von seinen Mitmenschen und solche, die ihm zu nah getreten sind aus lauter Verfolgungswahn umgebracht.
Nachdem der Unsterbliche 2006 doch das zeitliche segnete, kam „Chasperli II“, sein Lakei, an die Macht. Die goldenen Statuen des Vorgängers sind zum grossen Teil geblieben, die Bilder auf Plakaten, über Ministerien und Museen wurden durch ein neues Portrait mit Kugelschreiber ersetzt.

Asgabat ist irreal: weite Strassen, Marmor im Stadtzentrum, Plattenbauten am Stadtrand, im Süden ein mit Marmor eingefasstes Riesenrad, das in einsamer Flur steht. Wir haben uns kaum getraut, die Fotokamera auszupacken, zu oft wurden wir angepfiffen, wurden gefragt, ob wir denn fotografiert hätten – was streng verboten ist. Auch mit den Menschen sind wir nicht in Kontakt gekommen. Zum einen ist natürlich die sprachliche Barriere vorhanden: meine wenigen Russischvokabeln und die wenigen englischen Worte der Turkmenen haben nicht zu einem Gespräch gereicht. Andererseits ist bisher in keinem Land so eindeutig „durch uns durch“ geschaut worden, wie hier. Sobald wir jemanden anlächelten, schaute dieser weg, ging weg.

Der Tolkuchka-Basar, ein highlight im Reiseführer, ursprünglich ein Basar der Nomaden, hat gänzlich sein Flair verloren seit er nicht mehr „irgendwo im nirgendwo“, in der Wüste stattfindet. Seit die Waren nicht mehr auf Decken am Boden angeboten werden und die Tiere nicht mehr am Rand des Basars wild durcheinanderlaufen. 2010 wurde der festinstallierte Basar in Betrieb genommen, immer noch 9km nördlich von Asgabat, nun aber mit riesigem weissen Marmor-Eingangstor, mit grossen, unpersönlich-kalten Ausstellungshallen. Nach 2 eher langweiligen Stunden sind wir in die Stadt zurück gefahren.

Das Café direkt gegenüber unseres schäbigen Hotels war unsere Rettung. Schon lange haben wir keinen so guten Cappuccino mehr getrunken. Hier konnten wir uns sogar mit dem Servierpersonal ein wenig unterhalten. Hier haben wir auch die Musik gehört, der wir gefolgt sind bis zu einem der vielen weissen Ministerien. Mädchen in roten langen Kleidern und Jungs in schwarz-weiss führten Tänze auf. Zugeschaut hat niemand – ausser den Tänzern selber und „Chasperli II“ mit Stift von hoch über dem Eingang. Dies sei eine Zeremonie, hat man uns erklärt. Ähnliches haben wir am Vorabend schon erlebt und an den kommenden beiden Abenden in Mary und Turkmenabad ebenfalls. So wird das Volk beschäftigt; jeden Abend eine Zeremonie, so hat man keine Zeit zu denken oder auf andere Ideen zu kommen.

Von Asgabat nach Mary waren wir über 5 Stunden unterwegs. Eine Fahrt mit Taxi durch die Wüste zu einer weitläufigen Stadt ohne Leben. Unser ausgewähltes Hotel war nicht auffindbar; niemand kannte Hotel oder Strasse. Also sind wir erneut in einem Kommunistenbau mit Etagen“fräulein“ und knarrenden Dielen gelandet. Renoviert wurde hier zuletzt wohl in den 50er Jahren. Touristen zahlen 2.5x so viel wie Einheimische, was ja grundsätzlich nicht so tragisch ist. Aber 50USD für Dreck und auseinanderfallende Badezimmer?! …. wir haben dennoch gut geschlafen.

Zuvor haben wir voller Tatendrang die Gegend erkundet und sind auf eine ausgesprochen gemütliche Teestube gestossen – Tische im Freien unter Bäumen, viele Gäste, guter Tee, leckere „Fidchis“ (Hackfleischpasteten) und endlich einmal interessierte und aufgeschlossene Menschen. Vielleicht liegt es daran, dass Mary weniger weissen (einschüchternden) Marmor hat, weniger hellblaue (einschüchternde) Polizisten und weniger überdimensionierte (einschüchternde) Bilder von „Chasperli II“ mit Stift. So sind wir am Abend dann auch mit einer Gruppe Schülerinnen – diesmal in grüner Schultracht – und Schülerm, wie üblich in schwarz-weiss, ins Gespräch gekommen.
Vor der imposanten Moschee – gegenüber eines imposanten, marmornen Ministeriums – warteten Männer und Frauen auf ihren Einsatz zur abendlichen Zeremonie; auch hier wurden wir angelächelt, erstaunlich.

Am nächsten Morgen wollten wir im Café nebenan frühstücken. Anscheinend aber wurde irgendwo in Turkmenistan Staatsbesuch aus China erwartet. Deswegen kein Frühstück, so hiess es. Speziell, aber uns erstaunt nichts mehr. In einem Laden haben wir doch noch Essbares gefunden und auf ging’s in Richtung Turkmenabad.

Erneute 3 Stunden mit dem Taxi durch die Wüste, erneut Ankunft in einer leblosen Stadt. Erneute Unterkunft in einer heruntergekommenen Kommunistenbude. Gegenüber vom Bahnhof steht das neue Lebap-Museum. Ausnahmsweise – und weil ansonsten ja auch nicht gerade wahnsinnig viel los ist – wollten wir der Kultur in Vitrinen frönen.
Also hinein in den riesigen weissen Marmorklotz, die Türe ist offen. Anscheinend jedoch nur für das Putzpersonal, denn heute ist Grundreinigungstag ….
Die nette und übereifrige Direktorin kommt auf uns zu, erfährt, dass wir morgen keine Zeit mehr haben und im nächsten Moment leuchten alle glitzernden Kronleuchter! Auf unserer Privatführung durch weisse Räume mit goldenen Verzierungen können wir das wirklich schmucke Museum bewundern; wir bewundern neben den interessanten und gut dargestellten Ausstellungen über Land und Leute, Kultur und Seidenstrasse ganz besonders die Vitrinen im Zentrum des Bauwerks. Wir sehen Poster neben Poster in beleuchteten Glaskästen, auf denen „Chasperli II“ in den unterschiedlichsten Posen und bei den unterschiedlichsten Tätigkeiten zu sehen ist, ausnahmsweise ein paar Mal auch ohne Stift. Denn dieser macht sich nicht gut im OP (Chasperli ist klinischer Zahnarzt), oder beim Motocross. Beim Händeschütteln mit verschiedenen im Westen verpönten Staatsoberhäuptern sind auch gerade keine Unterschriften oder Abhandlungen fällig, ebensowenig kann der musikalische Präsident einen Stift in die Hand nehmen, wenn er in einer Yurte Dutar spielt oder auf einer Zeremonie zum Akkordeon greift.
Schon ein toller Hecht, dieser Mann, der 2007 mit 89% zum Präsidenten gewählt wurde. Die Wahlbeteiligung lag bei 99%. Die Turkmenen lieben ihre Präsidenten!

In einem der vielen ungenutzten Parks haben wir ein freie Bank gefunden 😉 und dort die nächsten Stunden mit lesen verbracht. Beim Eindunkeln habe ich mich im Hauseingang vertan, und wir sind anstatt in einem guten Restaurant in einer Quartierkneipe gelandet.
Nach der ersten Irritation haben wir uns niedergelassen, eine Pizza gegessen und mit den Jungs am Nachbartisch gequatscht. Der Wodka macht die Zunge nicht nur schwer, sondern auch redselig und mit Händen und Füssen haben wir ein paar Sätze austauschen können. Bis einer zur Gitarre greift – zuerst wird noch die Kneipentüre geschlossen – und die wunderbarsten alten russischen Liebeslieder zum Besten gibt. Mitsingen oder mitweinen, das war die Frage.
So haben wir zum Ausklang unseres „Schnupperaufenthaltes“ doch noch ein wenig in die Seele der Turkmenen blicken können. Wie gross aber in ihrem Herzen der Platz für den Präsidenten ist, wird unter den aktuellen Umständen wohl kein Aussenstehender erfahren.