Kirgistan

25.09.2013, Grenzübertritt – Osh

Noch vor wenigen Minuten hatten wir fast Tränen in den Augen, als wir Usbekistan verlassen haben. Wir haben mit den Zöllner ein Schwätzchen gehalten, unsere mühsam errungenen und an einem sicheren Ort aufbewahrten Registrationen NICHT zeigen müssen und auch keine Bilder von Baumwolle-erntenden Kindern dabei gehabt. Winkend sind wir ins Nachbarland entlassen worden.
Und niemand hat gemerkt, dass wir jeder ca. 1000Dollar zu viel aus dem Land geschmuggelt haben. Devisen Ein- und Ausfuhr wird in Usbekistan genauestens kontrolliert, aber tief im Fussteil unseres Schlafsackes vergraben hat niemand das Geld vermutet, das Urs und Tanya uns aus der Schweiz mitgebracht hatten. Dennoch hat Roman während knapp einer Stunde „Blut und Wasser“ geschwitzt.

 

Hier, in Kirgistan, wurden wir vom sympathischsten aller Zollbeamten empfangen. Mit einem breiten Lächeln hat er unsere Pässe in Empfang genommen, ein Witzchen über die Schweiz gemacht und uns fast schon mit Schulterklopfen weiter geschickt zu seinem Kollegen, der ihm in nichts nachstand. Als sei der Grenzübertritt hier keine so ernste Sache – wie z.B. im Iran oder Turkmenistan – haben wir erst einmal die Hand gereicht bekommen, erneut Witze gemacht und uns gegenseitig „auf den Arm“ genommen. Er meinte, seine Uhr sei doch wohl aus der Schweiz, aber uns kam sie eher chinesisch vor, was er gar nicht auf sich sitzen lassen wollte. Noch schnell in die Kamera lächeln, ein Stempel in den Pass, danach wurden wir mit freundschaftlichen Gesten hinein geschickt in unser 13. Land.

Usbekistan ist ruhig, gemächlich. Und nun fehlen mir die Worte dazu, was Kirgistan denn ist. Hier ist alles noch ruhiger, noch gemächlicher. Die Menschen sind genauso offen, freundlich und hilfsbereit wie in Usbekistan, einfach etwas weniger neugierig und spontan.

Es war erst Mittag, als wir das Hotelzimmer für 16Sfr/Nacht bezogen. Nachdem wir uns installiert hatten, war es gar nicht so ungemütlich; sogar eine Dusche mit heissem Wasser gab es. Unser erstes kirgisisches Mittagessen haben wir nicht ganz aufgegessen. Somsas (gefüllte Teigtaschen) sind in Usbekistan vorwiegend mit Kohl und Zwiebeln und auch ein wenig Fleisch gefüllt. Hier sind sie eigentlich nur mit Fleisch- und Fettstückchen und wenig Zwiebeln gefüllt … was für Fleisch das genau ist, wollen wir gar nicht wissen; einige Stücke hatten eine recht komische Konsistenz und eine seltsame Form (z.B. röhrenförmig mit grossem Durchmesser).

Und wie immer in den letzten Monaten wollen wir die Stadt durch ihren Basar kennen lernen. Hinein ins Gewühl entlang des Ak-Buura-Flusses. Alles ist weniger organisiert, als im Nachbarland. Wir haben nicht so recht herausgefunden, wo denn jetzt Früchte und Gemüse verkauft wird, und wo Reis, Mehl und Pasta zu finden sind. Alles steht ein wenig durcheinander, ist unübersichtlich. Zwischen Hüten und Taschen werden wir unsanft beiseite gedrängt, von hinten nähert sich ein Handkarren auf dem zwei Kuhköpfe auf den Hörnern liegend miteinander um die Wette schaukeln. Wir sehen Fleisch und Wirbelsäule, hinauf bis ins Hirn, und da kommt uns doch wieder unser Mittagessen in den Sinn. Wenig später sind wir bei den Metzgern angekommen, also hier würde ich KEIN Fleisch kaufen.
Der Markt windet sich gen Süden, wir suchen die Hauptstrasse und einen Geldwechsler.

26.-30.09.2013 (Ösgen) – Ak-Terek – Jalal-Abad – Osh

„Community based tourism“ ist weit verbreitet, hier in Kirgistan. Das bedeutet, dass es auch in kleinen Dörfern einfache Unterkünfte mit Familienanschluss für Reisende gibt. Eigentlich wollten wir ja eine Nacht in Ösgen bleiben, dort – wie sollte es anders sein – den Basar erkunden und einen Blick auf die drei Mausoleen aus dem 12.Jh. werfen. Leider aber war das im Lonely Planet beschriebene Guesthouse geschlossen und die andere „Gostiniza“, die wir finden konnten, war voll.
Das nächste Taxi hat uns nach Ak-Terek gebracht. Hier gibt es eben diesen „community based tourism“. Wir haben uns mitten im Dorf absetzen lassen und mit Händen und Füssen nach einer Unterkunft gefragt. Und – oh Wunder – es hat geklappt! Die Frau, in deren Garten wir mit dem Enkel spielten, hat Tschirmasch angerufen, der nach 10 Minuten tatsächlich gemütlich anmarschiert kam. Tschirmasch ist 62 Jahre alt und vermutlich so etwas wie ein Dorfvorsteher. Mit wollenem Anzug, Sonntagsschuhen und Kirgisenkappe ist er für uns heute der Inbegriff des Kirgisen.

Im Verlauf erfahren wir, dass er seit ca. 30 Jahren mit Touristen arbeitet, vor allem Pferdetrecks durchführt, aber auch Wanderungen. Ich weiss jedoch nicht, wie viele Touristen pro Jahr er tatsächlich sieht, denn nachdem 2009 niemand in diesem Dorf übernachtet hat, sind es nun kontinuierlich jedes Jahr mehr geworden. 2013 sind so viele wie noch nie in Ak-Terek gewesen! Also, mit uns sind es 11 Touristen seit Mai – Wahnsinn!

Tschirmasch wohnt mit seiner Frau Jumagul und den beiden Enkeln Aigerim (11) und Almas (13) auf einem recht ansehnlichen Grundstück direkt gegenüber dem Frischwasser am Strassenrand. Die Eltern der Kinder sind seit einem Jahr in Russland, arbeiten. Jumagul ist heute in Ösgen auf dem Markt, kommt erst am Abend wieder. Wir werden eingeladen in die gute Stube, nehmen Platz auf den weichen Sitzmatten und die Kinder bedienen uns mit Tee, Brot, Marmelade, Honig und Butterschmalz.

Einmalig, wie wir von einer Sekunde auf die andere Teil einer Familie geworden sind. Wir geniessen das Essen und essen uns satt. Das hätten wir besser nicht gemacht, denn nach ca. 30min wird noch mehr aufgetischt: eine grosse Schüssel Lagman für jeden von uns. Na denn, abnehmen können wir später immer noch.

Es ist wunderbar. Nach dem Essen bekommen wir die Gelegenheit, uns auszuruhen. Wohlgemerkt auf den gleichen Sitzmatten mitten im Wohnzimmer, das auch unser Schlafzimmer sein wird. Während Roman schläft wasche ich – wie fast täglich auf unserer Reise – etwas Wäsche. Aigerim und ich müssen ein wunderbares Bild abgegeben haben, wie wir beide vor unseren Waschtrögen am Boden zwischen den Hühnern sitzen, uns die Seife teilen und uns gegenseitig beim Auswringen der grösseren Wäschestücke helfen. Aigerim macht mit ihren 11 Jahren fast alle Hausarbeiten – immer mit einem Lächeln und kindlicher Freude.

Am Abend, auf unserem kleinen Spaziergang durchs Dorf, werden wir von allen herzlich begrüsst. Wir können kaum 5 Schritte gehen, da müssen wir schon wieder Hände schütteln, erklären, dass wir aus „Schweizaria“ kommen und mit Händen und Füssen ein kurzes Gespräch führen, das meist mit einem hilflosen aber freundlichen Lächeln von beiden Seiten beendet werden muss … uns fehlen die Worte für tiefgreifende Unterhaltungen.
Eine Gruppe Männer hat aber verstanden, dass ich Ärztin bin. Ich soll warten, heisst es, dann wird mir ein Blutdruckgerät in die Hand gedrückt. Bitte Blutdruck messen, schön der Reihe nach, und es kommen noch mehr, die wissen wollen, wie ihre Werte sind. Dorfärztin war doch immer schon mein Ziel, hier habe ich wieder einen Vorgeschmack darauf.

Etwas später treffen wir noch auf Ashia, die Englischlehrerin im Dorf. Sie ist 30 Jahre alt, hat 4 Kinder und sieht in ihrem „Morgenmantel“ schon wieder schwanger aus („Many children; that is our tradition!“). Sie erklärt uns einiges zum Dorf, zu den Menschen und zu den „vielen“ Touristen, die dieses Jahr hier waren. Wir verabreden uns mit ihr für den nächsten Morgen, um der Schule einen Besuch abzustatten.

Diese Schulverabredung haben wir jedoch ohne den Gastgeber gemacht. Er hat geplant, mit uns hoch auf den Berg zu fahren um dann in ca. 4h nach Ak-Terek zurück zu wandern. Schön und schade zugleich. Die Schule muss halt warten.

Dafür sitzen wir dann um 9:00Uhr in einem uralten russischen Lastwagen (Marke Zil), der uns von 2100müM auf knapp 3000müM bringen soll. Bringen soll, denn schon nach den ersten 100 Höhenmetern geht der Motor aus und lässt sich immer nur für Sekunden wieder anlassen. Mehrmals öffnet der junge Fahrer die Motorhaube, arbeitet mit Schraubenzieher und Öl, fährt wieder ein paar Meter und die Prozedur geht von vorne los. Schliesslich können wir mit jemand anders in seinem ebenso alten russischen Lastwagen weiter fahren auf dieser staubigen und steilen Strasse. Auf der Hälfte des Weges machen wir Pause und werden zu einem Tee eingeladen. Alles ist so unwirklich. Auf ca. 2500müM steht ein Zelt in Tarnfarbe. Im Zelt steht ein Tisch mit Bänken, ein Bett und – ein Billardtisch! Wir setzen uns und haben schon die Teetasse in der Hand, da kommen die Teller mit Brot, mit gebratenem Fisch und Kartoffel, verziert mit Ketchup. Aber wir haben doch erst vor 2 Stunden bei Tschirmasch gefrühstückt?! Und auch das nicht zu knapp mit einer fetten Lammfleischsuppe.
Den Fisch lehnen wir ab, was gar nicht verstanden wird, vom Brot knabbern wir ein wenig, denn wir haben festgestellt, dass damit er Höflichkeit schon genüge getan ist.

Und weiter geht’s, hinauf auf 3000 Meter. Hier oben wird schwer gearbeitet, mit Baggern und Schaufeln und Lastwagen. Der Koks aus der Mine wird in die Lastwagen verladen und ins Dorf gebracht, das ist die Lebensversicherung für den Winter, der schon bald mit Temperaturen von ca. -20°C über Ak-Terek (und die meisten anderen Dörfer in Kirgistan) herfallen wird. Knapp eine Stunde nach der Teepause im Billardzelt sitzen wir nun schon wieder mit den Arbeitern zusammen. Einer aus der Runde hat gekocht, Kartoffeln mit Hammelfleisch, sehr sehr lecker! Auch hier essen wir nur einen Anstandshappen obwohl es uns so gut schmeckt. Denn unsere Bäuche sind voll, während die Arbeiter sich auf ihr Mittagessen freuen.

…und noch mehr Impressionen

Mittlerweile ist es schon 11:30Uhr, es wird Zeit für den Abstieg. Die Landschaft ist wunderschön, rau und lieblich zugleich. Tief unter uns im Tal fliesst ein Flüsschen, dessen Namen ich vergessen habe, wir stapfen die staubige Strasse entlang, zwischendurch findet Tschirmasch eine Abkürzung quer durch’s Gelände, vorbei an grasenden Pferden und erschrockenen Kühen.

Nach 2 Stunden ist Zeit für eine Pause, wir legen uns ins Gras und essen Brot und Wurst, trinken Wasser und schlafen ein Viertelstündchen. Dann, auf dem weiteren Weg, lauschen wir in die Stille, hören die Vögel zwitschern und die Grillen zirpen, spüren den Wind im Gesicht und die Sonne auf dem Rücken. Sogar Roman ist ganz begeistert von der Natur, zurzeit vermissen wir beide das Stadtleben nicht.

Nach einer weiteren Stunde Weg, diesmal auch durch Gebüsch und unter Bäumen, treffen wir auf eine Grossfamilie. Alle sind beschäftigt mit Nüsse sammeln, auf dem offenen Feuer steht ein Topf mit heissem Wasser, daneben ein grosser Kessel Plov.
Wurst und Brot sind noch nicht halb verdaut, da müssen wir unsere Mägen weiter dehnen, den heissen und leckeren Reis (gebraten, mit Rüebli und Schaffleisch) sowie Tee, Brot, Marmelade und Honig zu uns nehmen.
Hier in diesem kleinen Zelt, in dieser provisorischen Unterkunft während der Walnussernte, haben wir zum ersten Mal ein ungutes Gefühl. Die Sauberkeit lässt hier nun wirklich zu wünschen übrig, die Tassen haben Ränder und Flecken, und was sich neben Reis, Rüebli und Fleisch noch für Bakterien im Plov tummeln, möchten wir gar nicht erst mutmassen.

Nach insgesamt 4 Stunden Bergabspaziergang und einer Stunde Essenspause gelangen wir müde und vollgefressen wieder im Wohn-Ess-Schlafzimmer bei Jumagul Aitbaev an. Wir möchten nichts mehr als in Ruhe ein Schläfchen halten, liegen schon ausgestreckt auf den Sitzmatten, da kommt die Gastgeberin mit Brot, Tee, Marmelade zu uns. Ich glaube, ich platze gleich, vor lauter Essen!
Jumagul verzieht sich wieder mit einem ungläubigen Blick und wir können uns tatsächlich ungestört ausruhen. Dafür müssen wir all das aber um 18:00Uhr essen und trinken; um 19:30Uhr gibt’s schon wieder Abendessen. Jetzt geht nichts mehr. So leid es mir tut, ich muss die grosse Schüssel Pasta unberührt zurückgehen lassen. Es ist keine Eitelkeit, nach den heutigen Mahlzeiten ist mein Bauch sowieso nicht mehr zu retten. Aber platzen will ich auch nicht!

Wenn wir Essen sehen, wollen wir am liebsten davon laufen. Aber nichtsdestotrotz ist es ein toller Brauch, vermutlich noch aus den Nomadenzeiten. Jeder Gast wird sofort und anstandslos reichlich bewirtet. Bevor man nicht eine heisse Tasse Tee in der Hand hält, werden keine Fragen gestellt und keine Diskussionen geführt.
Sogar am nächsten Morgen, als wir um 7:00Uhr zum Sammeltaxi gehen müssen, werden wir zuvor noch mit einer heissen Suppe, Brot und Marmelade bewirtet. Die ganze Familie ist früh aufgestanden um uns zu verabschieden.
Auf der Fahrt nach Jalal-Abad lassen wir die beiden Tage auf dem Dorf Revue passieren. Für zwei Tage sind wir zu Familienmitgliedern geworden, haben wie alle anderen das Plumsklo im hinteren Teil des Gartens benutzt, Äpfel frisch vom Baum gepflückt, am Abend den Truthühnern „Gute Nacht“ gewünscht und anschliessend mit Aigerim und Almas sowie der 85-jährigen Mutter von Jumagul Fotos im Computer angeschaut.
Wir haben die Zähne im Garten geputzt, vorher noch das Wasser aus dem Brunnen an der Strasse geholt, und wunderbar auf den Matten im bunten Wohn-Ess-Schlafzimmer geschlafen. Der Abschied ist uns entsprechend schwer gefallen.

In Jalal-Abad geht es direkt weiter, wir haben kaum Zeit zum Nachdenken, schon sitzen wir bei Matluba im Hinterhof. Auch sie macht „CBT“, hat ein paar Betten für ausländische Gäste oder einheimische Studenten. Wir haben ein kleines Doppelzimmer für uns, ein sauberes Gemeinschaftsklo ist vom Hof aus erreichbar und die niedrige Dusche ist in Matlubas Wohnbereich. Was sind wir froh, nach den zwei Tagen im Staub und ohne fliessend Wasser endlich wieder einmal unter einer warmen Dusche zu stehen. Anschliessend essen wir türkisch – in Kirgistan gibt es einige türkische Bäckereien mit Simit, Bakhklava und anderen Hefeteilchen – und statten dem Basar einen Besuch ab. Später fahren wir auf den Hügel, 4km ausserhalb der Stadt. Am Taxistand rufen sie lauthals „Kurort – Kurort – Kurort“ und – jawohl – es geht nun bergauf zu einem Sanatorium aus der Zeit der Sowjetunion. Ein schöner und überdimensionierter Park mit Blick auf die Stadt, Wohn- und Behandlungshäuser, Kiosk und Teebuden – all das ist um die heissen und schwefelhaltigen Quellen herum entstanden. Wir geniessen die Atmosphäre und den Ausblick in der Abenddämmerung, füllen eine kleine Flasche Wasser ab und fahren zurück. Im Stadtpark treten sich Fotografen und Hochzeitspaare fast auf die Füsse, Kinder möchten auf altersschwachen Karussells fahren und die Jugendlichen habe ihre eigene Rap- und Breakdance-Show.
Matluba macht uns nach dem Abendessen einen Tee, und wir sitzen mit ihr und der ca. 4-jährigen Enkelin auf dem Tapchan, geniessen den lauen Abend. Matluba näht, die Kleine ersticht ihre Barbie mit der Schere und wir lesen – erneut haben wir das Gefühl, zur Familie zu gehören.

Am nächsten Tag ist es dann soweit, nach dem Frühstück fahren zurück nach Osh, morgen bekommen wir Besuch!

01.10.-09.10.2013, Osh – Ösgen – Arslanbob – Kyzyl Oi – Song-Kul – Tamga – Karakol – Chong Kemin – Bishkek

Es ist kalt geworden, wir haben uns in die Betten verkrochen, den ganzen Tag, draussen hängen die Wolken tief und am Abend hat es zu regnen begonnen.
Genau die richtige Stimmung, um unsere Reise mit Thomas und Jan Revue passieren zu lassen. Das bringt Sonne ins Herz!

Am 01.10. sind die beiden Schweizer müde aber glücklich in Osh angekommen. Gleichzeitig haben wir Begaim kennen gelernt. Sie ist Kirgisin, 29 Jahr alt, Opernsängerin und unsere Reiseleiterin für die kommenden 9 Tage.
Umsichtig hat sie uns durch den Basar in Osh geführt und den Park entlang des Flüsschens gezeigt. Wir sind mittags und abends zusammen essen gegangen und … endlich konnte uns jemand erklären was all die verschiedenen Gerichte sind!

Am nächsten Morgen um 9:00Uhr stehen wir dann geschniegelt und gestriegelt bereit, es geht los. Unser erstes Ziel ist Asrlanbob, 250km nordöstlich von Osh. Vorher schauen wir uns noch Salomons Berg an, der hoch über Osh thront, mit der Hütte des Babur, die der 14 Jahre junge Herrscher auf seinem Weg nach Indien genau hier errichtet hat.
In Arslanbob verbringen wir 2 Nächte bei einer CBT – Gastfamilie. Wir werden fürstlich empfangen, können auf einigen Luxus zurückgreifen (warme Dusche, dicke Bettdecken) und erhalten an jedem Tag zwei Mahlzeiten, die auf Dauer zum Kauf neuer Hosen führen würden. Das Dorf selber scheint vor 50 Jahre stehen geblieben zu sein. Zwar fahren Autos hier (z.B. der „Hammer-Ferrari“), aber die Strassen sind durchwegs ungeteert, der Basar sehr urtümlich und die Bedienung im open-air-Café erinnert mit ihrer Kleidung an längst vergangene Zeiten. Arslanbob ist muslimisch-konservativ, mit einem guten Schuss Animismus, der in ganz Kirgisien auf die eine oder andere Art weiterlebt. Das Mausoleum eines regional wichtigen Imams ist dekoriert mit dem obligaten Halbmond – und äusserst prominent mit den Hörnern eines Steinbocks.

Auf unserem Weg zurück zur Gastfamilie kommen wir am „städtischen Krankenhaus“ vorbei. Begaim ist mindestens genauso neugierig wie wir, und sie fragt auf meinen Wunsch, ob wir das Spital besichtigen können. Eigentlich bin ich positiv überrascht. Wir kommen in kleine 2-Bett-Räume mit angrenzendem kleinen „Aufenthaltsraum“ für die Familienmitglieder – die sich ums Wohl der Patienten und deren Essen kümmern (müssen). Wir sehen aber auch Mehrbettzimmer, in denen ein einziges Tohuwabohu herrscht. Alles ist einigermassen (!) sauber, das Stethoskop hat keine Membran mehr und der Tropfständer ist rostig. Wir sehen ausser diesen beiden Gegenständen keine medizinischen Gerätschaften – und in der Stationsküche möchte ich sicher kein Essen kochen oder zu mir nehmen. Ärzte gibt es zwei, die Tag und Nacht erreichbar sein müssen; leider haben wir mit keinem der beiden sprechen können. Das Ambulanzfahrzeug ist eher ein Witz: der Grösse nach ein VW-Bulli, mit einer Faltbahre … sonst nichts! Überlebenschance nach Herzinfarkt gleich null. Patienten mit grösseren Unfällen oder schwereren Erkrankungen werden in den nächsten, 20km entfernten, Ort gebracht. Aber immerhin, medizinische Versorgung ist in diesem kleinen Dorf vorhanden! Dennoch ist es ganz gut, dass die Erkältung von Stefan und Franziska – Schweizer, die ebenfalls bei unserer Gastfamilie übernachten – einfach nur eine Erkältung geblieben ist.

Arlanbob ist bekannt für seine immens grossen Walnusswälder und die wunderbare Lage in den Bergen. Hier starten im Sommer viele Wanderungen über hohe Pässe zu den Jailoos – den Sommerweiden – der Nomaden. Die „Jungs“ wollten den zweiten Tag in Ruhe angehen lassen, während Begaim und ich nach dem Spaziergang zum „kleinen Wasserfall“ dann alleine den Aufstieg zum „grossen Wasserfall“ in Angriff genommen haben. Herrlich: die Aussicht, die Berge, die Natur! Ich muss einfach wieder hierher kommen, wenn Wandersaison ist!

Mikhael, unser Fahrer, ist ein „russischer Bär“, wortkarg aber freundlich, introvertiert mit einem Lächeln um die Mundwinkel. Früh am nächsten Morgen steigen wir in seinen luxuriösen Toyota (4-wheel-drive) und nehmen die über 500km nach Kyzyl Oi in Angriff. Erst durch das Fergana-Becken, dann weiter entlang verschieden strukturierter Felsformationen, farbigen Lösshügeln bis zum Toktogul-Stausee. Nach einer schönen Mittagspause am Fluss Naryn – der laut unserem Reiseführer im Stausee „in seinem eigenen Wasser ertrinkt“ – fahren wir über den Ala-Bel-Pass auf 3184m hinein in die Abenddämmerung des verschlafenen Nestes Kyzyl Oi. Schon wieder werden wir abgefüttert – Essen ist ausgesprochen wichtig in Kirgistan, vor allem bei den Temperaturen, die nun vorherrschen. Wir schlafen bei ca. 14°C in einem kleinen Zimmerchen und sind froh, unsere eigenen Sommerschlafsäcke zur Unterstützung der Körpertemperatur mitgenommen zu haben. Zunächst aber müssen wir noch das Bett reparieren. Der selbstgebastelte Lattenrost ist genau in der Mitte gebrochen. Was ein Glück, dass der Schemel aus dem Garten die richtige Höhe hat. Einfach unters Bett schieben, und die Reparatur kann noch ein paar Wochen – wenn nicht Monate – herausgezögert werden.

Mit Begaim haben wir eine hervorragende Reiseleiterin! Sie ist zu allen „Schandtaten“ bereit, und so spazieren wir am 04.10. geruhsam durch das kleine Dorf, besuchen das Schulhaus und werden für kurze Zeit zum Interessensmittelpunkt der Schüler. Es fällt ihnen schwer, nach der Fotosession mit uns auf die Glocke in der Hand der Hausmeisterin zu hören. Diese bedeutet ihnen, zurück ins Klassenzimmer zu gehen, muss aber heute noch mit mündlichen Ermahnungen untermalt werden.
Auch wir können uns kaum losreissen, von diesem kleinen aber feinen Schulhaus, mit verschiedenen Klassenzimmer für die 1.-9. Klasse, mit dem grossen Holzofen in der Mitte des Pausenraums, mit den Holzböden und Wandmalereien.
Aber bis zum Song-Kul – dem Höhepunkt unserer Reise – sind es immer noch 200km auf Schotterstrasse, bergauf und bergab. Das südliche Ufer dieses 275 Quadratkilometer grossen Bergsees erreichen wir am frühen Nachmittag, und werden prompt in der ersten Jurte zum Tee mit Brot und Marmelade eingeladen. Wir treffen auf eine französische Reisegruppe, deren Fahrer Mikhaels Vater ist. Die Begrüssung der Männer ist so herzlich, wie sie eben bei introvertierten Russischen Bären üblich ist – dennoch haben wir das Gefühl, beide freuen sich sehr!

Weiter geht’s entlang des Ufers, bis wir „unsere“ Jurte erreichen. Langsam neigt sich die Sonne gen Westen, das Licht wird schön und wir steigen auf die gesattelten Pferde. Ja, es sind nur Touristenpferde, die keinen Wank machen, wenn der Boss nicht am Zügel zieht (oder nach halber Strecke, wenn sie merken, es geht wieder nach Hause). Dennoch bilden wir uns während einer Stunde ein, „lonesome Cowboys“ zu sein, die auf über 3000müM die letzten verirrten Rinder oder Schafe suchen müssen.
Jetzt wird es dunkel, und zeitgleich kalt. Eisigkalt! In der „Esszimmerjurte“ brennt ein Feuer im Ofen, hier ist es fast zu warm. Einfach den Gang zum 50m entfernten Plumsklo überlegen wir uns gut. Gehe ich jetzt, oder halte ich es noch aus? Gut, also, zuerst trinken wir Tee, essen Brot mit Marmelade, einen schönen Tomaten-Gurken-Salat und zum Schluss wunderbar leckeren Song-Kul-Fisch! Dieser wurde anscheinend vor ca. 50 Jahren im fischlosen Bergsee angesiedelt und bietet den Nomaden im Sommerlager neben Fleisch und Milch eine weiter Ernährungs- und Einkommensquelle. Der Fisch ist auch „schuld“ daran, dass jetzt im Oktober immer noch einige Jurten bewohnt sind. Die meisten Herden sind schon ins Tal gezogen.
Am nächsten Morgen wissen wir genau, warum uns in der Nacht beim „Austreten“ fast der Hintern abgefroren ist. Und warum wir mit 2 dicken Decken nur knapp warm wurden. Der Boden ist gefroren, sogar die Bäche, die von den Gipfeln in den See plätschern, sind von einer Eisschicht bedeckt.
Der Ofen in unserer Jurte hat am Abend zwar eingeheizt – mit Kuhdung – ist aber um ca. 22:00Uhr ausgegangen….
Zum Glück wird uns zum Frühstück, wie schon an vielen anderen Orten, ein heisser Milchbrei serviert. Milchreis, Griessbrei oder Porridge gibt es fast täglich und lassen mein Herz höher schlagen, geben Kraft und Wärme. Ich bin jedoch von uns vier die einzige, die so denkt.

Der Unterschied zwischen Tag und Nacht, zwischen Sonnenschein und Neumond ist frappierend. So langsam entledigen wir uns unserer Kleider, Schicht für Schicht, bis wir ohne Jacken im späten Vormittag die weitere Reise antreten. Wir fahren durch das 30km x 60km weite Tal, über einen weiteren Pass und schauen den hochaufragenden weissen Gipfeln sowie dem glitzernden See noch lange nach.

Szenenwechsel. Wir fahren einem Flusstal entlang, immer weiter hinunter bis auf 1600m. Hier breitet sich der grösste See Kirgistans vor uns aus. Eigentlich ist er fast schon ein Meer – und die Kirgisen bezeichnen ihn auch so. Thomas ist noch die wesentlich grössere Wasserratte als ich; wir beide springen schnell in unsere Badesachen am Südufer und schwimmen einsam und verlassen an (für uns und heute) einem der schönsten Strände dieser Welt im salzhaltigen Wasser. Jan macht sich die Füsse – und die Badehose – nass, Roman, als Fotograf, kann natürlich nicht baden gehen. Dabei hat das Wasser mindesten angenehme 20°C. Der See wird nämlich von unterirdischen, heissen Quellen gespeist, heisst es.

Die Fahrt auf der schmalen und holprigen „Hauptverkehrsroute“ entlang des südlichen Ufers führt uns nach Tamga, wo wir in einem russisch geführten Guesthouse ENDLICH wieder einmal eine warme Dusche haben. Auf unserem Stadtspaziergang finden wir neben dem alten Sanatorium und dem angrenzenden grosszügigen Park auch eine kleine Flasche Wodka im Krämerladen. Der wärmt uns nach dem Abendessen Körper und Geist; wir schlafen heute Nacht gut!

Karakol ist DER Touristenort in Kirgistan, von hier starten die meisten mehrtägige Wanderungen über Pässe und Gipfel; wir erwarten viel. Karakol ist ein kleiner Ort am östlichen Zipfel des grossen Sees, mit zwei Hauptstrassen und vielen Schotterwegen, mit einigen Restaurants und ein paar Läden, mit einer wunderschönen orthodoxen Kirche und einer ungewohnten chinesischen Moschee. Ansonsten sind hier – vor allem am Abend – „Hund und Katz begraben“.
Aber eben, viele Wanderungen kann man machen, in Kirgistan und um Karakol herum. Wir geniessen zwei Nächte im – für uns – luxuriösen Dreisternehotel „Green Yard“ und die Wanderung in das Tal der Blumen. Entlang eines Flusses zieht es uns bis zum Sanatorium – auch schon in Zeiten der Sowjetunion wusste man, wo es schön ist. Wir fahren vorbei am „gebrochenen Herzen“ und den „Sieben Bullen“, den roten Felsformationen dort, wo die feste Strasse aufhört und wir losspazieren.

Kirgistans Schatz ist die Landschaft. Und die wird erhalten durch Naturparks, durch Ökotourismus und die Tatsache, dass alle Kirgisen um diesen Schatz wissen. Die Menschen hier lieben ihr Land, sie kennen die Passübergänge und Berggipfel, die Sommerweiden und Wasserfälle. Natürlich gibt es auch hier Korruption; wir sehen viele gefällte Bäume auf unserem Wegstück im märchenhaften Blumental. Diese werden – so erklärt uns Begaim – ohne Lizenz aber einvernehmlich mit den „Rangers“ gekappt, das Holz verkauft. Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt. Aber viele wichtige Schritte in die richtige Richtung haben hier stattgefunden.

Auf der Fahrt zu unserer letzten Übernachtung vor Bishkek nutzen wir am Nordufer des Sees die Chance, einen Friedhof zu fotografieren. Es stehen hier kleine Mausoleen neben Miniaturversionen verschiedener Jurten. Dazwischen finden sich auch Grabsteine aus Zeiten der Sowjetunion: einfache Steinplatten mit Inschrift und Bild des Verblichenen. Wir haben in fast jedem Land bisher die Friedhöfe besucht; sie geben immer wieder einen weiteren Einblick in Kultur und Gepflogenheiten des Landes.

Heute ist es schön warm, Grund genug, erneut in den See zu springen. Diesmal sind alle dabei, sogar unsere Reiseleiterin (nicht aber der Russische Bär). Ausgelassen halten wir uns über eine Stunde am grossen und schönen Strand eines weiteren Sanatoriums auf. Hier am Nordufer findet sich zwischen Juni und Ende August die Haute Volée aus Russland, dem sehr nahen Kasachstan und natürlich Kirgistan ein. Ein wenig wie Costa Brava oder Adria auf zentralasiatisch.
Wir hingegen verbringen unseren Abend und die Nacht in Chong Kemin, einem Dorf fast schon in Kasachstan. Aber eben nur fast. Auch hier wieder ein CBT – community-based-tourism at its best! Mitten im Dorf, auf dem grossen Fussballplatz, verbringen wir den ersten, amüsanten Teil des Abends. Wie im Kino kommt es uns vor. Erst werden Rinder von links nach rechts gejagt, dann kommt eine Herde Schafe mit berittenem Hirten von rechts nach links, läuft durchs Tor in Nachbars Garten. Die Bäuerin bindet am Strassenrand der Kuh die Beine zusammen, setzt sich auf den Melkschemel und beginnt zu melken während der reitende Hirte uns zu liebe mehrmals die Strasse auf und ab galoppiert und ihr zahnloser Ehemann sich wundert, was uns hier fasziniert. Mittlerweile steht schon ein Knabe im Tor, die anderen schieben sich den Ball hin und her und meine drei männlichen Begleiter sind nicht aufzuhalten. Leider wird das Spiel zwischen Dorfjugend und FC Switzerland durch die erste unangenehme kirgisische Person beendet. Der schwer betrunkene Mann nimmt den Ball an sich, wirft mit Steinen hinter den Jungs her und wir verschwinden. Beim Blick zurück sehen wir nur, wie sich die melkende Bäuerin der Sache annimmt.

Im Garten der Gastfamilie treffen wir auf den 57-jährigen Vater. Irgendwie schafft er es, Thomas zum Armdrücken zu überreden, und beide Male (rechter Arm, linker Arm) besiegt er den Touristen mit einem „Dumdideldum“- Lied auf den Lippen. Unser Schreibtischtäter hat einfach keinen Stich gegen den körperlich arbeitenden Hirten.
Nach dem Abendessen – wie immer viel zu viel und viel zu gut – können wir Begaim und die junge Gastfamilie begeistern, bei unserem deutschen Kartenspiel mitzumachen. So ein gemütlicher Abend mit viel Tee und viel Gelächter! Wir mögen uns am kommenden Morgen kaum von diesen lieben Menschen trennen.

Aber unser letzter gemeinsamer Tag ist angebrochen. Wir wollen viel, wollen in Bishkek den grossen Basar besuchen, wollen mit Mikhael und Begaim in die Aussenbezirke fahren und „echte“ Plattenbauten anschauen, wollen eine Stadtrundfahrt machen und natürlich unsere Hotelzimmer beziehen. All das schaffen wir, mit guter Laune bei gutem Wetter. Bishkek ist grün, alt und schön. Wir fühlen uns wohl. Bishkek hat touristisch nicht sehr viel zu bieten; wir sehen das Opernhaus, das Theater und das Kunstmuseum, wir streifen vorbei am „Weissen Haus“ und der gut bewachten Kirgisischen Flagge. Hier stehen zwei Soldaten in Hab-Acht-Stellung, stündlich findet eine Wachablösung mit viel Brimborium statt.

Am Abend müssen wir uns verabschieden. Zuerst von Mikhael und Begaim. Sie hat Tränen in den Augen; nicht nur wir haben mit ihr, mit unserer Reiseleiterin, einen „guten Fang“ gemacht. Auch sie hat offensichtlich ihren Freunden mitgeteilt, sie habe eine tolle und lustige Reisetruppe. Ja, und am Abend heisst es bei Pizza und Bier Abschied nehmen von Thomas und Jan. Zwei tolle Reisebegleiter, die für uns ein Stück Heimat bedeuten und denen wir ein Stück Weltreise haben abgeben können. Händ Sorg! Chömet guet Hei!

10.-20.10.2013, Toktogul – Arkit – Sary Chelek – Talas (- Sheker) – Bischkek

Wir haben an der Kasachischen Hungersteppe geschnuppert. Bis ans (nord-)westlichste Ende Kirgistans sind wir gefahren. Links von uns die Berge, über die Wanderwege zum Sary-Chelek führen, rechts von uns die Berge, die als Grenze zu Kasachstan fungieren. Knappe 200km östlich der 3300m hohe Ötmök-Pass, hinter dem die Region „Chüy“ beginnt, 170km entfernt von Bischkek.

Um uns herum ein weites, flaches, verstepptes Tal. Wir befinden uns im abgeschnittensten und angeblich ursprünglichsten, Teil dieser bäuerlichen Republik, der geographisch eher dem Nachbarland zugehörig scheint. Die Menschen haben längere Köpfe, andere und rauere Gesichtszüge, spitzere Nasen. Das kasachische Taraz (früher Djambul) ist nur noch einen Katzensprung entfernt. Ein paar Kilometer weiter, und wir könnten die Züge rattern hören, die auch schon Dschingis Aitmatov in seinen verschiedenen, teils autobiografischen, Büchern beschreibt.

Sheker erreichen wir nach 100km und 2x umsteigen. Die letzte Strecke im Taxi von Grosny, 15km, kostet uns ganze 20 Som pro Person (= 40 Rappen). Der Fahrer lädt uns vor dem grössten – und kommunistischsten – Gebäude dieser Häuseransammlung ab. Dies sei das Aitmatov-Museum. Das Haus wird renoviert, aber der nette Herr mit Bauhelm und schwieligen Händen führt uns dennoch hinauf in den ersten Stock, öffnet den „Altarraum“ für den weltweit bekanntesten Kirgisen und Sohn dieses Dorfes. Nach 20 Minuten unentwegten Erzählens auf Russisch oder Kirgisisch, Fingerzeige auf die vielen Fotos und einem erbetenen Eintrag ins Gästebuch stehen wir wieder draussen in der Sonne auf der restaurationsbedürftigen Treppe, in der Hand ein kleines Geschenk, ein Buch von Aitmatov in deutscher Sprache.
Das Leben dieses Schriftstellers wird den Kindern von Sheker vermutlich schon als Wiegenlied gesungen; der Bauhelm-Mann hat mit grossem Enthusiasmus sowie Händen und Füssen Episoden und Episödchen von Dschingis erzählt, als wäre er sein Nachbar. Wir glauben, wir haben alles verstanden!

Wie sind wir hier gelandet? Auf den Regentag in Bischkek sind weitere, sonnige, gefolgt, an denen wir die Stadt erkundet haben und das CBT – Hauptbüro gefunden haben. Freundliche Menschen, gut organisiert. Nach 2 Stunden Beratung wussten wir, dass der Sary Chelek See für uns sehenswert ist und dass es in Talas auch ein CBT gibt.
In Kirgistan gibt es nur wenige Hauptstrassen; will man von einem Ort zum nächsten kommen, fährt man zwangsläufig immer wieder die gleichen Routen ab. So sind wir also über den Töö-Ashuu-Pass (3586m), dann erneut über den Ala-Bel-Pass bis nach Toktogul gefahren. Hier haben wir die umständliche Reise im „shared Taxi“ unterbrochen.

Ein familiäres Gasthaus gleicht dem anderen, wir werden fast durchwegs freundlich aufgenommen, erhalten als erstes eine grosse Kanne Tee mit Brot und Marmelade, dürfen „unser Zimmer“ beziehen. Oft ist es die Ehefrau – oder noch häufiger die junge Schwiegertochter – die sich um das Wohl der Gäste kümmert, die die Betten macht und das Abendessen kocht. Mal schlafen wir auf dem Boden, auf Matten; mal stehen meist ungleiche Bettgestelle im Zimmer, auf denen wir die Nacht verbringen können. Meist gibt es kein fliessend Wasser, so auch hier in Toktogul nicht. Die Dusche ist eine grosse Blechtonne, die hoch über dem Kopf schwebt und an die eine Giesskannenbrause geschweisst ist. Irgendein undurchsichtiger Mechanismus erwärmt das Wasser und die Freiluftdusche ist gar nicht mal so schlecht! Das Plumpsklo – wie sollte es anders sein – stinkt am hinteren Ende des Gartens vor sich hin. Aber wir haben uns wirklich schon gut an diese Umstände gewöhnt.

In Toktogul – benannt nach einem der Lieblingsbarden der Kirgisen – gibt es nicht viel zu sehen. Auf unserem Spaziergang sehen wir ein paar Schnapsleichen im grossen, mittelprächtig gepflegten Park, finden auf dem Basar einige interessante Läden und bewundern das grosse Fussballstadion mit seinem gestutzten Rasen und der Tartan-Bahn. Weiter Richtung Westen fällt das Gelände steil ab zum See. Wir stehen unter einem zerfallenden Riesenrad aus Sovjetzeiten und schauen der Sonne beim Untergang zu.

Die Marshrutka nach Tashkömür fährt morgens um 7 los …. zu nachtschlafender Zeit sitzen wir dicht an dicht und freuen uns jetzt schon auf die Beinfreiheit, die in ein paar Stunden wieder vorhanden sein wird. Nach dem Mittagessen in einer Ashkana (Strassencafé auf Kirgisisch) – wie üblich Lagman, da kann man fast nichts falsch machen – fahren wir mit dem teuersten Taxi bisher hinauf zum Sary Chelek – Biosphärenreservat. 15km vor dem See bleiben wir über Nacht in Arkit im kältesten CBT auf unserer Reise. Ganze 14°C sind es im Zimmer – und im Essraum; wir verbringen unseren Abend dick eingemummelt in die Bettdecken, bekleidet mit unserer gesamten Wollwäsche. Zum Glück haben wir Laptop und – von einer freundlichen Seele aus der Schweiz mitgebracht – einige Filme zum Anschauen und Ablenken.

Das Frühstück im kalten Raum ist schnell gegessen und um 9:30Uhr fahren wir mit Baban Aranbaev und seinem Sohn zum Sary-Chelek-See. Eindrucksvoll. Ein junges Gewässer. Vor ca. 800 Jahren soll es hier einen Erdrutsch gegeben haben, der den Abfluss des Bergbaches behindert hat. Nun haben wir die Sicht auf einige Hundert Quadratmeter Wasser, umrahmt von hohen Bergen. Baban zeigt uns den schwer zu findenden und wunderschönen Weg über Hügel und durch Täler zu weiteren 5 kleinen – und „heiligen“ – Seen. Ein 5-stündiger Ausflug, der sich wirklich gelohnt hat.

Den Abend verbringen wir im und ums Dorf, wundern uns über die schöne Moschee „am Ende der Welt“ und beobachten die Walnusssammler beim Walnussabwiegen. Auch am nächsten Morgen müssen wir früh `raus, noch früher als in Toktogul. Ohne Frühstück steigen wir um 6:00Uhr in die Marshrutka. Und vielleicht ist es gut, dass wir mit leerem Magen losfahren. Um uns herum wirft die eng ins Fahrzeug gequetschte Landbevölkerung nämlich reihenweise ihr Frühstück wieder aus. Der Fahrer scheint dies gewohnt zu sein, hat einen grossen Vorrat an Plastikbeuteln, von dem auch rege Gebrauch gemacht wird.

Wieder in Tashkömür brauchen wir erneut eine Mitfahrgelegenheit. Diesmal werden wir von einem freundlichen, runden Kirgisen mitgenommen, der auf dem Weg nach Bishkek ist um einen Wagenladung (1600kg) Altpapier in die Klopapierfabrik zu kutschieren. Für ihn bringt das ca. 500 USD; mehrmals pro Monat macht er diese Fahrt, ein einträgliches Geschäft. Für uns ist es eine abwechslungsreiche aber auch lange Fahrt, denn der vollbepackte Wagen schafft nicht mehr als 30km/h bergauf – und bergauf geht es oft auf dieser Strecke. Irgendwann, nach Mittagessen und mehrmaligem Motorkühlen dass es nur so dampft, kommen wir am Abzweig zur Talas-Region an.
Ein Puzzleteil passt zum nächsten; wir warten kaum 5 Minuten, da ist das grosse Sammeltaxi gefüllt und der Weg über den 3330m hohen Ötmök-Pass ins eingekesselte Talas-Tal wird unter die Räder genommen.

Die CBT – Gastfamilie ist herausragend sympathisch, wir können als Überraschungsgäste eine Nacht bleiben. Morgen müssen wir aber zu einer anderen Familie, da das CBT-Koordinatoren-Treffen stattfindet. Beide Häuser sind wunderbar gelegen, mit grossem Apfelgarten. „An apple a day keeps the doctor away“ – vielleicht sehen wir nie wieder als Patient einen Arzt, so viele Äpfel haben wir gegessen! Nach den zwei kalten Nächten in Arkit mussten wir uns nun umgewöhnen. Unglaublich, aber wahr: die Heizung im Haus läuft den ganzen Tag durchgehend und ist nicht abzustellen, die Temperatur in unserem Zimmer liegt in den oberen 20ern. Zum Glück kühlt es wenigstens in der Nach ein wenig `runter.

Wolfgang hat es uns erklärt: Wenn die Heizung einmal angestellt ist, dann läuft das heisse Wasser von Heizkörper zu Heizkörper und ein Raum nach dem anderen wird gewärmt. Das bedeutet aber auch, dass im ersten Raum dieses Kreislaufs fast schon Sauna-Verhältnisse herrschen, während man im letzt-beheizten Raum doch noch Wollsocken tragen muss. Ein weiteres Relikt aus Sovjet-Zeiten, das noch keine Verbesserung erfahren hat.

Wolfgang ist der Freund von Gulira; sie wiederum ist CBT-Koordinatorin in Naryn und zum Treffen in Talas erschienen. Wolfgang ist gestern aus Deutschland angereist; heute unternehmen wir gemeinsam einen Trip zum Manas-Ordo und in den Besh-Tash (5-Steine)-Naturpark.

Manas – das ist der kirgisische mythische Volksheld, der im 9.Jh die Uiguren aus der Talas-Region vertrieben hat und die (vierzig?) kirgisischen Volksstämme geeint hat. Seit vielen Jahrhunderten – die Literaturwissenschaftler sind sich nicht einig ob schon seit dem 9.Jh oder doch erst seit dem 18.Jh – wird der Manas-Epos mündlich überliefert, wurde im 20. Jh auch schriftlich festgehalten und besteht aus 500‘000 Versen. „Manatschis“ werden auch heutzutage gerne noch zu Feierlichkeiten (z.B. Hochzeiten) eingeladen, um Teile dieses Epos im Singsang und begleitet von einer dreiseitigen Langhalslaute (Komuz) vorzutragen.

Der Manas-Ordo – ein Park zu Ehren des Nationalhelden – ist schnell besichtigt, das von Gulira organisierte Taxi bringt uns am Nachmittag in den „Fünf-Steine“- Naturpark. Diese 5 Steine stehen fast am Ende des langen Tals, einbetoniert in die wilde Landschaft. Sie repräsentieren 5 Räuber, die über Talas herfallen wollten und von einer guten Hexe – oder, wie uns der Taxifahrer erzählt, von einem Mullah – in Stein verwandelt wurden. Wer bis zu dieser Stelle kommt, nimmt 5 Flusskiesel und bewirft die 5 Diebe – ein Gaudi für sich!
Die Fahrt zum Tal dauerte über eine Stunde auf Schotterpiste, eine knappe weiter Stunde um bis fast zum Ende zu fahren. Es hat sich gelohnt. Die wilde, raue Landschaft, die sanft geschwungenen Hügel, der reissende Fluss, das sonnendurchflutete Tal. Einfach wunderbar, auch für unseren kurzen Spaziergang.

Und schon wieder heisst es „aufbrechen“. Wir reisen am späten Morgen los, finden ein Sammeltaxi nach Bishkek und bekommen in dem liebgewonnenen Sakura-Guesthouse ein angenehm warmes (19°C) Zimmer.

21.-27.10.2013, Bishkek – Alamedin – Issyk-Ata – Bishkek

Heute regnet es, es ist kalt geworden und bald schon Zeit, dieses Land zu verlassen. Der Herbst und Winter, nein das sind momentan nicht unsere bevorzugten Jahreszeiten.
Im Sakura-Guesthouse haben sie gestern tatsächlich Radiatoren verteilt; solche, die man an die Steckdose anschliesst und die man auch wieder abschalten kann, wenn die Temperatur angenehm ist.

Mich hat die erste starke Erkältung „zu Boden gerührt“. Ich möchte am liebsten das Bett nicht mehr verlassen, vor allem, wenn ich vorher aus dem Fenster geschaut habe. War also nichts mit „an apple a day…“ – und auch nichts mit unseren beiden sehr speziellen Sanatoriums-Besuchen.

Wir hatten nicht viel Information zum Tyoplye Kljutchi („heisse Schlüssel“) – Sanatorium, sind einfach mal losgefahren. Das Taxi setzte uns nach über einer Stunde Fahrt südlich von Bishkek oberhalb eines zerfallenen Sowjet-Baus ab, der sehr ruhig und menschenleer vor uns lag. Das fängt ja schon mal gut an. Zum Glück war der Taxifahrer ein netter Kerl, der für uns die an der Kasse angeschriebene Telefonnummer anrief.

JA, das Sanatorium ist heute geöffnet, aber erst ab 15:00Uhr wegen Reinigung des Bassins; und JA, wir können heute hier übernachten, es koste 730 Som (ca. 15 Sfr) pro Person, inklusive Badeintritt und drei Mahlzeiten. Aber bis drei müssten wir halt noch warten.

Na, dann Mahlzeit, wir jedenfalls hatten Hunger und es war erst 12:00Uhr. Der nette Kerl von einem Taxifahrer hat uns dann wieder ein kurzes Stück talauswärts gefahren, zu einem sehr schönen aber fürchterlich überteuerten Restaurant, genannt „12 Kamine“. Hier haben wir an einem fast schon schweizerisch-rustikalen Tisch in der Sonne gesessen, Tee geschlürft und die besten Lagman in diesem Land gegessen.

Dieses Tal – das Alamedin-Tal – ist belebt und beschaulich zugleich. Entlang des Flüsschens befinden sich seit dem Abzweig von der Hauptstrasse immer wieder kleine „Ails“ – kirgisische Dörfer. Die Häuserdichte lässt langsam nach, bis wir auf knapp 2000m eben nun hier in einem Bonzenlokal sitzen, mit kleinen Miet-Blockhütten am anderen Ufer für bis zu 4 Personen und 5000 Som pro Nacht.

Die zwei Kilometer entlang der Schotterstrasse nehmen wir um kurz vor drei stoisch und jeder mit ca. 20kg Rucksack beladen in Angriff. Es ist noch zu früh, wir kommen mit einer wartenden kirgisischen Familie ins Gespräch – baden im schwefelhaltigen Wasser ist hier wohl auch an einem Dienstagnachmittag Familienspass.

Der junge Bursche, der uns angesprochen hat wechselt schnell in flüssiges aber eingestaubtes deutsch. Er ist ca. 18 Jahre alt und wohnt nach abgebrochener Lehre bei Siemens nun seit über einem Jahr bei seinem Onkel, lernt Schweisser. Auf uns macht er den Eindruck, als sei er gerade noch rechtzeitig vor dem kompletten Absturz in Deutschland durch diesen Auslandsaufenthalt gerettet worden. Das riesige leere Ohrloch rechts lässt auf mehr als einen einfachen Ohrring schliessen, die Sprache ist „gassig“, er gerät schnell in Rechtfertigungen, fühlt sich angegriffen wenn wir nur Fragen stellen. Aber er ist eingebunden in eine liebevoll wirkende Familie bestehend aus behäbiger Tante, einem Onkel dessen Lächeln umwerfend ist sowie einer Cousine mit ihren kleinen Kindern – alle scheinen ihn zu mögen, sich um ihn zu kümmern. Wir wissen nicht mehr, sind aber überzeugt, dass hier einer angebahnten kriminellen Laufbahn schnell und effizient ein Riegel vorgeschoben wurde.

Unsere Wege trennen sich, die Familie geht baden, wir buchen ein Zimmer und werden nach verschiedenen Formalitäten erneut einen weiteren Kilometer auf die Schotterstrasse geschickt, weiter ins Tal hinein.

Das Zimmer im kleinen Wohnpark ist besser als erwartet. Der Linoleumboden hebt sich zwar überall, der Stuhl wackelt und die Plastikdecke auf dem Tisch könnte weniger Flecken haben. Aber es ist warm, Kloschüssel und Waschbecken sind neu, ebenso die Vorhänge und die Deckenfarbe. Die Bettwäsche ist sauber, die Betten bequem, wir haben sogar einen Balkon.

Aber Wolfgang hat uns das Heizungssystem ja schon erklärt – und heute werden wir eindrücklicher als in Talas damit konfrontiert: wir befinden uns offensichtlich am Anfang der Heizkette, in unserem Raum sind es 30°C, die Luftfeuchtigkeit ist nicht mehr messbar. Unsere Schleimhäute trocknen aus, im Zimmer können wir es nur minimal bekleidet aushalten. Wenn wir die Balkontüre öffnen, sitzt schon nach wenigen Sekunden laut miauend eine nicht ganz so putzige Katze davor, will reingelassen werden. Wir schliessen die Türe und ergreifen erst mal die Flucht, gehen etwas spazieren und anschliessend ins Bad. Wir müssen die Zeit gut einteilen, damit wir rechtzeitig zum Abendessen im Speisesaal sind.

Roman ist ganz begeistert von so viel „Sowjetismus“. Die blondierte Empfangsdame – die zeitgleich auch im Eingangsbereich des Sanatoriums zu wohnen scheint – erklärt uns klar und deutlich, dass wir hier die Schuhe auszuziehen haben, Frauen gehen nach links, Männer nach rechts, anschliessend duschen nicht vergessen und im Bad darf man sich nicht so lange aufhalten (wegen der Wassertemperatur und der Mineralien).
Im Bad selber bekommen wir fast einen Lachanfall. Das Becken sieht o.k. aus, im Raum sind drei von vier Wänden mit kitschigen Landschafts- oder Delfin-Bildern beklebt, an der vierten Wand – der, die zu den Duschen zeigt – machen sich Schimmel und Algen gegenseitig den Platz streitig.

Wir schwimmen ein wenig im warmen Wasser, bilden uns ein, dass es trotz der Umgebung gesund sein könnte und wissen haargenau, dass wir vor 6 Monaten sicher nicht einmal einen Fuss in diese „Badelandschaft“ gestellt hätten.
Draussen wird es langsam dunkel, im Bad geht kein Licht an, wir entscheiden uns, Richtung Abendessen aufzubrechen. Immer mehr fühlen wir uns zurückversetzt in einen andere Zeit, eine Zeit, die wir nie so erlebt haben. 80er-Jahre Sowjetunion. Dinge und Menschen müssen ihren Zweck erfüllen, für Schönheit oder Kitsch gibt es keinen Platz. Wir sind die einzigen Übernachtungsgäste, unser Tisch im kargen, blau gehaltenen Ess-Saal ist zweckmässig gedeckt, kaum sitzen wir, da haben wir auch schon die Mahlzeit vor uns stehen. Es gibt eine undefinierte aber gute Suppe, hinterher bleiche Nudeln in bleicher Sosse mit bleichen und undefinierbaren Stücken vom Tier, die wir beide nach kurzem als Hirn identifizieren. Der Bissen bleibt uns im Hals stecken. Da halten wir uns doch lieber an Trockenbrot, und im Zimmer liegt auch noch eine Tafel Schokolade ….

Die Nacht wird eine der anstrengendsten auf der ganzen Reise: es ist heiss im Zimmer, zu heiss. Wir müssen ständig trinken, trauen uns nicht, die Türe offen zu lassen wegen der Katze, liegen unbekleidet auf dem Bett, starren an die Decke und wünschen uns kühlere Temperaturen herbei. Kann man es uns überhaupt recht machen?

Dennoch raffen wir uns am Morgen nach dem Frühstück auf, ein Stück in die Schlucht hineinzuspazieren – zu wandern. Hochalpinwanderung. Zumindest kann man es sich mit viel Fantasie als solche vorstellen. Wir müssen über gefährliche Hängebrücken balancieren, müssen von Stein zu Stein klettern, sehen um uns herum schneebedeckte Gipfel. Wir befinden uns erneut in einem der vielen wunderschönen Hochtälern Kirgistans.

Das Mittagessen ist wesentlich besser als das gestrige Abendessen oder auch das milchbreihaltige Frühstück. So ziehen wir also versöhnt am frühen Nachmittag weiter, erneut beladen mit unseren Rucksäcken. Jemand hatte uns angeboten, uns für 3000 Som (60Sfr) ins nächste Tal zu bringen. Der Preis hat uns gar nicht gefallen.

Aber während wir vollbeladen die menschen- und autoleere Strasse bergab marschieren, die „Hochalpinwanderung“ noch immer in den Knochen, fragen wir uns, ob wir das Geld nicht doch hätten ausgeben sollen.

Aber bisher hat uns – toitoitoi – das Glück noch nie im Stich gelassen, und auch heute fährt ein (!) Auto an uns vorbei, das dann auch tatsächlich anhält. Eugen ist Russe, aber wir können deutsch mit ihm reden, da er seit vielen Jahren irgendwo zwischen Heinsberg und Mönchengladbach wohnt, zurzeit auf Besuch bei seiner Mutter hier in Kirgistan ist. Sein Freund – und Fahrer des Wagens – sieht aus wie ein Rausschmeisser bei der Russendisco: bullig, blondes Stoppelhaar, Militärjacke, hohe Stiefel.

Es wird eine schöne Fahrt, hinauf auf einen Aussichtspunkt den auch Eugen noch nicht kennt, obwohl er in Bishkek aufgewachsen ist, dann weiter zum Busbahnhof in Bishkek. Nein, der bullige Freund will definitiv kein Geld annehmen wird fast schon böse – und ihn wollen wir bestimmt nicht böse machen.

Die Marschrutka ist vollbesetzt, fährt aber erst in einer halben Stunde los. Und als wir dann endlich im Sanatorium Issyk-Ata ankommen hat uns schon längst vollständige Dunkelheit umgeben. Hier ist mehr los, das merken wir schon bei der Anfahrt. Hier steigen Menschen aus, hier sind Wohnblocks mit erleuchteten Fenstern. Irgendwie finden wir den Weg zur „Registratura“ und stehen nach kurzer Wartezeit einem weisshaubigem Relikt aus der vielbeschworenen Sowjetzeit gegenüber. Leider – oder zum Glück – gibt es nur noch „Lux“ – Räume, uns bleibt nichts anderes übrig, als die 1400 Som pro Person zu bezahlen. Dafür sind ja auch wieder 3 Mahlzeiten und der Besuch des Bads eingeschlossen.

Luxus bedeutet offensichtlich, dass man sich nicht „unters Volk“ mischen muss. Wir würden so gerne mit allen zusammen im Speisesaal essen, aber zumindest heute Abend ist es uns nicht vergönnt. Dafür bringt uns das Zimmermädchen kalten Gulasch und kalte, verkochte, bleiche Pasta. Dazu einen undefinierten Milchbrei, süss wohlgemerkt, und eine Kanne Tee. Uns soll’s recht sein, wir sind müde und schlafen schon bald im wohltemperierten „Lux“-Zimmer, das auch in irgendeiner preiswerten Pension in Süddeutschland sein könnte. Am nächsten Morgen erkunden wir nach dem Frühstück – zwei Portionen Milchbrei für mich sowie zwei Portionen kalter Reis mit kalten Frikadellen und kalten Sosse vom Vorabend für Roman – die Sanatoriumsanlage.

Hier ist wirklich viel los, viel Menschen kommen uns entgegen, die meisten mit Plastiktüten und Handtüchern bewaffnet. Wir haben absolut keine Lust, schon wieder in heissen Quellen zu baden, zumal schon das Wasser unter Dusche verdächtig nach Schwefel riecht. Stattdessen entscheide ich mich für eine Rückenmassage. Denke ich. Der raubeinige Kirgise – oder ist es ein Chinese? – ruft mich ins Zimmer, kann zwei Worte deutsch („jaja, schnellschnell“) und verzweifelt, dass ich sein hektisches Russisch nicht verstehe. Irgendwann habe ich die richtigen Kleidungsstücke ausgezogen und liege richtig herum auf der richtigen Liege. Sanfte Massage ist anders. Er knetet die Muskeln entlang der Wirbelsäule, den verlängerten Rücken, stellt fest, dass ich verspannt bin und Skoliose habe. Er hebt mein Schulterblatt an, und schiebt kraftvoll seine Hand darunter. Au, das tut weh. Das gleiche jetzt auf der anderen Seite. Dann noch – auf dem Bauch liegend – die Beine und damit die Wirbelsäule erst in die eine, dann in die andere Richtung verdrehen. Der Manualtherapeut – ich finde schlussendlich heraus, dass ich keine Massage gebucht habe – schwitzt profus, seine Arbeit ist anstrengend. Jaja – schnellschnell, ich soll mich aufsetzen, bekomme den Nacken massiert bis ich plötzlich ein lautes Knacken höre und sich ein Angstgefühl breit macht. Bevor ich richtig verstehe, was passiert ist, knackt es noch einmal, ich kann mich kaum beruhigen. Da hat der Kirgise-Chinese doch tatsächlich meine Halswirbelsäule verdreht, bis zum Anschlag. Noch jetzt, während ich darüber nachdenke, bekomme ich Gänsehaut. Aber, das muss man ihm lassen, er versteht sein Handwerk. Seither sind meine Nackenschmerzen verschwunden, die Muskelverspannung in der linken Schulter ist bei weitem nicht mehr so zäh wir zuvor. Ich bekomme noch den dringlichen Rat, Pilates zu machen und ein paar Übungen am Schreibtisch und Türrahmen gezeigt, dann muss ich – jaja, schnellschnell – mich anziehen und gehen. Die 15 Minuten Behandlungszeit sind vorbei, es warten auch noch andere Leute darauf, ihre Wirbelsäule knacken zu lassen.

Roman hat die Zeit der „Prozedura“ genutzt, Fotos zu sortieren und liegt gemütlich im Bett. Ich kann ihn heute nicht schon wieder zu einer „Hochalpinwanderung“ motivieren und nehme also den anderthalbstündigen Spaziergang zum Wasserfall alleine in Angriff. Ich kann mich nicht sattsehen, an den Bergen, an den Tälern, an der Natur, am Schnee auf den Gipfeln, an den Farben der Blätter. Ich liebe das Rauschen des Bergbachs, das mich auf dem ganzen Weg begleitet und geniesse die leichte Steigung auf sanften Wiesen.

Wir haben es geschafft, wir können unser Mittagessen in der „stolovaja“, der Kantine einnehmen, sollen einfach pünktlich sein um 13:00Uhr. Um fünf vor eins gehen wir die Promenade entlang, begleitet von den überraschten und ungläubigen Blicken der vielen Sanatoriumsgäste. Punkt eins kommt eine weissbehaubte Person vor die Türe, drückt einen Knopf und eine Pausenglocke ertönt. Auf diese Zeichen hin stürzen alle in den Saal, Tisch an Tisch, in Reih und Glied setzen sich Gäste und Mitarbeiter, auf den Tischen steht schon jeweils ein Topf mit Suppe, Tassen mit „Kompott“ (Fruchtgetränk) und Teller mit …. kaltem Gulasch und kalter, verkochter, bleicher Pasta. Welche Abwechslung!

Die Atmosphäre ist so speziell, so „schräg“ für unsere Augen, dass wir das Essen dennoch geniessen. Wir geniessen den Überblick über den grossen Saal, über die Menschen die mit ihren Mänteln und Hüten oder Mützen in friedvoller Eintracht und ungeachtet der Tatsache, dass Essen und Raum wirklich kühl sind, ihre Mahlzeit einnehmen. Hier ist er wieder, der Zeitsprung in die 80er-Jahre. Hier hat sich nicht viel geändert, seit der Unabhängigkeit – oder noch vielmehr seit dem Bau dieser Anlage vor über 60 Jahren!

Wir haben tatsächlich noch einen Sitzplatz in der Marshrutka ergattert, sind wohlbehalten in Bishkek angekommen und haben „unser“ Zimmer im Sakura-Guesthouse bekommen.
Es sind wenige Gäste hier. Die paar Seelen, die sich immer noch in Kirgistan aufhalten, warten wohl. Warten auf ein Visum oder einen Flug.
Wir warten darauf, dass die Temperaturen morgen wieder ansteigen, dass es nicht mehr 4°C sondern vielleicht 14°C wird und die Sonne sich wieder zeigt. Wir warten auch darauf, dass meine Erkältung den Höhepunkt überschreite und wir unseren Weg nach China bei Sonnenschein und guter Gesundheit antreten können. Bis dahin bleibe ich aber erst einmal im Bett.

28.-31.10.2013, Kochkor – Naryn – Tash Rabat – Torugart

Um uns herum ist es neblig, kleinste Schneekristalle fliegen uns ins Gesicht, wir sehen das grosse, dunkle Eisentor. Beim Blick nach oben durch die dünne Luft erhaschen wir ab und zu die Aussicht auf einen der weissen Gipfel, die diese Hochebene einkreisen. Die Luft wird durch die vielen Lastwagenabgase nicht besser, unsere Zehen frieren ein, die Temperatur liegt weit unter null. Unsere Reise durch Kirgistan geht dem Ende zu, wir befinden uns auf dem Torugart-Pass. Während wir unter diesen Bedingungen eine Stunde lang auf den Grenzübertritt warten, auf das Taxi das uns auf der anderen Seite abholen soll, gehen uns die letzten paar Tage durch den Kopf.

Am Montag sind wir aus Bishkek abgereist – das ist schon wieder lange her. Wie üblich haben wir ein Sammeltaxi genommen, diesmal hat es uns in Kochkor abgesetzt. Schon auf der Fahrt in dieses Dorf östlich des Song-Kul wurde uns „Angst und Bange“. Am Wegrand zeigte sich mehr und mehr Weiss, bald schon fuhren wir durch Schneeberge. Bei unserer Ankunft schien die Sonne, dennoch war es knackig kalt, wir waren äusserst froh um unsere wollene, warme, lange Unterhosen und die dicken Strümpfe. Wieder einmal haben wir bei einer wunderbaren kirgisischen Familie übernachtet. Das Doppelzimmer mit Betten (!) war angenehm gewärmt, für uns wurde extra die Touristentoilette aufgeschlossen – draussen wäre uns auch der Hintern abgefroren, wenn wir nicht vorher auf dem Eis ausgerutscht und in die Tiefen des Naturklos gefallen wären.
Es gab einfach ein Problem. Ganz Kochkor stand ausgerechnet an diesem Tag ohne fliessend Wasser da. Der Hausherr hat Wasser von der eisigen Quelle mit dem Auto geholt – die moderne Kloschüssel musste mit dem Eimer nachgespült werden. Und obwohl das Badezimmer sehr einladend aussah haben wir das Duschen leider auf den Folgetag verschieben müssen.

Kochkor ist ein verschlafenes Nest, jetzt in der Kälte erst recht. Wir sind vor knapp einem Monat schon einmal hier gewesen, nur zum Mittagessen. Da herrschte noch mehr Gewusel, es war Sonntag und der Markt schäumte über vor Käufern und Verkäufern. Jetzt machen wir einen Spaziergang durch die Aussenbezirke, beobachten, wie Mensch und Tier sich auf den Winter vorbereiten und freuen uns bei einbrechender Dunkelheit auf die warme Mahlzeit bei der Gastfamilie.

Das Sammeltaxi am nächsten Tag fuhr mit uns über den Dolon-Pass nach Naryn. Der Dolon, der von Aitmatov in dem Buch „Du meine Pappel im roten Kopftuch“ vielbeschworene Bergpass! Ich konnte es kaum erwarten, dort hinüber zu fahren, über den letzten Pass in Kirgistan vor dem Torugart, auf dem Weg nach China. Die Strasse, die im Norden nach Kasachstan führt und somit die Seidenstrasse der Neuzeit darstellt wird hier von den Chinesen gebaut. Das heisst: vor und hinter dem Pass ist der Strassenbelag super, wir gleiten dahin. Aber dort, wo es steil bergauf oder bergab geht; dort wo guter Strassenbelag mehr als anderswo eine wirkliche Hilfe wäre, dort reiht sich Schlagloch an Schlagloch. Wir haben es nicht so ganz verstanden, aber irgendeinen Sinn muss es haben denn auf dem Torugart wiederholt sich das gleiche Spiel.

In Naryn haben wir Gulira wieder getroffen. Sie ist die Freundin von Wolfgang, mit dem wir in und um Talas vor über einer Woche die Gegend unsicher gemacht haben. Und sie ist Leiterin des CBT – Büros in Naryn. Durch sie sind wir haben wir ein ruhiges Zimmer am Stadtrand bekommen, durch sie haben wir einen Besuch der letzten Karavanserei vor Kashgar organisiert, durch sie haben wir schlussendlich auch den Grenzübertritt nach China gebucht.

Auch in Naryn liegt auf den freien Flächen eine dünne Schicht Schnee. Tagsüber, in der Sonne, ist es recht angenehm warm, aber sobald die Dämmerung einsetzt, frieren einem die Ohren ab. Um diese Zeit treffen wir Bastien und Elodie, zwei junge Franzosen die gerade von einem 5-stündigen Ausritt zurückgekommen sind. Beide sind recht sportlich, mit Zelt und dicken Schlafsäcken bewaffnet, haben vor 2 Tagen auf 3000m im Schnee auf irgendeinem Berg übernachtet. Heute Nacht fahren sie mit dem Bus zurück nach Bishkek, bis dahin sind noch gute 3 Stunden Zeit und wir gehen gemeinsam essen. Viel zu selten haben wir das bisher erlebt, viel zu selten finden sich Reisende, mit denen man über Gott und die Welt, über dieses und viele andere Länder, über Erlebnisse und Erfahrungen reden kann. Der Austausch zwischen „Travellers“ findet seit langem vorwiegend über Internetforen und „blogs“ (wie diesen hier) statt. Das ist alles super, die Informationen sind meist frisch und brauchbar, aber es geht doch nichts über den persönlichen Kontakt, die persönlichen Geschichten und Geschichtchen, die das Leben interessant machen und die eigenen Reiseentscheidungen beeinflussen können.
Als wir um kurz nach acht aufbrechen, um Bastien und Elodie zum „Avtovaksal“ (Busbahnhof) zu begleiten fällt uns am Nachbartisch ein älterer Herr mit Nordic-Walking-Stock, Northface-Jacke und Kalpak (Kirgisenhut) auf.
Am Busbahnhof wünschen wir den beiden sportlichen Franzosen eine gute Nachtreise, viel Spass in den kommenden Tagen im Ala-Archa-, Alamedin- und Issyk-Ata-Canyon sowie eine gute Rückkehr nach Hause. Damit sie sich dann im Arbeitsalltag von ihrem anstrengenden aber tollen Urlaub erholen können.

Der letzte Tag in Kirgistan bricht an, unser Frühstück kommt um 8:30Uhr wie bestellt und bietet kaum Überraschungen. Nach vielen Monaten und verschiedenen Ländern, in denen wir zum Frühstück regelmässig Eier (gerührt, gekocht, gebraten) angeboten bekommen haben, geniessen wir nun vermutlich für längere Zeit ein letztes Mal diese drei Spiegeleier pro Person. Die frische Lepioschka (Fladenbrot) und die wunderbare selbstgemachte Marmelade werden wir in China wohl wirklich vermissen.

Um 10:00Uhr fährt uns Murat – der von CBT angeheuerte Taxifahrer mit den neuen Zähnen – nach Tash Rabat. Ich muss es mir bildlich vorstellen, wie vor hunderten von Jahren und noch bis ins letzte Jahrhundert hinein die Karavanen durch die Hochebene von At-Bashi gezogen sind, mit Pferden, Kamelen und Schafen, beladen mit allerlei Waren. Nun hiess es zu guter Letzt noch den Tien Shan zu überqueren, dieses hier bis zu 5000m (und weiter östlich über 7000m) hohe Gebirge. Die Schatten werden lang, die Tiere müde und die Reisenden durstig. Entlang des heute zugefrorenen Bachs zieht die Karavane gemächlich in das geschützte Seitental, wo eine Herberge, die Karavanserei Tash Rabat, sie in Empfang nimmt. Die letzte erquickliche Pause bevor es hinüber geht über einen der Pässe nach Kashgar, dem Ziel – oder Ausgangspunkt – der meisten reisenden Händler auf der Seidenstrasse.

Wir stehen vor verschlossener Türe, wissen aber, dass die Schlüsselwärterin jeden Augenblick das Eisengitter öffnen wird. Von weitem sieht die einer Festung gleichende Karavanserei gut restauriert aus. Bei genauerem Blick stellen wir aber fest, dass die Steine lieblos mit Beton aneinander geklebt sind. Überall ist Beton verschmiert, aber in der Dunkelheit kann man diese Tatsache mit gutem Willen schnell vergessen. Es ist bestimmt heimelig hier gewesen, und eng und geruchsintensiv, damals vor hunderten von Jahren. Tiere und Menschen mit ihren Ausdünstungen und Ausscheidungen neben-, über- und untereinander. Es wurde gelebt, geboren und gestorben hier, es wurde der ganze eiskalte Winter hier verbracht, bis im Frühling die Pässe wieder passierbar waren.

Nach dem Tee in der kitschigen Teestube der Schlüsselwärterin, die das ganze Jahr über hier auf 3000m lebt, gehen wir noch ein wenig das geschützte Seitental entlang, zurück in Richtung At-Bashi. Unser Taxifahrer mit den neuen Zähnen gibt uns genügend Zeit, holt uns dann irgendwann ein und strahlt über das ganze Gesicht. Wir werden jetzt bei seinem kleinen Bruder vorbei fahren, der ganz in der Nähe, in der weiten At-Bashi-Ebene wohnt. Einsamer kann es kaum in der der weiten Prairie Amerikas sein. Weit und breit nur Steppe, im Hintergrund die At-Bashi-Range (Berge) und mitten in der Einöde ein Haus, eingezäunt, weit ab von der Strasse. Der Bruder ist gerade nicht zu Hause, aber mittels Handy ist er schnell über den Besuch informiert und schon wenige Minuten später staubt es auf der Ebene, zwei Reiter kommen angaloppiert. Wie in einem trostlosen Western kommen wir uns vor. Der Himmel ist bedeckt, die Ebene weit, die Reiter einsam. Nach der kurzen Begrüssung und dem Austausch von Waren zwischen den Brüdern geht unsere Reise zurück nach Naryn.

Vorbei geht die Fahrt an der Ortschaft At-Bashi, der wir auf dem Hinweg einen Besuch abgestattet haben. At-Bashi heisst – soweit wir Gulira verstanden haben – Pferdekopf, und einen solchen hat das Dorf auf den Hauptplatz gestellt bekommen: riesengross und golden, und eigentlich noch recht attraktiv! Hier haben wir ein paar schöne Bilder von einheimischen Touristen aus Naryn gemacht. Sie hatten einen Fotoapparat dabei der nicht funktionierte, also haben wir das Fotografieren übernommen. Jetzt, zurück in Naryn, suchen wir ein Fotogeschäft um diese Bilder auszudrucken. Gulira wird sie dann entsprechend weiterleiten.

Es ist Abend, es wird wieder eisigkalt und wir sind hungrig. In „Mutters Gaststube“ soll das Essen gut sein, und so haben wir uns auf den Weg dorthin gemacht. Kaum hatten wir unseren Tisch ausgesucht und die Menükarten vor uns liegen, da geht die Türe auf, und der ältere Herr mit Nordic-Walking-Stock, Northface-Jacke und Kalpak betritt mitsamt seiner „Entourage“ das Lokal. Auch er erkennt uns wieder, spricht uns an und so verbringen wir einen gemütlichen Abend zu sechst, unterhalten uns viel und stellen fest, dass Itil für Helvetas arbeitet, hier in Kirgistan aber in seiner Funktion als Berater für die Aga-Khan-Stiftung unterwegs ist. Anara ist Projektleiterin der Aga-Khan-Stiftung in Kirgistan und eine tolle, aufgeschlossene ca. 40-jährige Kirgisin. Mit ihr werden wir definitiv Kontakt halten, sie kann uns möglicherweise auch bei Problemen in China helfen – hat sie angeboten.
Auf dem Rückweg – der Zufall will, dass unsere Apartments nebeneinander liegen – quetschen wir uns zu sechst ins Auto, und Anara, das Leichtgewicht, hüpft ungeniert auf meinen Schoss.

Ein würdiger Abschluss für dieses Land, das so viel zu bieten hat und so viel zu lernen hat. Ein Land, das Unterstützung aus dem Ausland braucht und diese auch annimmt. Dafür im Gegenzug den Touristen aber Gleichmut, Frieden und Entspannung bietet.

Ja, und nun stehen wir hier, am Tag danach, und frieren unsere Zehen, Ohren und Nasen ab. Der Torugart hat sich als weniger imposant erwiesen, als wir immer gedacht haben. Eigentlich ist der ganze Pass eine einzige Hochebene, auf der auch der unter Naturschutz stehende See Chatyr-Kul liegt. Endlich lassen die Chinesen uns durch das Tor treten, auch wenn das Taxi noch nicht da ist. Wir dürfen im Wärterhäuschen – unbeheizt aber windgeschützt – warten während die jungen Burschen das grosse eiserne Tor schliessen und während der Mittagspause die durchreisenden Lastwagen aus dem Reich der Mitte aussperren.

Da, endlich, sehen wir das Taxi, das sich den Berg hinauf quält, durch Schnee und Eis. Uns wird wenn schon nicht um die Zehen, dann immerhin aber ums Herz etwas wärmer. Good bye Kirgistan, wir kommen wieder!