Usbekistan

04.-13.09.2013, Khiva – Buchara – Samarkand

Roman hatte zuerst das Gerät an der Stirne. Es ging alles so schnell – und am Schluss wussten wir beide, dass wir kein Fieber haben. Das war alles. Wir hatten uns die ärztliche Untersuchung an der Usbekischen Grenze doch noch etwas anders vorgestellt.
Kaum im Land, kaum glücklich, die Turkmenische Grenze hinter uns zu lassen, haben wir alle Vorsicht fallen gelassen und unsere restlichen Manat (turkmenische Währung) für einen unverschämt niedrigen Kurs getauscht. So etwas passiert einem halt auch auf einer langen Reise, wenn die Aufmerksamkeit einen Augenblick nachlässt. Nun denn.
Irgendwie schaffen wir es dann, für einen unverschämt hohen Dollar-Preis ein Taxi zu organisieren, das uns nach Khiva fährt. Denn dort warten Urs und Tanya auf uns.

 

Unseren Weg durch Turkmenistan mussten wir bei Visumantrag vor Wochen schon festlegen. Nun waren wir festgelegt und sind bei Buchara herausgepurzelt, 500km entfernt von unseren Freunden. Kein Problem, denn wir sind ja mittlerweile reiseerprobt, fahren also mit o.g. überteuerten Taxi von der Grenze nach Buchara (1h), von Buchara nach Urgench (7h) und von Urgench nach Khiva (30min) um dort um 21:00Uhr in der wunderbaren Mohammed-Amin-Khan-Medressa eines der besten Hotelzimmer auf unserer Reise zu beziehen. Wie schön, von 2 Freunden in den Arm genommen zu werden, die den weiten Weg auf sich genommen haben um irgendwo auf dieser Welt die nächsten 9 Tage mit uns zu verbringen!

Auf der Suche nach Nahrung – Brot und (Schmelz-)Käse haben uns während der Fahrt nicht wirklich befriedigt – machen wir die ersten Schritte durch die Museumsstadt Khiva, gehen die 500m von West-Tor bis zum Ost-Tor. So etwas haben wir noch nie gesehen! Innerhalb der 2.5km, rechteckigen und sehr gut erhaltenen Stadtmauer befinden sich ca. 60 Medressen (Koranschulen) die zu Museen, Handwerkslokalen, Hotels oder Restaurants umgebaut wurden. Die Stadtmauer selber ist „uneinnehmbar“ – die Russen haben dies über mehrere Jahrhunderte erfolglos versucht, bis es ihnen 1873 dann doch gelang.
Wir haben immer noch Hunger, und das gute Restaurant am Ost-Tor schliesst gerade. Zum Glück finden wir ein hübsches Plätzchen an anderer Stelle und können den ersten Abend mit unseren schweizer Freunden ausgiebig geniessen.

Khiva, was lässt sich dazu sagen? Eine gut erhaltene und gut restaurierte Stadt mit musealem Charakter, viele – VIELE – Touristen innerhalb der Stadtmauern, Unmengen an Souvenirständen und noch wesentlich mehr Gebäude, die es wert sind, angesehen zu werden. Alleine schon das niemals fertig gestellte grösste Minarett der Welt mit einem Grundmauerdurchmesser von ca. 10m muss man einmal umrundet haben. Auch wenn man von diesem Punkt aus nicht – wie 1851 von Mohammed Amin Khan geplant – bis Buchara sehen kann.

Abseits der gut ausgebauten und autofreien „Hauptstrassen“ gelangen wir auch innerhalb der Stadtmauer in Wohnquartiere. Naturstrassen und einfache Häuser, Kinder die uns – trotz der vielen Touristen – immer noch freundlich „hello“ zurufen, Abfallhaufen und Baugruben, und sengende Hitze in der Mittagszeit. Ausserhalb der Stadtmauer ist Basar. Und genau so stellen wir uns einen zentralasiatischen Basar vor: unter notdürftig befestigten schattenspendenden Tüchern, auf Wolldecken am Boden, auf wackeligen Tischen, in Säcken oder Holzkisten finden wir ein Angebot vor, das seinesgleichen sucht. Fahrradspeiche? Kein Problem. Zündhölzer? Logisch. Tupperdose? Was denn sonst! Schnur und Schrauben, Dosen und Behälter, Werkzeug und Ersatzteile. Aber auch, natürlich, Tomaten und Paprika, Gurken und Kürbis, Melone und Pfirsich, Zwetschgen und Trauben. Dazu noch Zucker und Bonbons, Nüssli und Rosinen, Kuchen und Pralinen. Und noch vieles mehr!
Nicht nur in Medressen, Minaretten, Mausoleen und Moscheen sondern auch hier sind hier einige der besten Fotos entstanden.

Medressen, Minarette, Mausoleen und Moscheen haben wir dann erneut und zur Genüge in Buchara gefunden. Genau wie in Khiva ist der touristisch schön restaurierte Teil autofrei. Die Bauwerke, könnte man meinen, wiederholen sich – was aber nur bedingt stimmt. Rund um Lyabi-Hauz – ein Pool mitten in einem baumreichen Platz – befinden sich ein kleiner Teil des überdachten Basars, ein Restaurant, ein Wohnhaus aus dem 17. Jh sowie 2 Medressen. Alle Bauwerke sind üppig verziert und ausladend in ihrer Grösse. Das gleiche gilt für den Basar im nördlichen Teil des touristischen Bezirks sowie den Registan-Platz dieser Stadt. Wunderbar, diese Kacheln in allen Blautönen, die sich mit dem Gelb und Grün friedlich vertragen und die Backsteinstrukturen so richtig zur Geltung kommen lassen. Die Minarette, die sich aufgrund ihrer Höhe kaum auf ein Foto bringen lassen, diese zentralasiatischen „geknautschten“ Kuppeln mit ihren Faltenrockfalten leuchten in Türkisblau bis tief in die Dämmerung hinein. Wir sind erstaunt und überwältigt. Natürlich wussten wir – theoretisch – was uns erwartet. Aber diese Unmenge an gut erhaltenen bzw. gut restaurierten Gemäuern ist erschlagend. So tut es dem Auge ganz gut, wenn wir uns auch einmal in die einfachen Wohngebiete begeben, zweistöckige Häuser in Lehmbraun anschauen und die Menschen vor ihren Häusern sitzen sehen. Wir freuen uns über einfachste Grab-Gedenkstätten an einer Hausecke, ganz in Weiss und mit animistischen Symbolen verziert. Wir freuen uns über ein schönes kleines Guesthouse, das einen Raum seit Jahrhunderten nicht restauriert hat, in dem wir die Farben und Muster, die über die ganze Stadt verteilt sind, einmal im Orginal bewundern können.
Noch mehr Kacheln, Mosaike, Moscheen und Minarette sehen wir im Bakhautdin Naqshband Mausoleum aus dem 14. Jahrhundert, ausserhalb der Stadt. Dies ist eines der wichtigsten Heiligtümer im Sufismus, hier liegen Mutter und Sohn – Begründer des Sufiordens – begraben, auch hier über dem eigentlichen Schrein ein animistisches Symbol: zum Schutz (wovor?) hängt eine zerrupfte Pferdemähne an einem langen Pfahl über dem Grab.

Zur Abwechslung besuchen wir wieder einmal einen Basar, ein vergleichbares Erlebnis mit Khiva, ausser uns keine Touristen. Sehr interessierte und freundliche Menschen, ein Gewusel aus Farben und Formen, ein Gemisch an Gerüchen und Eindrücken begleitet uns während 2 Stunden. Anschliessend finden wir die Wohngebiete im „neuen Teil“ der Stadt; Wohnblöcke im Grün, umgeben von Naturstrassen und einem Netz von Rohren in 2m Höhe, die Wasser hin und Abwasser wegbefördern.
Im Abendlicht schaffen wir es dann auch noch in die Festung aus dem 5. Jahrhundert. Bis 1920 haben hier die Emire gewohnt, mit ihren Ministern und der übrigen Entourage. Eine Stadt in der Stadt, umgeben von einer imposanten Mauer innerhalb derer sich Ställe und Moschee, Wohnhäuser und Krönungssaal befinden.

In Buchara, heisst es, war die Lebenserwartung im 19.Jahrhundert ca. 32 Jahre. Das lag vor allem am Bewässerungssystem, an den über 200 Wasserbecken, an denen die Bevölkerung sich traf zum Schwatzen und Wasserholen. So haben die Bewohner dann auch ihre Infekte und Seuchen aufgelesen.
Im 21. Jahrhundert hat sich dies natürlich drastisch gebessert. Die Wasserrohre in der Neustadt (und überall sonst) sehen zwar nicht sonderlich vertrauenserweckend aus, das Wasser nutzen wir nicht einmal zum Zähneputzen, aber die allgemeine Hygiene in Restaurants und Hotels ist gut. Allein der eigentlich schöne Kanal liegt direkt neben dem Abwassersystem, das aufgrund von Korruption nie so gebaut wurde, wie die Gelder dafür zugesprochen wurden. Das Ergebnis ist rund um die Haupttouristenattraktion – Lyabi-Hauz – zu sehen und zu riechen. Und wenn man Pech hat auch zu spüren. Wir machen einen grossen Bogen um die stinkenden Pfützen die aus dem Kanal auf den Bordstein blubbern. Wir sehen aber auch eine Reisegruppe im Dunkeln ihren Weg ins Hotel suchen. Sie ziehen ihre Koffer durch ebendiese Lachen und später heisst es dann, das Essen im Hotel sei nicht gut gewesen.

Wir erreichen Samarkand ohne den typischen usbekischen Magen-Darm-Infekt. Einer von uns hatte sich schon in Khiva einen Nachmittag ins Bett gelegt, das reicht!
Unsere Reiserichtung stimmt. Die Städtefolge Khiva – Buchara – Samarkand können wir weiterempfehlen, es wird von Stadt zu Stadt besser! Wir empfehlen aber auch – entgegen unserer Reise – zwischen den Städten jeweils einen oder zwei Tage zu pausieren. Sei es Wandern in den Nuratau-Bergen oder Schwimmen im Aydarkul. Ansonsten besteht die Gefahr der Kachel-Überdosierung. Wir bemerken heute, am 3. Tag in Samarkand, die ersten Symptome und haben deshalb schleunigst einen Trip in die Natur gebucht.

Samarkand ist wunderschön. Wie schon in den beiden anderen Städten ist das Zentrum für Touristen hergerichtet und die alten Quartiere wurden durch – eher unschöne – Mauern vor neugierigen Blicken geschützt. Unser Eindruck ist, dass die Anwohner dies sehr zu schätzen wissen, sie haben uns immer wieder freundlich aber bestimmt aus ihrem Wohnbereich auf die verkehrsberuhigten Hauptstrassen verwiesen. So sind wir am ersten Abend vorbei an der Bibi-Khanym Moschee bis zum Shah-i-Zinda flaniert, in die Gasse der Mausoleen. Nach all den wunderbaren Gebäuden, den tollen Mosaiken, den vielen Moscheen und Minaretten, den Mausoleen und Museen hat diese Strasse uns erneut zum Staunen gebracht. Auch diese Grabstätten sind aus dem 14. Jahrhundert und wirken am Besten im Abendlicht, so wie heute. Auf dem sich anschliessenden Hügel befindet sich der moderne Friedhof, der mit seiner für uns ungewohnten Anordnung der Gräber, den speziellen Grabsteinen und der Ausbreitung über Hügel und Tal ebenfalls einen Besuch wert ist.

Registan. DER Platz in Usbekistan, den man besucht haben muss. DER Platz, der jeden zentralasiatischen Reiseprospekt ziert. DER Platz, den wir nach unserer Ankunft mit vollem Gepäck weitläufig umgangen sind. Denn – ob ihr’s glaubt oder nicht – die chinesische Regierung ist uns mit einer Delegation dicht auf den Fersen. Erst gab es kein Frühstück in Turkmenistan, wegen den Chinesen, und nun ist Samarkand gesperrt wegen dieser Delegation. Das Taxi hat uns am Rand des Zentrums abgesetzt und wir sind auf indirektem Weg und nach Diskussion mit unzähligen Polizisten, 2km später tatsächlich in unserem Hotel angekommen. Heute aber ist der Registan „geöffnet“, heute wollen wir das Highlight der usbekischen Restaurationswütigkeit auf uns wirken lassen. Eindrucksvolle Medressen, wunderbare Kacheln und Mosaike und viel, viel Platz! In diesem Land kommen wir aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
In der Ausstellung wird uns dann bewusst, wie der Registan, der Shah-i-Zinda, die Bibi-Khanym-Moschee und alle anderen wunderbaren Bauten vor ca. 100 Jahren ausgesehen haben. Auf einmal kommt mir wieder in den Sinn, dass die Restaurationen Fragen aufgeworfen haben, dass nicht immer alles so durchgeführt wurde wie mit der UNESCO vereinbart, dass die Farben, die uns jetzt so beeindrucken vielleicht gar nicht die richtigen Farben sind. Und uns wird klar, was uns bei all der Pracht hier fehlt: Leben! Denn auf den alten Fotos sehen wir neben den Ruinen des Registan den Marktplatz mit Menschen und Tieren, wir hören fast den Lärm, der diese Gebäude damals umgeben haben muss.

Diesen Lärm, dieses Gewusel und ein Stück Authentizität holen wir uns dann auf dem Marktplatz der am Rande des Registan in einer dafür vorgesehenen Halle abgehalten wird. Hier finden wir „echt usbekischen Safran“, schwarzen Sesam, getrocknete Joghurtkugeln und runde, glänzende Brotlaibe die regelmässig in die Hände genommen und mit einem öligen Lappen abgewischt werden. Gut, dass wir das nicht vorher wussten. Hier sehen wir Goldzähne und bunte Tücher, hier finden wir ein Plätzchen mitten unter Usbeken, wo uns die Kanne Tee für 4 Personen ganze 1000 Som (= 30Eurocent) kostet.

Jeden Mittag und jeden Abend haben wir einem anderen Restaurant einen Besuch abgestattet. Immer in dem Bewusstsein, dass kaum ein Usbekistan-Reisender seinen Urlaub ohne Durchfall übersteht. Freunde von Urs und Tanya haben sogar ihren 4-wöchigen Urlaub nach 2 Wochen abbrechen müssen … noch geht es uns gut!

Das Essen in diesem Land ist schmackhaft; auch wenn die meisten Gerichte auf Fleischbasis zubereitet werden so sind sie divers und reichhaltig. Fleischspiesschen – wie schon in den vorherigen Ländern – sind an der Tagesordnung. Meist wird Lamm- oder Schaffleisch verarbeitet. Ausserdem gibt es leckere Kürbisgerichte, Suppen und Lagman. Das sind hausgemachte lange und dicke Pasta in einer … Fleischsosse. Falls sie nicht gerade für Tourgruppen eingerichtet sind, erinnern die usbekischen Restaurants eher an Russland. Karg eingerichtet, Plastiktischdecken, Sparlampen an den Decken und Kellner die zack-zack-hopp-hopp die Bestellung aufnehmen wollen. Wir fühlen uns hier wohl, wir schaffen es immer wieder einen kleinen Einblick in die Lebenskultur der Eiheimischen zu erhalten.

Um den Einblick zu vertiefen werden wir morgen zu einem 4-tägigen Trip in die Bergregion nördlich von Samarkand und südlich des Aydar-Sees aufbrechen. Wir werden in kleinen Dörfern bei Gastfamilien wohnen und hoffentlich Teil ihres Alltags werden.
Für uns ist dieser Ausflug in die Natur eine gute Gelegenheit die tollen 9 Tage mit Urs und Tanya noch einmal Revue passieren zu lassen. Unsere unkomplizierten Reisegefährten vermissen wir jetzt schon!

14.-20.09.2013, Nurata-Berge (Asraf, Sentyob) – Taschkent

Irgendwann kann man einfach keine Mosaike, Medressen, Moscheen, Mausoleen oder Minarette mehr sehen. Zumindest ist es uns so gegangen. Die Tour in die Nurata-Berge hat sich gelohnt. Gelohnt als Ablenkung von grosser Geschichte und kerniger Kultur, aber auch als Blick auf ein ganz anderes Usbekistan.

Wir erreichen Asraf am frühen Nachmittag, nach ca. 5 Stunden Autofahrt. Auf dem Weg in die Berge wurden wir nun zum ersten Mal „gefilzt“ – abgesehen von den Grenzüberquerungen.
So stehen wir also zu fünft am Kofferraum, ein Polizist rattert wie ein Maschinengewehr ‚open-open-open‘ und zeigt dabei wahllos auf verschiedene Container und Beutel in Romans Rucksack. Mit gewissem Genuss und in einer Gemütsruhe zeigt Roman seine Unterwäsche (noch ist sie –in diesem Fall: leider- recht ansehnlich) oder sein Reisenecessaire. ‚What is this?‘ diese imperative Frage hallt in unseren Ohren, während uns unsere Literatur – aktuell vorwiegend Krimis – unter die Nase gehalten wird. Zum Glück haben wir weder Bilder von nackten Frauen noch politische Texte dabei – und wir können mit Chaos in den Rucksäcken nach ca. 10min weiter fahren.

Asraf liegt paradiesisch in einem schmalen Flusstal, das Guesthouse ist gleichzeitig auch das erste Haus des weitläufigen Dorfes. Nur zu Fuss, mit Eseln oder per Pferd können die Nachbarn – 16 Familien insgesamt – sich besuchen. Die Wege sind schmal, staubig und holprig; am Ende des Tals türmen sich die Berge auf. Dort, in den Bergen, grasen jetzt immer noch die Schafe, Rinder und Ziegen des Dorfs, ca. 20km entfernt auf den Sommerweiden. Hier in „unserem Paradies“ wohnen Vater, Mutter, Sohn Furqat (25J) mit Ehefrau und den eigenen 2 Söhnen, sowie Sohn Rahmat (21J) der recht gut englisch spricht und vermutlich nächstes Jahr verheiratet wird, denkt er.
Wohlig strecken wir uns unter den Walnussbäumen aus, lassen uns frisch gepflückte Äpfel schmecken und schauen zunächst einmal bei der Walnussernte zu. Die Nüsse werden mit einem langen Stock aus dem Geäst geschlagen. Hohe Haufen grüner Kugeln liegen überall herum. Anschliessen beteiligen sich alle daran, mit einem kleinen Messer bewaffnet, die grüne Aussenhülle zu entfernen. Dass dabei die Finger schwarz werden, kümmert niemand. Ca. 3 Tage trocknen die Nüsse in der Sonne, danach werden sie in Säcke verpackt und zum Basar gebracht.

Rahmat führt uns durchs Dorf, wir sehen einen 1000(!) Jahre alten Maulbeerbaum – riesig, verwinkelt, verzweigt – und das kleine Schulhaus für die 16 Kinder der Region. Alles ist ruhig, nur zwischendurch lässt ein Esel sein orgiastisches Brüllen hören – immer wieder einen Lacher wert.
Das künstliche Wasserreservoir wird nach einem festgelegten Schema täglich von einer anderen Familie genutzt, so dass alle ihre blühenden und ertragreichen Gärten wässern können. Nach ca. 30min Fussweg über schmale Wege erreichen wir den alten Teil des Dorfs. Hier wohnten die Familien früher (bis wann?) sehr beengt beieinander. Heute verfügt jeder über ein sehr grosses Stück Land. Nicht zuletzt hat auch die deutsche GEZ (Gesellschaft für …. Zusammenarbeit) mit ihrem „comunity based tourism“-Projekt dazu beigetragen, dass die Nurata-Region prosperiert und dass wir in den Genuss eines wunderbaren Aufenthaltes kommen.

Eigentlich machen wir nicht viel, hier in Asraf. Das ist ja genau das, was wir wollten. Wir trinken Tee, wir lesen, wir quatschen, wir essen, wir schauen den Bäumen beim Wachsen zu oder schmusen mit dem wunderbar wild-anhänglichen drei Monate alten Kater. Ausser uns sind noch zwei Frauen – Andrea (45) aus England und Lizzy (26) aus Australien im Paradies. Sie sind auch mit von der Partie als wir mit Furqat 3 Stunden lang die Berge unsicher machen und einen atemberaubenden Blick über das Tal und weiter über die Steppe bis hin zum Aydarkul (Kul=See) in unserem Gedächtnis – unserer „Karma-klick“ – und unserer Kamera festhalten.
Sie sind ebenfalls am zweiten Morgen mit dabei, als Roman eine hergezauberte Kerze ausblasen darf und seine Geschenke auspackt. Schön, so eine kleine improvisierte Geburtstagsparty.

Nach der „Party“ reisen wir weiter, in das nächste Dorf. Dort, so hat man uns schon zuvor angekündigt, läuft alles etwas touristischer. Nicht nur ist das Dorf grösser – Sentyob hat 2500 Einwohner – sondern auch das Gasthaus ist auf Tourgruppen eingerichtet. Die Lage ist nichtsdestotrotz erneut wunderbar! Ebenfalls in einem Flusstal gelegen, mit Walnuss- und anderen Bäumen bewachsen und im Hintergrund wieder die Berge! Wir spazieren mit dem „Mountainguide“ in Badelatschen (!) los, hoch zum alten Dorf in dessen Ruinen sich die Schafe und Ziege tummeln. Auch hat hier in den 70er Jahren einmal eine Villa gestanden, mit grossem Swimmingpool und allem drum und dran. Jetzt liegt der Pool wie ein Zeugnis vergangenen Hochmuts leer und leblos am Fuss der Felsen. Unten, am Fluss zeigt unser Bergführer auf Felsenzeichnungen aus der Bronzezeit, die in friedvoller Eintracht neben den Felsenzeichnungen aus dem späten 20. Jahrhundert verblassen („Egon was here“). Meine Frage nach Konservierung und Schutz der (bronzezeitlichen !) Geschichtszeugnisse versteht der Bergführer nicht.
Vor dem Abendessen führt uns ein kleiner Spaziergang ins Dorf. Hier in der Dämmerung weichen wir auf der Hauptstrasse Eseln und Pferden aus, grüssen freundliche Gesichter mit strahlenden Goldzähnen und begegnen einem Bild, das fast an die Weihnachtsgeschichte erinnert: eine Mutter sitzt mit Baby auf dem Arm in bunten Kleidern auf einem Esel, der Vater geht mit langem Stock nebenher. Aber wir begegnen auch unbändigen Jugendlichen, die statt mit den Fahrrädern eben mit Eseln „in den Ausgang“ gehen; einer hält noch schnell am Kiosk an und kauft ohne Abzusteigen einen Kaugummi …

Mit Andrea und Lizzy verstehen wir uns gut, wir haben 3 angenehme Tag mit ihnen verbracht und auch am vierten Tag, dem Abreisetag für uns nach Tashkent, geniessen wir noch die gemeinsame Fahrt zum Aydarkul, die Fahrt bis nach Jizzakh wo sich unsere Wege trennen.

Zu Tashkent können wir nicht so viel erzählen. Das Guesthouse im alten Teil der Stadt, nahe beim Chorsu (Basar) war recht gemütlich. Hier haben wir uns viel aufgehalten, einen „komischen Magen“ auskuriert und lange geschlafen.

Wir haben einen halben Tag auf dem Markt verbracht – leider wird zurzeit viel gebaut und der Markt ist etwas undurchschaubar. Wir haben das „Hotel Usbekistan“ gesehen, das sich wie ein grosses Buch vor dem Amir Timur Platz erhebt. Das Pferd der Statue mitten auf dem Platz soll seiner Männlichkeit beraubt worden sein; wer diesen üblen Scherz warum ausgeführt hat weiss niemand.
Des Weitern haben sind wir die leblosen Alleen entlang spaziert, haben arbeitslosen Karikaturisten über die Schulter geschaut und das Denkmal der Weinenden Mutter – ein Denkmal für die über 400`000 gefallenen Usbekischen Soldaten des 2. Weltkrieges – bestaunt.
Die Metro ist eindrucksvoll, jede Station auf ihre Weise, aber leider ist fotografieren strengstens verboten und das Polizeiaufgebot gross.
Ebenso eindrucksvoll ist das permanente Zirkuszelt (aus Stein und Beton), vor dem sich auch am späten Abend noch die Familien tummeln. Hier gibt es Eiscreme und Pommes frites, Kinderspielplatz und Springbrunnen, Grossleinwand mit Disneyfilmen und kitschige Plastikfiguren auf den Wiesen.
Ganz in der Nähe essen wir zu Abend, in einem Lokal namens „National Food“. Eigentlich eine grosse Kantine mit gewisser Gemütlichkeit und vollem Einblick in die Küche. In grossen oder gar riesigen Töpfen gart alles, was das usbekische Herz begehrt. Plov und Suppe, Kohlrouladen und Kichererbsen, Lammragout und die usbekische Variante des iranischen „Aob guuscht“. Auch wenn der Name des Restaurants auf Touristen zu zielen scheint, so sind wir die einzigen Ausländer unter ca. 70 Gästen.
Nur wenige Schritte vom Guesthouse entfernt, an der Hauptstrasse, war jeden Abend Party. Nicht in einem Lokal, sondern gleich in mehreren wurden Hochzeiten abgehalten, immer nach dem gleichen Schema (wie uns Elena erzählt hat): weisses ausladendes Brautkleid, dunkler Anzug für den Bräutigam, mehrere „Torbögen“ aus weissem Taft vor dem Eingang aus dem laute Musik dröhnt. Drinnen mehrere hundert Gäste, die sich an runden Tischen den Bauch vollschlagen; getrunken wird alles Mögliche, aber eines ist sicher: eine Hochzeit ohne Coca-Cola zeigt, dass die Brauteltern geizig sind.
Neben diesen auffälligen „modernen“ Hochzeiten wird auch immer noch traditionell geheiratet. Wenn die Brautleute Glück haben, haben sie ihre Partner selbst gewählt, aber das ist bei weitem nicht immer der Fall. Die Braut wird von dem künftigen Gatten bei ihren Eltern abgeholt, verschleiert und weinend. Sie darf den ganzen Tag nicht lachen, das bringt Unglück. Die gesamte Brautfamilie weint – zeremoniell und zu Recht. Denn ab heute dürfen Mutter und Tochter sich nicht besuchen ohne Einwilligung der Familie des Bräutigams. Die Tochter kehrt nicht mehr nach Hause zurück und Besuch der eigenen Eltern darf sie nur im Kreis der Schwiegerfamilie empfangen. Die Braut wird ab dem Hochzeitstag als Arbeitskraft und Mutter der zukünftigen Enkel in die Familie des Bräutigams aufgenommen. Dies beginnt mit der Entschleierung im Haus des Ehemanns – wobei seine Rolle dabei unbedeutend ist. Wichtig ist, dass die zukünftige Mitbewohnerin vor den anderen Familienmitgliedern entschleiert wird. So hat Elena es uns erzählt; sie ist gebürtige Kirgisin, wohnt seit dem 10. Lebensjahr in Deutschland und macht zurzeit im Rahmen ihres Studiums ein Praktikum in Nukus – Karalkapakstan; das ist die nord-westlichste Region in Usbekistan.
Als dritte Möglichkeit, den Bund für’s Leben einzugehen gibt es auch hier in Usbekistan immer noch den Brautraub. Das ist scheinbar preiswerter für beide Familien, die Hochzeit fällt weniger pompös aus und die Brautleute können von jetzt auf gleich zusammen wohnen. Somit gibt es neben dem „einseitigen“ Brautraub (Mann sieht Frau, nimmt sie mit und sie muss bleiben) auch den Brautraub mit Einverständnis der Frau. Hat eine Frau ohne Begleitung das Haus eines jungen Mannes betreten ist es um ihre Unschuld geschehen, niemand anders wird sie mehr heiraten wollen.

Elena und Philipp, ihr Freund, haben uns auch unterstützt, als wir Romain und Anais wiedergetroffen haben. Diese beiden jungen französischen Radfahrer kreuzen seit dem Iran immer wieder unseren Weg. Sie sind mit wenig Geld und viel Enthusiasmus vor Monaten in Frankreich aufgebrochen und schlafen meist privat. Das ist super, finden wir, und sie kommen auch sehr nah mit der Bevölkerung in Kontakt. In Turkmenistan z.B. haben sie über „couchsurfing“ Kontakt zu jungen Turkmenen und Einblick in ihr Leben erhalten – etwas, das an uns nun wirklich vorbei gegangen ist.
In Usbekistan hingegen ist es ungünstig, wenn man nicht in anerkannten Hotels oder Guesthouses übernachtet. Jede (!) Nacht im Land muss mit einer Registrierung vermerkt werden. Das sind kleine bunte Zettelchen, die man schnell mal verlieren kann, auf denen Passnummer und Übernachtung erkenntlich sind. Ohne diese seit Einreise lückenlos gesammelten Papiere bekommt man bei einer Passkontrolle durch die Polizei Probleme und findet man in Taschkent keine Unterkunft. Am Boden zerstört sassen die beiden jungen Franzosen nun eines Abends in unserem Guesthouse, das sie bald wieder verlassen mussten. Auch der unermüdliche Einsatz von Elena und mir – herumtelefonieren, Couchsurfing und Warmshowers zu Rate ziehen – sowie die emotionale Unterstützung mit einer Flasche Bier und etwas zu essen von Roman und Philipp haben leider keinen Erfolg gezeigt.
Wir haben später erfahren, dass Romain und Anais nach ihrer 100-km-Tagesetappe die ganze Nacht kein Auge zugemacht haben und erst am Morgen des nächsten Tages ein Hotel gefunden haben, das ein Auge zugedrückt hat.
Wir haben für jede Nacht in Usbekistan eine Registrierung. Zum Glück aber ist dieses Relikt aus Zeiten der Sowjetunion im Nachbarland Kirgisien mittlerweile abgeschafft.

20.-25.09.2013, Fergana – Margilon – Andijon – Osh (Kirgistan)

Von Tashkent sind wir per Sammeltaxi in etwas über 5 Stunden bis nach Fergana gefahren.

Fergana-Tal. In der Schweiz sind mir bei diesem Wort Bilder in den Sinn gekommen, verklärte Bilder von grünen Bergen und Flüsschen, die sich durch schmale Täler schlängeln, von einfachen Menschen in einfachen Lehmhäusern, von Grenzen, die man mit dem Wechsel der Strassenseite schon einmal überqueren kann (und so in Gefahr gerät), von einem Schmelztiegel der Kulturen. Jetzt sind wir hier und es ist ganz anders.
Warum diese Region sich „Tal“ nennt, ist uns schleierhaft. Nachdem wir einige wenige raue Berge überquert hatten, sind wir lange durch fruchtbare Ebenen gefahren, auch in der Ferne keine Erhebungen mehr sichtbar. Baumwolle wird hier angebaut, ebenso Sonnenblumen, Weintrauben und vieles mehr.

Wir erreichen Fergana, eine mittelgrosse Stadt in der die Bauwut ausgebrochen ist, die Strassenverläufe sich geändert haben und alte Häuser abgerissen wurden. Zuvor noch sind wir von unserer Mitfahrerin im Sammeltaxi mehrfach eingeladen worden, sie doch in Margilon zu besuchen. Die ältere Dame in traditioneller Kleidung, die mit ihrer Enkelin unterwegs war, packte neben ihren beiden Handys während der Fahrt auch ein i-pad aus um mir die Fotos von ihrer Familie zu zeigen, zu zeigen, wie sie wohnen, wie sie essen (viel Bilder mit gedeckter Tafel), wie ihr erwachsener Sohn sich mit Kollegen im Schwimmbad tummelt. So kommt man aus dem Staunen nicht heraus, hier ist mir ja sogar die ältere Generation um einiges voraus.

Die von uns gewählte Unterkunft in Fergana war leicht aufzufinden, an der Klingel aber stand mit Filzstift geschrieben „gostiniza niet“ = kein Guesthouse. In der Malerwerkstatt nebenan haben wir erfahren, dass Sonya, die Besitzerin, nach Kanada ausgewandert ist. Wohin jetzt? Zu allem Überfluss haben sich noch die Telefonnummern im Ferganatal geändert seit der letzten Ausgabe des Lonely Planet. Und so etwas wie „Telefonauskunft“ kennt man anscheinend nicht, wir können kein anderes Hotel anrufen. Larissa, Sekretärin in der Malerwerkstatt, und ihre Freundin machen sich also gemeinsam mit uns auf, fahren uns zu der Unterkunft zweiter Wahl. Valentina ist nicht leicht zu finden. Larissa fragt ein paar Passanten und quatscht sich fest, bis nach 5min ihre Freundin lautstark hupt um sie zurück ins Auto zu bringen. Niemand kennt Valentina, aber plötzlich ist uns klar, wo wir sie finden.
Im Hinterhof werden gerade, direkt vor dem Hauseingang, die Hühner gefüttert, die eiserne Haustüre steht sperrangelweit offen, das Treppenhaus ist verwahrlost. Hier, im vierten Stock läuten wir, auf alles gefasst. Nur nicht auf das: eine kleine pummelige blonde Frau mit pinker Rose im Haar, knalligem Lippenstift, Shorts und Blumenhemd ruft mit russischem Akzent „come in, come in“. Der erste und auch der zweite Eindruck sind wirklich gut. Wir haben ein schönes grosses Zimmer für uns, ein gutes Bad (der Wasserdruck lässt zu wünschen übrig, aber daran kann Valentin nun auch nichts ändern), und am nächsten Morgen „Frühstücksfernsehen“. Extra für uns hat sie die Deutsche Welle eingeschaltet, den Esstisch so platziert, dass wir nur schauen und sicher nicht miteinander reden müssen. Ich glaube, so etwas nennt sich hierzulande Luxus, und für uns ist es während der wenigen Tage in Fergana eine Abwechslung die wir – eben zur Abwechslung einmal – geniessen.

Aus den zwei Übernachtungen bei Valentina wurden ganz schnell vier; viel gibt es zwar nicht zu unternehmen in dieser Stadt, aber wir teilen uns die wenigen Aktivitäten so auf, dass uns nie langweilig wird. Ausserdem geniessen wir es, stresslos am Nachmittag zu schlafen, danach ein wenig durch die Parkanlagen zu schweifen und jeden Abend im gleichen Lokal – wirklich gut – zu Abend zu essen.

Uns zieht es von Basar zu Basar. Angefangen hat alles in Istanbul, vor ziemlich genau 3 Monaten. Seither haben uns in jeder grösseren Stadt die Basare, ihre Händler und das wilde Treiben beeindruckt. Türkei, Iran, Turkmenistan und auch Usbekistan haben uns viel bieten können, in dieser Hinsicht. Wunderbare Fotos sind an diesen Orten entstanden und was könnte auch mehr die Seidenstrasse repräsentieren, als der Handel. Was wir zu sehen bekommen ist der Handel im Wandel. Je näher wir der chinesischen Grenze kommen, desto urtümlicher, ja fast brachialer werden die Märkte.

Der tägliche Basar in Fergana ist wunderbar. Freundliche Gesichter überall, wir sollen doch – bitte! endlich! – ein Foto machen. Wir verirren uns zwischen Kartoffeln und Kräuter, landen beim eingemachten Gemüse und schauen den Schustern über die Schulter. Frauen sitzen am Boden und verkaufen Äpfel, überall schieben sich umgebaute Kinderwagen durchs Gewühl, gefüllt mit der morgendlichen Ernte oder frisch gebackenem Brot. In der Ferne hören wir das Gebrüll der Kühe, die nur ungerne auf den nächsten Lastwagen verfrachtet werden. Uns umgeben Rauchschwaden und der Geruch von Somsas aus dem Tandori-Ofen. Alles in allem ein Bild, das fesselt, aber auch nach einigen Stunden ermüdet. So viele verschiedene Menschen, Situationen, Geräusche und Gerüche können wir kaum auf lange Frist ertragen. Nach zwei Stunden – die Kamera ist mittlerweile heiss gelaufen – zieht es uns in das grosse weiche Bett bei Valentina; Mittagsschläfchen ist angesagt.

Sonntag. Heute werden wir den grössten Basar im Fergana-Tal aufsuchen – dachten wir. Aber die Baumwollernte hat Vorrang, der Basar ist geschlossen; dafür sind die meisten Händler nun am Basar in Margilon, zu dem wir jetzt fahren.

Wer wie wir meint, er habe nun wirklich schon viele Basare gesehen; wer meint, kaum ein Gewühl könne ihn noch überraschen, der ist noch nicht am Kuntepa-Basar gewesen. Wir haben ja nur die abgeschwächte Form erlebt. Wie muss es dann erst an anderen Sonntagen zu- und hergehen?! Die Menge schluckt uns, wir werden geschubst und gedrängt – aber immer liebenswürdig.

Am Eingang stehen Frauen mit selbstgenähten traditionellen Wintermänteln. Direkt dahinter gibt es rotes Zuckerwerk, gegenüber kann ich Brot kaufen. Wenige Schritte weiter können wir rechts abbiegen, hier wird es ruhiger. Nein, wir brauchen kein Fahrrad, und auch kein Doppelbett, dass auf dem Dach eines Lada transportiert wird. Die anderen Möbel auf anderen Autodächern können wir unter anderem als Spiegelkommode oder Tisch identifizieren. Nichts ist zu gross, um auf ein Autodach zu passen. Nach kurzer Zeit stürzen wir uns wieder hinein, in das bunte Menschenmeer voll lächelnder Gesichter. Bisher haben wir noch kein Volk kennengelernt, das mit mehr Ruhe und Gelassenheit, mit mehr Gleichmut und Freundlichkeit, mit mehr dosierter Neugierde und Offenheit durchs Leben geht. Und zwar durchgehend vom Nordosten (Khiva) bis zum Südwesten (Fergana).

Auch bei 30°C im Schatten ist allen bewusst, dass bald der Winter kommt. Fellstiefel sind heute im Angebot. Ebenso Tücher in allen Farben und Mustern, Stoffe am Laufmeter, einige davon auch aus reiner Seide. Auch die Palette der Gemüse ist schon recht herbstlich: neben den sauer eingelegten Rüebli, Gürkchen, verschiedenen Kohlsorten und Zwiebeln finden wir Lagerkartoffeln, Lageräpfel und Kürbis zu Hauf. Körbe brauchen wir keine, auch kein Gartenwerkzeug und ebenso wenig eine der wunderbaren niedrigen, schmalen und dick gepolsterten hölzernen Kinderwiegen. Im unteren Drittel des Holzbodens und des dicken Polsters ist ein Loch angebracht. Wofür wohl? Ja, das kleine Geschäft wird mit einem für Jungen bzw. Mädchen speziell geformten Holzröhrchen in einen Topf unter der Wiege abgeleitet. Wir können nur vermuten, dass die Babys dennoch eine Windel tragen, die nur bei grossem Geschäft gewechselt wird. Eigentlich eine gute Idee, so müssen weniger Windeln gewaschen werden.

Hin und her hat es uns geworfen, von einem Ende des Basars zum anderen, wir haben Fellhüte gesehen und Metzgermeister vor ihren Fleischbergen. Wir haben Damenmieder begutachtet und gelernt, wie man Speichen in eine Felge zieht. Wir haben mit den Joghurtfrauen um die Wette gelächelt und getrocknete Käsekugeln kullern sehen. Schliesslich sind wir vor einem Tandori-Ofen gelandet und haben dort unser Mittagessen gekauft. Gegessen haben wir im Chaikhana (Teehaus) mitten im Basar und mitten im Gewühl der hungrigen Einkäufer und Verkäufer. Zunächst war kein Tisch frei, aber – wer hätte das gedacht – der 16-jährige Getränkeverkäufer spricht uns in Deutsch an, schiebt zwei Damen am 4-er Tisch zusammen und wir haben unsere Sitzplätze. Warum nur spricht ein 16-jähriger in Margilon so gut deutsch? Dank sei Marlies, der Deutschlehrerin an seiner Schule; sie scheint ihre Sache wirklich gut zu machen.

Margilon haben wir auch am Folgetag wieder aufgesucht. Diesmal wollten wir die Seidenfabrik besichtigen.Wir sind durch ein unscheinbares Tor in ein weitläufiges Gelände eingetreten. Und hier, zum ersten Mal im Fergana-Tal, sind uns tatsächlich Gruppenreisende (Deutsche, was sonst?) entgegengekommen.
Die Seidenfabrik wurde in den 70-er Jahren gebaut, und seither scheinbar nichts erneuert. Der gesamt Prozess vom Füttern der Seidenraupen bis hin zu den fertigen Stoffbahnen kann komplett ohne Elektrizität durchgeführt werden. Für uns war die Führung auf Englisch – exklusiv nur für Roman und mich – sehr spannend. Wir haben alles verfolgen können, vom Entwickeln der Kokons über den Spinnprozess und das Abmessen der Fadenlänge bis zum Färben und Weben. Daneben gibt es auch die maschinelle Textilherstellung; die Maschinen selber sehen jedoch eher steinzeitlich aus, und die Geräuschkulisse in dem Raum mit ca. 20 ratternden elektrischen Webstühlen ist kaum auszuhalten.

Fergana ist ein verschlafenes Nest, in dem – bis auf den Basar – nicht viel los ist. Es gibt keine Kinos (jedenfalls haben wir keines gesehen), einige wenige Internetläden, keine Bars mit Konzerten oder Musik (abgesehen von dem Klavierspieler in „unserem“ Restaurant) und soweit wir wissen kein Theater. Aber für Familien mit kleinen Kindern ist gesorgt: Im Zentrum der Stadt befindet sich ein grosser Park, der in seiner Weitläufigkeit fast schon an Turkmenistan erinnert. Hier springt ein Springbrunnen höher, schöner und bunter als der andere, hier gibt es jeden Abend Eiscreme- und Zuckerwatte-Verkäufer, hier können die Kinder sich todesmutig in eine Autoscooter setzen, oder in eine „Berg-und-Tal-Bahn“. Sie können auf einem rostigen Kettenkarussell ihre Runden drehen oder sich in der vergitterten Schiffsschaukel um die eigene Achse drehen. Bis spät am Abend sind die Menschen unterwegs. Erst wenn es ganz dunkel ist, und man kaum noch die Hand vor den Augen sieht da zwei Drittel der Parkbeleuchtung eine neue Glühbirne benötigt, finden die Familien ihren Weg nach Hause.

Auch wir gehen heim zu Valentina, packen unsere Siebensachen, frühstücken am nächsten Morgen ein letztes Mal vor dem Fernseher und machen uns dann auf den Weg nach Andijon.

In unserem Reiseführer wird der Ort nur kurz erwähnt, das Massaker von Andijon (Mai 2005) scheint Reisende auch jetzt noch eher fern zu halten. Wir haben es ein wenig bereut, nicht mehr Zeit für diese wunderbar entspannte Stadt zu haben. So zumindest haben wir die Atmosphäre empfunden. Nette, aufgeschlossene und extrovertierte Menschen, schöne Gebäude und – wie sollte es anders sein – ein toller zentralasiatischer Markt. Aber ja, wir haben schon die vielen Polizisten realisiert, Roman wurde von einem Gendarm abgehalten eine Marktfrau zu fotografieren (it’s enough now!) und wir haben auch die vielen pakistanisch wirkenden Gesichter mit Bart und ohne Schnauz registriert.
In die Moschee konnten wir nicht gehen – wegen Renovation geschlossen – aber sie wird sicher wunderschön mit Backsteinboden und Holzvertäfelung.
Gegenüber der Moschee haben wir stattdessen den mobilen Zoo besucht. Wir Touris waren jedoch für die Besucher wesentlich exotischer als die ausgestellten Tiere: ein Braunbär der in seinem 3x3m grossen Käfig unruhig auf und ab ging, ein Löwe in gleich“grossem“ Käfig, der uns zur Freude (?) mit einem Stock malträtiert wurde, Füchse in Kaninchenställen und Eulen zusammengepfercht in einer Art Metallgitterkomposter.
Schnell haben wir das Weite gesucht; das ist für uns kaum aushaltbar; die Usbeken machen sich in diesem Fall jedoch keine Gedanken zu artgerechter Tierhaltung.

Für Andijon hätten wir gern noch einen Tag mehr Zeit gehabt, hätten gerne den Basar am Morgen erlebt und im modernen Teil die Menschen beobachtet. Aber unser Plan steht, es zieht uns weiter ins nächste Land.
Kirgistan, wir kommen.