Italien 2017

Brindisi – Grottaglie – Laterza – (Matera)  – Altamura – Venosa – Caposele – Benevento – Marzanello – Ceprano – Palestrina – Poggio mirteto – Terni – Vallerano – Marta – Civitavecchia

 

Knapp 1000 km « Trans-Apennin » vom Absatz Italiens bis nach Rom vom 26.08.2017 bis 13.09.2017

 

 

Brindisi, es ist heiss hier. So richtig heiss! In diesem kleinen Flughafen gibt es 3 Gepäckbänder, von denen immer nur eines läuft. Unser Gepäck braucht … knapp 2 Stunden… Endlich ist alles da, wir packen aus und wir packen auf. Der Flug mit der Swiss ging gut – wir haben in Zürich am Flughafen Velo-Schachteln erhalten, alles gut verpackt und die Räder sind in einwandfreiem Zustand angekommen.Nun heisst es: den Karton zu entsorgen … ja wo nur, wo? Klammheimlich, denken wir, können wir einfach alles an einen Abfalleimer stellen und schnell abhauen.Pustekuchen – hier in Italien wir der Abfall getrennt, jawohl! Wir machen uns fast strafbar und Roman muss einmal quer über den Vorplatz zum Alt-Karton-Container laufen. Ist ja auch wirklich richtig und gut so.

Schon am ersten Tag radeln wir kräftig drauf los, geniessen die Hitze und den Staub auf den Strassen. Heute müssen wir tatsächlich viele Hauptstrassen fahren, irgendwie nicht so spannend, v.a. da es immer, wie mit dem Lineal gezogen, geradeaus geht.Nach knapp 60km, einem Kaffee in einem ausgestorbenen Hotel, einer Ciabatta in einem kleinen Dorf und ca. 3 Liter Wasser pro Person erreichen wir Grottaglie.Wir wissen nicht viel über die Region, durch die wir fahren, wir wissen nichts über Grottaglie. Zuerst erkunden wir die Neustadt, ein wenig neu halt, obwohl sich um den Springbrunnen im Stadtzentrum das ganze Dorf versammelt hat zum Spielen, «parlare», Eiscreme essen oder einfach «dolce far niente». Auf unserem Rundgang durch die Altstadt – die wir erst später und per Zufall entdecken, bekommen wir einen ersten Vorgeschmack auf die Kultur dieser Region.

In Laterza erzählt uns die junge Vermieterin, dass wir einfach die Strasse hinunter zum Fluss gehen sollen, wenn wir etwas essen wollen.So steigen wir die steile Strasse hinab, erreichen unverhofft und unerwartet die Altstadt. Wir sind begeistert – alles ist verwinkelt gebaut, mit Madonnen-Statuen an den Häuserecken, einem vertrockneten Flusslauf als Grenze und einer offenen Badeanstalt mit wasserspeienden Mäulern.Wir finden ein wunderbar romantisches Restaurant an ebendiesem Flussbett, essen zum ersten Mal Scarmoza – der uns sofort für sich einnimmt – und sind spätestens jetzt angekommen. Angekommen im Süden Italiens, in Puglia. Angekommen in unseren dreiwöchigen Ferien. Ein Gelato artigianale rundet den Abend ab.

Bereits in der Schweiz, aber auch an verschiedenen Orten in Italien, haben wir mitbekommen, dass Menschen aus der Region Neapel als unbändig und vielleicht auch ein wenig gesetzlos empfunden werden. Immer wenn irgendwo Chaos ist, Abfall herumliegt, es lauter wird – oder man das Italienische gar nicht mehr versteht, dann sind, so haben wir verstanden, die Neapolitaner am Werk. Alle anderen Italiener sind natürlich ganz anders, heisst es. Und so wundert es uns, dass in der flimmernden Hitze Apuliens in den Strassengräben Abfallsäcke aufgereiht liegen, halb verrottende Sofas auf kleinen Lichtungen zu finden sind und der trockene Gegenwind uns gehäuft herumflatternde Plastiksäcke ins Gesicht weht. Bis nach Neapel ist es doch noch weit.

Wir reisen weiter durch die Hügel und verwinkelten Städtchen Apuliens, es geht hinauf und hinunter, das Wetter meint es gut mit uns, den Büro-Alltag sieht man uns schon nach dem 2. Tag nicht mehr an. Wir entdecken – wie fast immer, wenn wir durch Italien radeln – wunderbare Natur, faszinierende Bauten, schnuckelige Städtchen. Matera (hier wurden seit 1950 über 50 Filme gedreht; 1964 von Pasolini «Das 1. Evangelium – Matthäus»; 2004 «Die Passion Christi») steht in jedem Reiseführer – und ist wirklich eine Reise wert; diese Stadt fasziniert unter anderem wegen ihrer in den Berg gehauenen Höhlenwohnungen.

Mittlerweile befinden wir uns in der Provinz «Basilikata», die Olivenhaine ziehen unsere Aufmerksamkeit an. Später hören wir – bis dato hatten wir es noch nicht mitbekommen – dass offensichtlich eine Krankheit die Bäume heimsucht. Mehr silbern als grün schimmern nun die Hügel, und wäre uns nicht bewusst, dass irgendetwas nicht stimmt, es könnte uns wirklich gefallen.

Der Apennin fordert uns, der Apennin gefällt uns. Abgesehen von den wunderbaren Dörfern und Städten ist es vor allem die hügelige – nein, bergige – Landschaft, die uns für sich einnimmt. Wir fahren täglich viele Höhenmeter hinauf und hinunter, in grösster Hitze und immer mit genügend Wasser im Gepäck. Fahrradwege gibt es hier nicht, wir folgen den «kleinen Strassen» auf der Landkarte, manchmal sind es nur Feldwege, die uns dann trotz allem ans Ziel bringen. Es ist sehr untouristisch hier im Hinterland. Hier ist die Region, in der die Italiener selber gerne Urlaub machen.

Über Venosa und Caposele fahren wir durch die Basilikata und durch Kampanien bis nach Benevento. Viel Natur, viele Berge, Anstrengung und Entspannung wechseln sich ab. Die Beine sind müde, wir haben uns eine Pause verdient und verbringen 2 Nächte in einer WG am Stadtrand.

Auf unserem Stadtbummel fallen uns die vielen weissgekleideten Menschen auf, insbesondere Frauen, die sich in Schale geworfen haben. Warum, fragen wir uns, ist die Stadt voller weissgedeckter Tische. Warum nur sind alle in Festlaune? Für uns ist es das erste «Diner en blanc», das angeblich 1988 von Francois Pasquier in Paris im Bois de Boulogne «erfunden» wurde. Das ursprüngliche Diner en Blanc ist ohne jede Kommerzialität, Verpflichtend für alle Teilnehmer ist vollständig weiße Kleidung von Kopf bis Fuß. Selbst mitgebrachte Tische und Stühle werden zu langen Tafeln zusammengestellt, alle Teilnehmer bringen ein mehrgängiges kaltes Menu und Getränke mit. Und so erstrahlt die Stadt in weiss, wie in einem Bienenhaus summt und brummt es überall und wir lassen uns mitreissen.

Westlich des Appenin fahren wir nun durch das Latium, mit der Hauptstadt Rom am Tiber. Immer noch geht es bergauf und bergab, wir hangeln uns mit Freude von Cafè zu Cafè, in jedem noch so kleinen Dorf gibt es für uns – umgeben von zeitungslesenden Nonnos und wallenden Bardamen – einen Espresso, gerne auch mit einem Pasticchini, Dolce oder einer Brioche. Oft liegen die Dörfer und Städtchen zuoberst auf einem Hügel, mit Ausblick über fast das gesamte Latium. Es ist ein wundersames Bild, wenn wir einmal rund um uns herumblicken und aus der Ebene gleich mehrere Bilderbuchhügel hervorstechen, mit altertümlichen Ortschaften auf ihren Gipfeln. Immer wieder müssen wir den steilen Anstieg in den Ortskern auf uns nehmen, um dann auf der anderen Seite wieder hinunter zu fahren. Wie auf einer gekrümmten Kette aufgereiht befinden sich Kirchturm mit Häusern und oft auch Stadtmauer hoch oben entlang der einen verbindenden Strasse.

Wir lassen Rom – im wahrsten Sinne des Wortes – links liegen und erreichen am Abend unseren «Zielhügel», Poggio Mirteto. In der Albergo da Peppino finden wir ein sehr einfaches, preiswertes Zimmer. Wir freuen uns auf das abendliche Flanieren – la passegiata – im Ort. Es ist wirklich schön, ruhig, familiär. Jeder kennt jeden (nur uns kennt keiner), alle reden durcheinander, trinken einen Apero, knabbern einen Kleinigkeit. Jugendliche brausen mit dem Skateboard vorbei, kleinen Kinder quengeln für Eiscreme. Und plötzlich sind alle weg. Wir haben das gar nicht so recht mitbekommen, hatten uns begeistert den winzigen Altstadtkern angeschaut, und schon sind wir fast alleine in der Pizzeria. Für die Einwohner des Ortes war der Tagestratsch erzählt und verdaut. Nun konnten sie zu Hause in Ruhe zu Abend essen. Hier haben wir verstanden, wie die Passegiata vor dem Abendessen funktioniert. Ob es dann auch noch eine Passegiata nach dem Essen gibt, wissen wir nicht – wir haben geschlafen.

Es verschlägt uns nach Umbrien, nur kurz, aber wenn der Name Umbrien von «ombra» (= Schatten) kommen sollte, dann macht diese Region ihrem Namen alle Ehre. Es ist schattig in den Haselnusshainen, in den dichten Wäldern, und wunderschön durch diese bis fast nach Terni zu radeln. Auch hier verbringen wir 2 Nächte, haben wir doch ein tolles Apartement gefunden, in dem wir auch unsere Räder unterbringen können. Dazu noch wunderschönes Wetter und ein hübsches Städtchen, das v.a. am Abend zu Leben erweckt und uns ein wenig mitreisst in das dolce far niente.

Ausserdem müssen wir umplanen. Uns wird uns bewusst, dass wir unser Ziel – Firenze – zwar erreichen könnten, aber unsere Vorstellung, dass wir einigermassen vernünftig von dort mit dem Zug nach Aarau reisen könnten, war schlichtweg falsch. Rädertransport im Zug in Italien – es gibt wohl kaum etwas Schwierigeres. Ausser vielleicht: Rädertransport mit dem Flugzeug aus Italien in die Schweiz – mit der «Swiss» – wohlgemerkt.

Unsere Entscheidung ist gefallen, wir umrunden Rom im weiten Bogen, werden uns in Marta am Lago di Bolsena nochmal eine kleine Pause gönnen, dann in Civitavecchia ans Meer legen und vom Flughafen Fiumicino eben mit dem Flieger nach Hause reisen.

Der Regen in Marta – 2 Tage lang – gibt ein wenig unsere Stimmung wieder. Die Luft ist raus, Italien ist zwar weiterhin schön, aber irgendwie hinterlässt es einen faden Geschmack, dass wir unser gestecktes Ziel nicht erreichen. Ausserdem sind wir stundenlang mit der «Swiss» am Telefon. Wir haben 2 Räder, wir haben 2 Tickets für uns und unser aussergewöhnliches Gepäck angemeldet, es heisst – das passt schon. In Zürich hatten wir am Flughafen Velokartons gestellt bekommen, in Fiumicino, so heisst es, benötigen wir diese gar nicht, die Räder werden komplett, so wie sie sind, ins Flugzeug gerollt.

Im Flughafengebäude dann der Stress. Erst heisst es: stellt die Räder hier ab, wir kommen sie holen. Dann heisst es: so werden die nicht mitgenommen, wo sind Eure Kartons. Dann heisst es: auseinanderbauen (Pedalen ab, Lenker schräg), dann geht es doch. Und dann geht es eben doch nicht. Zu guter Letzt verpacken wir unsere Drahtesel mit so viel Plastikfolie, dass wir einen ganzen Ozean bedecken könnten und plötzlich geht es ganz schnell. Wir sitzen im Flieger und hoffen, dass nicht nur wir sondern auch die Räder den Flug so gut überstehen.

Unser Fazit:
Italien ist immer noch, immer wieder ein tolles Reiseland.
Italien besticht durch landschaftliche Schönheit, durch unkonventionelle Menschen, durch Herzlichkeit, Chaos und Lebensfreude. In Italien kann man viel erreichen und vieles auch nicht.
Italien, wir kommen wieder!