Südkorea 2. Teil

11.05.-20.05.2023

Gyeongju, Wolpo-Beach, Byeonggok, Uljin, Jangho, Donghae, Gangneung

„Just follow the green line!“ (folgt einfach der grünen Line) ruft uns enthusiastisch der koreanische Radfahrer zu – und zeigt auf den blauen Strich auf dem Asphalt. Ja, die gesamte East Coast Radroute ist über 300km so gut markiert, dass man sich kaum verfahren kann! Und schön ist es hier an der Küste. Steilküste wechselt sich mit feinem Sandstrand ab, die im Wasser verstreuten Steinbrocken sind teils mit gedrungenen Pinien bewachsen und wirken wie einer asiatischen Tuschezeichnung entsprungen.

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wer einmal Fährmann werden will...
 
 
 
am Leuchtturm in Sokcho, Ostküste
Sokcho
 
 
 
Naksan-sa Tempel
 
 
WC - Häuschen
 
 
 
verschiedene Beilagen - Kimchi
 
 
 
Fischmarkt
 
 
 
 
 
 
 
 
Olympiagelände im Gangneung
 
Reisfelder
 
Fahrradrevision in Samcheok
 
 
 
 
 
Werbetafel für den Haesindang-Penis-Park
 
WC - Häuschen
WC - Häuschen
Fotomontage im Olympia-Museum
 
WC - Häuschen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Blick nach Japan ...
 
 
 
WC - Häuschen
 
Dorfstrasse
 
WC - Häuschen
 
 
Algen zum Trocknen ausgebreitet
 
 
WC - Häuschen
 
 
 
Tintenfisch wird luftgetrocknet
 
Krabbenrestaurant
Algenfischer
 
 
 
 
 
 
 
Gimbap zum Mittagessen
 
 
unser Hotelzimmer in Wolpo-Beach
 
 
 
 
traditionell in Hanbok gekleidetes Paar
 
Hanbok-Kleider
WC - Häuschen
 
 
Tumuli - Grabhügel aus der Silla-Zeit; Gyeongju
Tumuli - Grabhügel aus der Silla-Zeit; Gyeongju
 
 
freiwillige Abfallsammlerinnen
Algensammlerinnen

 

Irgendwann hatten wir uns dagegen entschieden, ganz bis in den Süden zu fahren. In der südlichen Hafenstadt Busan werden wir vor der Überfahrt nach Japan sowieso noch 2 Tage verbringen. Spontan hatten wir Lust auf Kultur und diese findet sich – laut Reiseführer – in einer Kleinstadt namens Gyeongju, dem „Museum ohne Mauern“. Hier gibt es haufenweise Grabhügel aus der Silla-Zeit, wohl so aus dem 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Hübsch sind sie anzusehen, erinnern in ihrem weichen Schwung oft an weibliche Rundungen, werden gehegt und gepflegt, bestaunt und fotografiert, ein nationales Kulturerbe. Gleich daneben gibt es alles das, was ein Touristenherz – neben Kultur – noch so alles begehrt. Wir trinken einen Kaffee im Cafe Portuguès, dazu gibt es ein richtig gutes Pastéis de Belém. Ein paar Schritte weiter kaufen wir uns ein Gyeongju-Brot, das eigentlich eine süsse Waffel gefüllt mit herzhaft salzigem Käse (!) ist, in der Form einer 10-Won-Münze. Erstaunlich lecker!

Grossartig ist es, am nächsten Tag in der Abendstimmung nach einer anstrengenden Fahrt das Meer zu erreichen! Jedoch hatten wir uns von einem Badeort etwas mehr als nur Meer erwartet. Unsere einfache Pension (und hier gibt es nur einfache Pensionen) bietet uns ein geräumiges Zimmer mit Kühlschrank, Spülbecken, Geschirr, 4 Decken und 2 Kopfkissen. Sonst nichts! Kein Tisch, kein Bett, einfach ein leeres Zimmer. Normaler koreanischer Standard – mit Bodenheizung, damit man in der Nacht nicht friert. Heute kommen also unsere Komfort-Isomatten zum ersten Mal zum Einsatz! Und dann geht die Suche los, wir haben Hunger; seit dem Frühstück – Pfannkuchen mit Frühlingszwiebeln vom lokalen Markt und frittierte lange Peperoni, frittierte Süsskartoffeln, frittierte Algenrollen – haben wir nur noch Müsliriegel gegessen. Wir finden kein einladendes Restaurant, dafür aber einen CU (Convenient Store) wo wir uns Fertigsuppen kaufen, die wir auf der Terrasse unserer Pension essen. Immer noch besser als die Algen, die die Mutter unserer Vermieterin mit dem Gartenschlauch auf dem Betonboden der Einfahrt reinigt.

„Hey Guys!“ – zum dritten Mal seit wir an der Ostküste sind treffen wir Karin und Dave, zwei Amerikaner die mehr oder weniger die gleiche Route fahren und mehr oder weniger das gleiche Tempo an den Tag legen. Es ist schön, sich auszutauschen, gemeinsam im CU einzukaufen und einen Schwatz zu halten. Karin macht gerade eine Auszeit und hat kein Zeitlimit, nimmt demnächst irgendwann auch die Fähre nach Japan um Freunde zu besuchen; Dave’s Frau hatte keine Lust aufs Radfahren, er kehrt nach ein paar Wochen zurück nach Honolulu. Vorher aber geht’s für die beiden noch auf die Insel Ulleongdo – und somit müssen wir uns auch schon wieder verabschieden.

Und so sitzen wir ein paar Stunden später in der sonntäglichen Mittagshitze und vor dem nächsten Anstieg im Schatten einer Bushaltestelle. Die Luft flirrt, das Meer schwappt ruhig und träge auf den gelben Sand, die wenige Felsen im Wasser schlafen vor sich hin und ab und zu kreischt eine Möwe. In den vereinzelten Fischerhütten hinter uns regt sich niemand, es verirrt sich kaum ein Auto auf diese Strasse. Idyllisch könnte es sein. Jedoch ist uns ganz und gar nicht schwärmerisch zu Mute. Roman hält seinen Sattel lose in der Hand, die Schraube ist gebrochen und wir haben keine Idee, wie wir von diesem verschlafenen Ort zur nächsten Fahrradwerkstatt kommen. Es macht sich ein Anflug von Verzweiflung bei uns breit. – Ein etwas nervöser Herr in Anzug hat uns bemerkt, sieht unser Problem und winkt uns, mitzukommen. Nach wenigen Schritten öffnet er die Tür zu einem grossen Container – und wir stehen mitten im Handwerkerparadies: Schraubbohrer, Schleifmaschinen, Sägen, Hacken, Nägel – und Schrauben, in allen Grössen. Kaum 5 Minuten, nachdem wir ins Selbstmitleid versinken wollten, ist der Sattel gut fixiert, und weiter geht’s, die nächsten 100 Höhenmeter in Angriff nehmend.

Schon am Vortag haben wir frustriert in einer Bushaltestelle gesessen und eine Entscheidung treffen müssen. Kurz vor dem Eindunkeln ist uns bewusst geworden, dass wir uns grob – sehr grob – verschätzt hatten bei der Hotelwahl. Die nächsten 50 (!) km schaffen wir nicht mehr und in diesem abgehalfterten Touristenort sagen sich Fuchs und Hase – oder vielleicht eher Flunder und Krabbe – gute Nacht. Aber manchmal braucht man halt auch ein wenig Glück. Das rote moderne Gebäude liegt ein wenig oberhalb des Halbmondstrandes in Byeonggok und ist gross mit „Pension &“ angeschrieben. Uns ist egal, was hinter dem „&“ stehen sollte. Die Zimmer sind gross, modern eingerichtet, das Bett bequem und die Stimmung steigt wieder, heute, an unserem Hochszeitstag.

Alles in allem war es ja auch ein ereignisreicher Tag heute, seit wir nach Überquerung der Brücke dieser tausendfach überlebensgrossen SnowCrab begegneten. Entlang der gesamten Küste passierten wir abwechseln furchtbar langweilige und vorsaisonal verschlafene Touristenorte, schöne einsame Küstenstrassen und Fischermärkte mit dem Fang der letzten Tage von dem wir uns nicht vorstellen können, wer das denn alles essen soll. Krabben türmen sich in Aquarien, Muscheln in riesigen Plastikschüsseln, Fische drängen sich in engen Containern dicht and dicht und anderes Getier, das wir nicht identifizieren können dreht und bewegt sich und blubbert die eine oder Luftblase an die Oberfläche. Die Algenfischerinnen trocknen ihr breite plumpe Ernte auf gespannten Netzen, Fischersfrauen spannen Rochen und Tintenfische auf, hängen sie wie frisch gewaschene Wäsche fein säuberlich und hübsch anzusehen auf Leinen entlang der Strasse. Die Eindrücke prasseln nur so auf uns ein, wir kommen kaum vorwärts, zücken immer wieder die Kamera und kommen aus dem Staunen nicht heraus.

Klar also, dass auch wir einmal in ein Fischrestaurant einkehren. Die junge Familie macht es uns vor, alle ziehen ihre Schuhe im Eingangsbereich aus und so läuft Roman mit den ihm angebotenen Teddybärslippers und ich mit Blümchenslippers zum Tisch. Was gibt es denn hier so? Die Entscheidung ist nicht ganz einfach, am Schluss nehme ich Mulhoe und Roman Bibimbap – mit Seescheide. Mulhoe ist eine kalte Suppe mit rohem Fisch und Birnensaft, dazu viele Gemüse. Und Seescheide ist … Seescheide halt. So viel zu unserer Erfahrung im lokalen Fischrestaurant, heute Abend gibt es eine Tütensuppe!

Aber nun zurück zum Sattel, der notdürftig geflickt und mehr oder weniger stabil dem Fahrradrahmen treu geblieben ist. Wir brauchen eine Fahrradwerkstatt, und zwar am Besten sofort. In Uljin gibt es so etwas – trotz ausgebauter Fahrradwege in Südkorea keine Selbstverständlichkeit. Gegenüber der Grundschule stellen wir also unsere Räder ab, der Werkstattbesitzer grunzt ein kurzes „annyeonghaseyo“ (guten Tag) was er aber offensichtlich nicht ernst meint. Ein Blick auf den Sattel, ein Blick auf die Schraube, ein kurzes Kopfschütteln und schon hat er sich wieder weggedreht, dem staubig-öligen rosa Klapprad zugewendet und zieht dort eine neue Speiche ein, redet kein Wort mehr mit uns. Einerseits fühlen wir uns komplett vor den Kopf gestossen – und andererseits sind wir fast schon freudig-erstaunt: wir haben ihn gefunden, den unhöflichen, kratzbürstigen, grenzwertig bösen Koreaner. Ein Unikum, der erste und bisher einzige, der uns über den Weg gelaufen ist. Sein Berufskollege in Samcheok hingegen ist ein bärig-freundlicher Profi, der uns ausserdem noch die abgeschliffenen Bremsklötze im Handumdrehen ersetzt, und ganz in gewohnter koreanischer Manier unseren Rädern etwas Wasser gönnt und dadurch neuen Glanz verleiht. Den Sattel hatten wir übrigens vorher schon selber, mit neuen Schrauben und einem 13-Schraubschlüssel aus dem Baumarkt anständig fixiert.

Wir schleppen uns ein wenig ab, an dieser Küstenstrasse mit all dem Gepäck; es geht langsam vorwärts. Die Steigungen sind für uns manches mal nicht zu bezwingen und reichen von 5.9% (so genau wollten wir es nicht wissen…) bis 7%, 10% und zwischendurch sicher noch mehr. Die Räder sind schwer und wir schieben immer wieder mal mein Rad zu zweit den Berg hinauf. Unser Gepäck setzt sich aus vielen erprobten Gegenständen zusammen und dazu gehören auch Zelt, Schlafsäcke, Isomatten, Kochgeschirr etc. – also alles, was man so fürs Camping braucht. Nun ist das aber so eine Sache – einen guten Campingführer für Südkorea haben wir nicht gefunden, wir könnten „auf gut Glück“ immer wieder mal gegen Ende des Tages auf die Suche gehen nach hölzernen Plattformen in Strandnähe, aber wir haben auch schon zu viele Plätze gesehen, auf denen wir lieber nicht übernachten wollen. Nun aber steht die Entscheidung, wir wollen zelten – komme was wolle. Und wir finden ihn, DEN Campingplatz: klein, fein, an einer hübschen Bucht ohne Schnellstrasse im Rücken – und voller südkoreanischer Glamper. Ja, richtig, glamping heisst das, was hierzulande „in“ ist. Man bringt sein Zelt mit Isomatte und Schlafsack – so wie wir – aber dazu noch: Campingstühle, Grill, Abstelltischchen, elektrische Leuchtgirlanden und alles und mehr als der Magen begehrt. Während es also hinter uns brutzelt und dampft und mampft sitzen wir am Strand und geniessen ein sehr einfaches aber sättigendes kaltes Abendessen als sich eine junge Glamperin zu uns gesellt, uns Reiswein anbietet. Interessant, wie sie ihr Land sieht, wie sie ihre Erfahrungen aus dem Ausland – Kanada und Australien – mit uns teilt.

Wir radeln weiter, am nächsten Tag, und die Küstenstrasse gibt ihr Bestes, was Steigungen angeht. Wir radeln vorbei an wunderschönen leeren Sandstränden ohne Sonnenanbeter, niemand schwimmt im klaren Wasser. Wir radeln vorbei an riesigen Industrieanlagen, die kein Ende nehmen wollen und wir radeln vorbei an Stacheldraht, der je nördlicher desto mehr zusammen mit Wachtürmen die Strasse vom Wasser trennt. Nordkorea ist nicht weit und wenn man sich anstrengt kann man (fast) bis nach Japan hinübersehen, beides nicht gerade Freunde unseres Gastgeberlandes. Wir radeln vorbei an WC – Häuschen in allen Variationen und in den verlorensten Ecken des Landes, und vorbei an Cafes die an den belebteren Orten zuhauf zu finden sind. An manchen Stellen, oft dort wo die Algenfischerinnen reiche Beute machen, erkennt man klar, dass dieses Land durch seismische Aktivität aufgetürmt ist; schräg ziehen sich die Gesteinsschichten als Bänder durch die Felsen. Und so sind wir nicht verwundert, als wir eines morgens im Hotel Berichte eines Erdbebens der Stärke 4.6  im Meer ganz in der Nähe hören. Gespürt haben wir nichts und – nein, sagt die Hotelangestellte – ein Tsunamiwarnung gebe es auch nicht. Aber die wiederkehrenden Warntafeln schaue ich mir nun doch immer wieder genauer an.

Ganz bis an die Demilitarisierte Zone 2km südlich des 38. Breitengrades haben wir es nicht geschafft. Wir machen unseren letzten Halt an der Ostküste in Sokcho, das im Reiseführer als „fast ein kleines Fischerdorf“ beschrieben wird und sich uns als moderne Grossstadt präsentiert. Wir geniessen diesen Vorgeschmack auf Seoul, auf das bunte Leben und Treiben. Und als die Räder endlich im Express-Bus verstaut sind verabschieden wir uns in Gedanken für die nächsten 10 Tage vom Radfahren und begrüssen die Veränderung, die eine Städtereise für uns bringen wird.