2022 Portugal

Wer hat sie erfunden, die Pflastersteine?

Es gibt sie hier in allen Variationen: gross und klein, dick und dünn, rund und eckig. Aber eines haben sie alle gemeinsam: es klappert gewaltig beim Drüberfahren. Wir sind sicher, es waren die Portugiesen.

auf Pfeil in Bild klicken und stöbern…

 

27.08. – 03.09.2022

Flughafen Porto – Póvoa de Varzim – Ponte de Lima – Monçao – Ponte de Lima – Guimaraes – Porto

Aber nun mal der Reihe nach: Noch nie sind wir so «easy» mit den Rädern und dem Flieger unterwegs gewesen. Vorbereitung ist alles – und so mussten wir uns das erste Mal auf keinerlei Diskussionen wegen Übergrösse einlassen: Vorderradgepäckträger, Vorderrad und Pedalen abbauen, Lenker quer stellen, Velo in Karton, zukleben, fertig! Und in Porto: Die Kartons kamen per Förderband in der «Área de Montagem de Bicicletas» an, wo wir genügend Platz (aber nicht genügend Licht) hatten, für den Zusammenbau. 20 Minuten später konnten wir starten.

Frau Google Maps ist unsere stete Begleiterin, enttäuscht uns kaum. Sie findet Wege durch Dörfer, über Felder und durch Wälder, sucht uns gewissenhaft Fahrradrouten heraus, wenn es denn welche gibt und erklärt uns genau, wie viele Höhenmeter wir zu bewältigen haben. Aber eines kann sie nicht – sie macht keine Vorhersage zum Strassenbelag.

Am ersten Tag machen wir um Porto einen grossen Bogen, es zieht uns in den Norden, an den Atlantik. Póvoa de Varzim ist gemacht für Badeferien, ein Strand reiht sich an den anderen, Strandbars und wind-/sonnengeschützte Liegeplätze wechseln sich ab. Wir erreichen diesen «Sehnsuchtsort» nach 23km, von denen wir 17km über … ja, über Pflastersteine gefahren sind. Und wir haben Dörfer, Ortschaften, Hügel, Wälder und Felder gesehen, die uns im Nu hineinkatapultiert haben in dieses Land, das wir bisher noch nicht kennen.

Was ist – für uns – typisch für den Nordwesten Portugals? Zum einen – und das gilt sicherlich für die gesamte Küstenregion – ist es der Bacalhau, Stockfisch. Zu Bergen aufgetürmt liegt dieser unansehnliche Trockenfisch trapezförmig in jedem noch so kleinen Lebensmittelladen, der Geruch durchzieht die Gassen und auf den Speisekarten finden wir Gerichte, von denen wir noch nie gehört haben. Die Zubereitung ist aufwendig, die Mahlzeiten nahrhaft und im Restaurant (fast) immer zu reichhaltig. Typisch sind auch die Pastelarias, in denen es morgens süsses Gebäck und Kaffee, mittags Sandes (= Sandwiches) und Suppen gibt und wo man am Abend bei einem Bier oder Vinho verde mit den Nachbarn den Abend ausklingen lassen kann. Die Städte und Dörfer also riechen nach Fisch, Vanille und Caramel, in den umgebenden Hügeln riecht es nach Anis und wilden Kräutern.

Auf unserer Fahrt von Póvoa de Varzim nach Ponte de Lima und vor allem später auf dem Weg nach Monçao fahren wir durch Eukalyptuswälder, durchsetzt mit portugiesischen Eichen (Quercus lusitanicus), Farn und wilden Kräutern. Wir sehen am Strassenrand wildwachsende Hortensien mit grossen Dolden, Heidekraut an den Berghängen und Wein – wildwachsend oder gezähmt, aber immer üppig! Es ist grün, hier im Norden und nur ganz selten passieren wir einmal eine kleine, verbrannte Fläche, können uns aber gut vorstellen, wie sich das Feuer in trockeneren Regionen an der Rinde der hohen Bäume entlangschlängelt, die lanzettenartigen Eukalyptusblätter erfasst und von den ätherischen Ölen und stetigem Wind gefüttert ganze Berghänge schwarz färbt.

Am ersten Tag schon sind wir sehr erstaunt nach ebendieser Fahrt über 17km Pflastersteine. Wir erreichen den Atlantik und damit einen 2-spurigen Radweg entlang der mässig befahrenen Küstenstrasse. Am zweiten Tag dann führt uns Frau G. Maps von Viano do Castelo über 15km Ecovia (=ausgeschilderter Rad- und Wanderweg) nach Ponte de Lima. Und so geht es dann eigentlich im ganzen Land weiter – im Norden finden sich viele ausgeschilderte Radwege – v.a. entlang der Flüsse, teils geteert, teils als «single trail» über Stock und Stein, aber immer instandgehalten und verlässlich. Im westlichen Zentralportugal müssen wir mit der automatischen Wegfindung ein wenig «spielen» um nicht auf den grossen und stark befahrenen Strassen wie z.B. IC 2 zu landen – auf der Radfahren sowieso verboten ist; stattdessen radeln wir z.B. über eine N108 oder N342 – oder noch besser: eine M605 – und kommen in den Genuss das Flair der kleinen Gemeinden, bäuerlichen Dörfern oder kleinen Städte zu erleben.

Ponte de Lima liegt am Jakobsweg, uns sind immer wieder Wanderer mit schweren Rucksäcken auf dem Weg nach Santiago begegnet. Auf der anderen Seite der alten römischen Brücke steht dann auch ein Pilgerhostel. Wir aber reisen in die Gegenrichtung, nächster Halt Guimaraes. Dieses putzige Städtchen soll die Wiege Portugals sein, da hier König Alfons I geboren wurde und er Guimaraes 1139 zur ersten Hauptstadt des jungen Landes Portugal machte. Als Kulturhauptstadt 2012 hat sie – so behaupten wir – viel von ihrem Flair eingebüsst. Reduziert auf Burg, Taufkapelle von König Alfons I, den Paço Ducal und die hübsche aber irgendwie leblose Altstadt hat uns Guimaraes leider nicht viel zu bieten. Die Touristenmassen (wir machen uns immer bewusst, dass wir ja auch dazu gehören …) sind hier dennoch eher harmlos im Vergleich zu Porto.

Einen Vorteil haben Touristenstädte jedoch, falls man dies als Vorteil ansieht: es wird an vielen Orten – Restaurants und Cafés vor allem – Englisch gesprochen und verstanden. Ja, das hätten wir nicht gedacht. Portugal ist Europa, portugiesisch eine romanische Sprache. Und dennoch fühlen wir uns wie in China. Wir lesen die Worte, wissen ein wenig über die Aussprache von Vokalen und Konsonanten in bestimmten Zusammenhängen. Wir geben unser Bestes – aber das ist ganz und gar nicht gut genug! Wortenden werden verschluckt oder genuschelt; Silben betont oder eben nicht, und immer ist es ganz anders, als wir es aussprechen. Ob wir nun in Portugal eine Wegbeschreibung brauchen oder in China – die Verständigung ist zumindest anfangs ähnlich holprig.

Ui, die Strecke nach Porto war doch gar nicht so lang, nur 54km und 300 Höhenmeter, aber fast alle von uns an diesem Tag gewählten Strassen waren stark befahren, es war laut, teilweise eng und gefährlich und dazu noch heiss. Dann aber die Einfahrt in diese doch wirklich imposante Stadt: vorbei an der komplett blau verkachelten «Capela das Almas» über breite Einfahrtsstrassen und schmale steile Kopfsteinpflastergassen, wir waren begeistert. Unweit von Ribeira hatten wir ein kleines Studio mit Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer für uns, die ganze Stadt konnten wir uns erlaufen.

Ja, und was soll ich jetzt sagen? Porto ist schön, keine Frage. Eindrucksvoll auf vielen Hügeln gelegen, mit unzählbaren historischen Gebäuden, dem Douro, der Ponte Dom Luis I, die erbaut wurde von einem Schüler des berühmten Eiffel, noch bevor dieser den Turm in Paris hingestellt hat und die hinüberführt nach Gaia und zum «Mosteiro da Serra do Pilar». Wir haben auch den Bahnhof São Bento angeschaut, wunderschön übrigens, – zusammen mit hunderten anderen Touristen, wir haben uns durch die Rua das Flores gekämpft und uns gefragt, was man in so einer Strasse eigentlich macht – Souvenirladen an Souvenirladen unterbrochen nur durch kleine Fresslokale und dazu Menschenmassen, wie wir sie seit mindestens 1 Woche nicht mehr erlebt haben. Wie alle anderen haben wir uns ans Ufer des Douro begeben, sind in Ribeira spazieren gegangen, haben Fotos gemacht, wie sie in millionenfacher Ausführung in den verschiedenen europäischen Haushalten zu finden sind – und sind dann aber, zum Glück, einfach weiter gegangen. An dem Punkt, wo die Masse den Weg wieder nach oben zur Kathedrale einschlägt – über einen Aufzug oder über Treppen – sind wir einfach weiter geradeaus gegangen und haben in einer sehr kleinen Kneipe ein schönes, uns unbekanntes, portugiesisches Bier (Bohemia) getrunken, sehr lecker! Wir haben uns erholt vom Trubel, bevor wir uns wieder hineingestürzt haben, um unsere Mägen zu füllen.

Essen in Portugal – das ist so eine Sache für sich. Hauptgerichte sind währschaft, wie der Schweizer sagen würde, eine recht bodenständige Küche. Vegetarier haben es schwer, denn in jedem Gericht – sogar allen aufgeführten Salaten – ist entweder Fleisch, Fisch oder Poulet irgendwie verarbeitet. Wir beginnen unsere Tage sehr genussvoll in einer der vielen Pastelarias. Das sind wunderbare Treffpunkte mit grosser – oft riesiger – Auswahl an süssen Teilchen, die einfach zum anbeissen lecker aussehen. Da gibt es zum Einen die bekannten «Pasteis de Nata», aber auch Berliner gefüllt mit Creme, es gibt Blätterteigrollen mit Schokolade gefüllt und Biskuit-Rollen mit irgendeiner Creme, es gibt … ich könnte einfach weiter machen, und die ganze Seite füllen. Hmm und dazu ein Kaffee mit Milch und unser Morgen ist gerettet! Manchmal gehen wir aber auch an der Theke zwei Schritte weiter nach rechts denn dort liegen die Pizza-Stücke und Blätterteilrollen mit Schinken und Käse, dort können wir superleckeres Brot kaufen, und uns fürs Frühstück – wenn der Hunger mal nicht «süss» ist – ein Sande (=Sandwich) mit Schinken, Prosciutto oder/und Käse zubereiten lassen. Noch weiter nach rechts gehen wir am Morgen nicht, denn dort ist, in der gleichen Pastelaria, eine Bar mit Bierausschank, Wein und Schnaps angegliedert. So kommt es vor, dass wir morgens bei unserem Milchkaffee (café com leite) sitzen und an der Bar dem älteren Herrn das Glas Wein schon zum dritten Mal gefüllt wird. Mittags essen wir ganz gerne (wieder) ein Sandwich, oder selbstgekauften Käse, Schinken, Brot und vor allem Oliven. Oder aber es zieht uns erneut in eine der Pastelarias, denn dort gibt es mittags – je nach Wochentag – nun Gemüsesuppe, aber auch Fisch- und Fleischgerichte, deftig mit Fettstücken, Zwiebeln, Kohl und häufig auch Mayonnaise. Am Abend zieht es uns immer wieder gerne in kleine, einfache Restaurants oder Cervejerias, wo wir «Petiscos», Kleinigkeiten, erhalten. Die portugiesische Variante von Tapas, wieder sehr fleisch- und fischlastig mit Bacalhau-Kroketten, aber auch z.B. lang gegarter Schweinebacke, Oktopussalat oder einer der vielen, variantenreichen Würste.

Das beste Abendessen haben wir aber – in der 2. Woche – in Furadouro in einem lokalen Fischrestaurant zu uns genommen. Den Bacalhau hatten wir vorher schon in Form von Kroketten oder aber am Stück mit Zwiebeln, Bratkartoffeln und… Mayonnaise probiert, dort in Furadouro haben wir «Lulas» gegessen …. Tintenfisch, hier vom Grill. Einfach nur köstlich!

Und was trinken wir dazu? Häufig Bier – Super Bock in Porto und Sagres in Lissabon. Aber im Norden hat es uns der Vinho verde angetan. Wer jetzt denkt, das sei primär ein grüner Wein (= Weisswein), der irrt. Vinho verde rosso gibt es nämlich auch, und damit haben wir unsere Reise in diesen unbekannten Geschmack in Ponte de Lima begonnen. In diesem kleinen Restaurant in einer Querstrasse, in dem fast nur Portugiesen gegessen haben, standen Porzellankaraffen mit Rotwein auf den Tischen, dazu handtellergrosse Porzellanschüsselchen, aus denen dieser Wein getrunken wurde. «Den will ich auch!» erkläre ich dem Kellner, und er weigert sich fast, uns eine solche Karaffe auf den Tisch zu stellen, meint, das schmecke uns doch nicht und lässt uns zuerst probieren.

Definitiv gewöhnungsbedürftig! Dennoch haben wir die Karaffe bestellt und geleert, uns auf den nordportugiesischen Geschmack eingestellt – und im Verlauf unserer Reise dann übergeschwenkt auf Vinho verde branco – die weisse Variante.

 

 

04.09. – 11.09.2022

Castelo de Paiva – Furadouro (Ovar) – Praia de Mira – Coimbra – Monte Real – Batalha – Óbidos – (Peniche) Vau – Santarém

Hin und her haben wir überlegt, und uns dann für die Route entlang des Douro bis nach Castelo de Paiva entschieden. Unklar, ob diese N108 nun stark befahren ist oder nicht, breit ausgebaut oder schmal ohne Seitenstreifen, sind wir dann einfach mal drauflosgefahren. Die Ausfahrt aus Porto war ruhig und richtig schön. Wir werden während der ersten 5km nahe am Fluss geführt, lange Strecken auch auf richtigen Radwegen. Später dann wird der Verkehr weniger, erstaunlich wenig, und wir reisen komplikationslos durch meist schöne Landschaft mit oft wunderbaren Blicken auf den Douro. Hier, nahe Porto am Ende seiner Reise durch Portugal, fliesst das Wasser eher ruhig durch ein breites Tal. Ab und zu sehen wir Flussstrände, die rege genutzt werden und auch ich halte meine Füsse ins Wasser, bin also auch im Douro gewesen!

Es geht bergauf – bergab, insgesamt 500 Höhenmeter, obwohl wir doch dem Fluss folgen, aber die letzten 200HM machen wir aus dem Tal heraus in das Dörfchen Castelo de Paiva. Hier ist nichts los, einfach gar nichts, und so sitzen wir am Abend stundenlang vor einem Bier – und später einer Crêpe – bevor wir nach 20.00Uhr endlich das Abendessen bestellen können; vorher ist der Koch noch nicht da. Schon bei der Einfahrt in dieses scheinbar verlassene Dorf haben wir uns gefragt, warum die einsame und leere Bühne vor der Dorfkirche steht, ausgerichtet inklusive Musikboxen gegen den Haupteingang.

Es ist dunkel und für uns fast schon Zeit zurück in die wunderschöne Unterkunft ausserhalb des Dorfes (und 500m vom Dorfplatz entfernt) zu gehen, als wir realisieren, dass sich verkleidete Menschenströme auf dem Weg zur Kirche – und somit zur Bühne – bewegen. Es sind deutlich mehr Umzugsteilnehmer-/innen abwechselnd auf der Bühne als Zuschauer-/innen auf dem Treppenaufgang zur Kirche sitzen – deshalb die Ausrichtung der Bühne zur Kirche, so hat man die Sitztribüne gespart. Urchige Musik begleitet den Umzug traditionell gekleideter Männer, Frauen und Kinder aus unterschiedlichen Regionen Nordportugals die nun angekündigt und mit Auszeichnungen versehen werden. Wir verstehen nichts sind aber fasziniert.

Nun aber zieht es uns ans Meer, Ziel ist es, im Verlauf der kommenden Tage mehrmals am Strand halt zu machen nach einer kurzen Tagesetappe und so auch ein wenig Sommer-Sonne-Strandurlaub-Feeling in unsere 3 Wochen zu bringen. Doch wir haben aber die Planung ohne Rücksprache mit der Wettergöttin gemacht und die macht uns nun also einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Wir kommen – wegen angekündigtem Regen und Sturm – nicht nach Fatima, und wir müssen unsere Reise vorzeitig in Santarém beenden – anstatt wie geplant entlang der Küste, auf dem Eurovelo 1, nach Lissabon einzufahren. 3x insgesamt planen wir unsere Etappen und müssen sie schon am nächsten Tag wieder verwerfen.

In Furadouro – dem Stranddorf bei Ovar – schnuppern wir ein wenig Atlantik-Luft, laufen barfuss im nassen, schweren Sand und lassen uns von den Wellen überraschen, trocknen Hose und Kleid dann bei einem Bier in einer der Strandbars und essen – wie schon beschrieben – das beste Seafood-Menü unserer Ferien.

Im Regen reisen wir nach Praia de Mira, setzen auf der Fähre von São Jacinto nach Gafanha de Nazaré über und ziehen kurzerhand an Aveiro vorbei (ein Besuch hätte sich bei besserem Wetter sicherlich gelohnt). Coimbra erreichen wir bei Sonnenschein auf schönsten radtauglichen Strassen und Wegen und sind begeistert von dieser Studentenstadt, die zwar voller Touristen aber auch voller Flair ist. Spezialität der Region ist Ziegenschmorbraten – und so komme ich zu meinem ersten, köstlichen, Ziegengericht!

Wir verbringen die Nacht auf der anderen Flussseite – in Santa Clara – und sind voller Zuversicht, dass wir am folgenden Tag die 60km und 550 Höhenmeter nach Monte Real gut schaffen – auch wenn wir über Hauptverkehrsadern geführt werden, das nehmen wir in Kauf… Ja, wir nähmen das zwar in Kauf, aber erlaubt ist es nicht – und also beginnt eine kleine Höhenmeter-Odyssee über Dörfer und Nebenstrassen. Wunderschön, aber am Schluss sind es dann doch 10km und vor allem 100HM mehr als geplant. Ein Glück also, dass Monte Real, ausser einem sehr schnieken Kurhotel nicht viel zu bieten hat. Unser Hotel ist schön, die Rezeptionistin sehr extrovertiert und begeistert von uns als Radfahrern und empfiehlt uns zur Stärkung ein Restaurant 2km entfernt. Also gut, nichts wie dahin, einen Vinho verde branco bestellt und Lulas …. Wir sind die einzigen Gäste (um diese Uhrzeit), der Wirt schaltet extra für uns die Lichter im Restaurant ein, wirkt zunächst ein wenig abweisend. Aber dann: im «Alentejo» kann Roman auf Schweizerdeutsch bestellen, der Wirt hat 30 Jahre in der Schweiz gearbeitet und vor kurzem dieses Restaurant in seiner Heimat eröffnet. Er setzt sich einen Moment zu uns, schwelgt ein wenig in der Vergangenheit, und dann bekommen wir ein wirklich gutes Abendessen serviert.

Auch am nächsten Tag entscheiden wir uns gegen den Atlantik, obwohl dieser fast «um die Ecke» liegt. Das Wetter ist instabil, ein Hurricane namens Danielle macht sich auf den Weg an die Küste Portugals und es wird vor extremen Regenmassen, Sturm und Gewitter gewarnt. Ob dies aber so eintrifft, und wann genau, das steht in den Sternen. Die Wettervorhersagen ändern sich von Tag zu Tag und sind äusserst ungenau.

Wir fahren also nur 34km, nach Batalha, und kommen – wie die Jungfrau zum Kind – in den unerwarteten Genuss eines Klosterbesuchs. Unsere Unterkunft ist privat, bei «Lena», sie ist die Mutter eines äusserst hyperaktiven 40-jährigen der uns das Zimmer und die Umgebung zeigt. Beide – Mutter und Sohn sowie dessen Ehefrau – arbeiten im Kloster, verkaufen Souvenirs – und nur deswegen wissen wir überhaupt von diesem Weltkulturerbe, dessen Besuch tatsächlich sehr endrücklich ist. Noch eindrücklicher erscheint uns jedoch das Kloster von Alcobaça, das zusammen mit dem Kloster von Tomar das Dreigestirn der Weltkulturerbeklöster in dieser Region bildet.

Und nun geht unsere Reise langsam dem verfrühten Ende zu, zunächst brechen wir auf nach Óbidos, der komplett mit einer Stadtmauer umgebenen Kleinstadt und komplett erhaltenen bzw wiederaufgebauten Burg. Wir freuen uns sehr auf dieses angebliche Kleinod, vergessen dabei, dass nicht nur wir diesen Reiseführer gekauft und gelesen haben. Der grosse Busbahnhof vor dem Haupttor der Stadtmauer lässt Böses ahnen und – nach Guimaraes und Porto dachten wir zwar, uns bringe nichts mehr aus der Ruhe – unsere Stimmung sinkt tief, sehr tief. Wir schieben uns gemeinsam mit gefühlten 200’000 anderen Touristen durch die engen Gassen mit hübschen Häusern, vorbei an überteuerten Souvenirläden und Bars bzw. Restaurants. Das Ziel aller ist die Burg, die deutlich zu schön saniert ist. Nur der Blick über das weite Land entschädigt uns für das Gewimmel im Ort selber. Es dunkelt langsam ein, die Busse nehmen Fahrt auf, die Touristenmassen halbieren sich. Und dennoch erhalten wir nur knapp noch einen Platz «am Katzentisch» in einem hübschen Restaurant am Rande der Stadtmauer. Für uns ist das, was der stark tätowierte und vermutlich sozialistische Kellner empfiehlt und später serviert fast schon «haute cuisine». Die Schweinebacke, lang gegart in Rotwein, schmeckt einfach nur köstlich, genauso wie die in Teig frittierten langen Bohnen und der heisse Ziegenkäse mit Konfitüre. Hmmm, zum Glück haben wir uns schlussendlich doch für dieses Restaurant entschieden.

Radreisen in Portugal ist grossartig! Wir haben die Nase im permanenten Wind (wie in Norddeutschland: meist bläst er von vorne, selten von hinten, egal in welche Richtung man unterwegs ist). Wir haben die Nase voller Gerüche – nach Fisch in den Dörfern und dazwischen nach Eukalyptus, Pinien und Kräutern. Die Städte riechen eher … nach nichts. Oder wenn schon, dann nach Autoabgasen. Die meisten Strassen sind sehr gut instandgehalten, uns begegnen auf den Nebenwegen, v.a. im Norden, viele, sehr viele Santiago – Pilger. Und wenn uns mal kein Mensch mehr begegnet, haben wir vermutlich wieder einmal eine dieser Strassen erwischt, die im «Nichts», mitten im Eukalyptuswald, auf einem Maisfeld oder aber als Sandstrasse enden. Manches Mal haben wir unsere Räder durch knöcheltiefen weichen Sand gestossen, bergauf durch einen Wald und einfach nur gehofft, dass wir oben auf einen befestigten Weg stossen werden. In solchen Momenten hatten wir das Gefühl, dass die Gelassenheit und Ruhe die die Portugiesen aus unserer Sicht ausmacht, auf uns übergegangen ist. Nicht nur im persönlichen Kontakt sondern auch als Autofahrer scheinen sie bedächtig und unaufdringlich, eher in sich gekehrt und sehr geduldig. In den kurvenreichen Strassen hören wir fast kein Gehupe, werden wir selten einmal übermütig überholt. Eher tuckert ein Auto – oder sogar eine Autoschlange – in unserem Tempo hinter uns her bis die Übersicht zum Überholmaneuver gut genug ist. Niemand scheint sich daran zu stören – am Ehesten noch wir, die wir ein schlechtes Gewissen haben all die motorisierten Gefährte aufzuhalten.

Schon wieder wirft das Wetter unsere Pläne über den Haufen, jetzt ist nämlich Sonnenschein angekündigt, und wir entscheiden uns zu einem Schlenker an den Atlantik, nach Peniche. Im Grunde fahren wir von Óbidos nach Peniche – und fast die ganze Strecke wieder zurück. Einfach auf unterschiedlichen Wegen. Wir kommen vorbei an Orten, an denen wir definitiv weder Urlaub machen möchten noch – wie der Engländer, dem wir auf dem Rad begegnen – ein Häuschen kaufen möchten. Hier, kurz vor der Halbinsel Peniche haben sich «Die Schönen und die Reichen» ihre Häuschen gebaut und gekauft – ein Golfplatz in ehemaligem Waldgebiet nahe am Meer und eine eingemauerte Siedlung mit Einfamilienhäuschen, gekauft von bleichen Nordeuropäern, die sich hier zur Ruhe setzen – und nichts, aber auch gar nichts mit den Einheimischen zu tun habe.

Endlich bin ich im Atlantik – am Familienstrand direkt zu Beginn von Peniche fühle ich das salzige Wasser auf meiner Haut, wiege in den Wellen und freue mich, dass ich zumindest einmal in unseren 3-wöchigen Ferien ein paar Meter in Richtung Amerika schwimmen konnte. Heute ist es heiss, sehr heiss, und wir haben noch viele Kilometer vor uns nach Vau, einem Ort, den niemand kennt, in dem wir aber ein Zimmer in einem wunderschönen Apartment mit Innenhof, Schwimmbecken und Orangenbaum mieten konnten.

Unsere Radreise geht dem Ende zu. Der nächste heisse Tag bringt uns nach Santarém, fast ausschliesslich über Hauptstrassen, und wir erreichen das Pilgerhotel so gegen 17.00Uhr. «Bom caminho» begrüsst uns die vergeisterte Frau am Empfang und ist irritiert, dass wir «einfach nur so» durch Portugal reisen. Ja, das gibt es auch. Sie erzählt uns noch mit glänzenden Augen, dass die Kirchen jetzt wahrscheinlich schon geschlossen sind, aber wir könnten sie ja am folgenden Morgen besuchen. Danach streitet sie sich lautstark mit ihren Angestellten. Amen.

Santarém ist eher untouristisch, hübsch gelegen über dem Tejo und hätte sicher viel zu bieten, wenn es besser instant gehalten wäre. Wir schlendern durch die Gassen, schauen vom Park aus über das Tal in Richtung Bahnhof und auch in Richtung Himmel, der nichts Gutes verheisst. Heute war unser letzter Radeltag, und das stimmt ein wenig wehmütig.

 

 

12.09. – 16.09.2022

Lissabon

In strömendem Regen erreichen wir Portugals Hauptstadt im trockenen Zug. Bei diesem Wetter können wir uns nicht auf den Rädern durch die Strassen arbeiten und finden im Bahnhofsgebäude ein kleines Cafe, essen ein Pastel de Nata und suchen im Handy den Weg zum Hotel heraus. Dieser führt uns dann – in einer Regenpause – mitten durch den Triumphbogen und hinein ins touristische Gewühl. Wir fahren auf städtischen Radwegen über Hauptstrassen ein wenig in Richtung Nordosten in das beste Hotel auf unserer Reise. Leider nur für 1 Nacht, denn danach haben wir ein kleines Apartment gemietet.

Ja, was soll man zu Lissabon sagen. Die Stadt ist schön, sie lebt, in jeder Ecke findet sich etwas anzuschauen, etwas zu kaufen, etwas zu essen. Lissabon ist – im Vergleich zum übrigen Portugal – teuer, was wohnen und Nahrungsmittel angeht. Lissabon hat die Touristenmassen zentralisiert – und bietet dennoch rundherum viel zu entdecken. Zum Beispiel Spraykunst an den Hauswänden, oder Aufzüge, die uns die vielen Höhenmeter in dieser Stadt mit einem Knopfdruck überwinden lassen. Lissabon bietet viel Kultur, zeigt uns aber auch, dass in dieser europäischen Grossstadt der eine oder andere Mensch durch die Maschen fällt. Wir sehen zusammengerollte Schlafsäcke in Nischen, Karton-Betten unter Vordächern und Bettler in den Strassen. Das stimmt uns – nicht zum ersten Mal – nachdenklich.

Was unternehmen wir hier? Wir reisen – wie fast alle Touristen – nach Belém, meinen wir machen es besonders gut und fahren mit dem Bus, landen aber im komplett falschen Quartier und irren herum bis wir ihn finden, den Turm. Er ist eindrucksvoll voll umrandet von Menschen, das Kloster Sao Jerónimo überlaufen und vor der Bäckerei mit diesen berühmten Pasteis de Belém steht die Schlange mindestens 20m lang …… macht das Spass? Uns nicht, und so laufen wir an den folgenden Tagen einfach durch die Quartiere, laufen um die Burg herum, hören Strassenkünstlern zu, schauen in enge Gassen, überblicken die Stadt von den vielen Miradouros aus oder lassen uns – sehr eindrucksvoll – einen Vormittag lang durch das grosse Fussballstadion von Benfica führen.

Wie schon Porto ist Lissabon extrem touristisch. Und dennoch ist es eine Stadt, in der sich wohnen lässt, in der sich leben lässt. Hier wohnen Tür an Türe Portugiesen und Angolaner, aber auch Koreaner, Pakistani und Bangladeshi. Letztere habe scheinbar komplett das Touristenbusiness übernommen, verkaufen in den Souvenierläden portugiesischen Ramsch, servieren portugiesische Spezialitäten in den Restaurants am Triumphbogen genauso wie in den Lokalen der Aussenbezirke. Lissabon ist «Multi-Kulti» – und das gefällt uns. Vor allem auch, da wir in den letzten 2 Wochen genug Bacalhau gegessen haben. Das Koreanische Restaurant um die Ecke ist hervorragend gut. Spannend ist das Abendessen zu zweit alleine in einem grossen leeren Saal in der Moschee. Wir haben selten so gut indisch gegessen. Und zum allerersten Mal in unserem Leben essen wir am letzten Abend Angolanisch.

«Ich komme unser Paket abzuholen». Tiago schaut mich komisch an. Nein es sei nichts angekommen. Wir verzweifeln fast, denn dieses Paket, das sind unsere Fahrradkartons in denen unsere Räder zurück in die Schweiz reisen sollen. Wir beraten uns, dann gehe ich erneut an die Rezeption, bitte ihn, erneut zu schauen – und da taucht das Paket doch noch auf. Puh!

Jetzt heisst es: ab ins Taxi mit Sack und Pack, dann ab in den Flieger und Tschüss Portugal!