Montenegro

22.07.-02.08.2014, Podgorica – Shkoder (Albanien) – Bar – Virpazar – Cetinje – Danilovgrad – Niksic – Perast – Herceg Novi

Täglich tausend Höhenmeter!
Podgorica empfängt uns mitten in der Nacht ruhig und gemütlich. Wir landen in einem der besseren Hotels am Platz und fühlen uns so wohl, dass wir spontan eine zweite Nacht bleiben – um uns ein wenig zu erholen, und um die Hauptstadt dieses bergigen Landes kennen zu lernen. Podgorica zeigt sich uns von genau der Seite, wie es von den Montenegrinern genannt wird: als grosses Dorf. Wir spazieren durch die Altstadt, wir gehen über die ca. 1km lange Fussgängerzone und wir schauen uns aus der Entfernung die Millenium-Brücke an. Wir wundern uns über den kleinen Stadtstrand ohne Infrastruktur und über die kleinen Bar’s und Cafés, die so überhaupt nicht grossstädtisch – oder „hauptstädtisch“ wirken.

 

Wir haben nun auch Zeit, unsere Reise durch Montenegro detaillierter zu planen und entscheiden uns, einen kurzen Abstecher über Albanien zu machen. Der Skutari-See (oder Shkoder jezero, nach der albanischen Stadt am anderen Seeufer benannt) ist riesig gross und ein bedeutendes Naturschutzreservat. Aus Podgorica kommend meiden wir die Hauptstrasse zur albanischen Grenze und gelangen über kleine Hügel mit saftigen Steigungen wieder hinunter ins Tal, zum See. Erstaunlich, was uns auf der anderen Seite der Grenze erwartet: eine breite und gute Hauptstrasse, nur wenig befahren; viele gemütliche Cafés und Restaurants und neue, moderne Häuser soweit das Auge reicht. Vereinzelte Zeugen der Paranoia Enver Hoxas lockern das Bild auf. Der ehemalige Präsident Albaniens liess vor vielen Jahren ca. 700‘000 Zwei-Mann-Bunker im Land verteilt bauen, aus Angst vor Angriffen aus dem feindlichen Ausland. Wir sind nur 24h in Albanien, wir können über das Land keinerlei generelle Aussage machen. Aber was wir sehen, gefällt uns. Auch der Campingplatz, der seine Stellung direkt nach dem Zeltplatz in Alexandroupolis (GR) einnehmen kann. Klein und fein, Restaurant, Steg mit Bademöglichkeit ins Wasser und vor allem …. ruhig und sauber!
Unterwegs treffen wir noch auf 2 Serben, die per Rad in Montenegro unterwegs sind, zwei lustige Burschen, voller Elan und Entdeckerlust. Sie drehen von jeder ihrer Radtouren Videos – und so sind wir nun auch auf youtube zu finden (https://www.youtube.com/watch?v=HVvHUFQvSZI Roman und ich sind nach genau 17 Minuten in Aktion)

Sie berichten begeistert von Shkoder – wo wir am folgenden Tag eintreffen und ebenfalls positiv überrascht sind. Die Hauptstrasse führt quer durch die Stadt, hohe Platanen bieten den vielen Cafés Schatten, es ist ein geschäftiges Treiben in jeder Gasse, wir haben das Gefühl durch einen grossen Basar zu fahren. Nach einem Kaffee aber fahren wir weiter, heute wollen wir zurück nach Montenegro, hinunter zur Küste, von der alle schwärmen. Und so passieren wir schon wieder eine Grenze, und entscheiden uns für die Hauptstrasse über Ulcinj entlang der Küste nach Bar.

Immer diese Entscheidungen.
Oft weiss man erst im Nachhinein, was besser gewesen wäre. Bis Ulcinj ist alles gut. Ab dort jedoch beginnt die Hauptreisezeit-Hauptverkehrsroute. Wir teilen uns erneut die Strasse mit tosendem Verkehr, es geht viele Höhenmeter hinauf – und wieder hinunter – wir fahren durch Tunnel und ohne Seitenstreifen und sind nach ein paar Stunden mit den Nerven am Ende, biegen nach Bar ab, nehmen die letzte Steigung bis zur Altstadt und haben jeder für sich schon die Entscheidung für den kommenden Tag getroffen. Morgen geht es auf Nebenstrassen durch die Berge.
Stari-Bar, die Alte Stadt Bar, ist ein Freilichtmuseum. Den Eintrittspreis haben wir aber gerne bezahlt, ist die Burg, die Stadt doch wirklich gut restauriert. Wir sehen den alten Aquädukt, wir finden Spuren der Erdbeben – Risse im dicken Gemäuer – , wir laufen durch eine alte Klosteranlage und vorbei an den Grundmauern ehemaliger Wohnhäuser. Der Blick von hier oben ist fantastisch, nach hinten zu den steil aufragenden Bergen und über Bar, hinunter zum Meer – wo leider aber die Schiffe im Frachthafen den Blick ein wenig trüben.

Während unserer knapp 2 Wochen Montenegro haben wir nur 2x gezeltet. Einmal in Albanien (also noch nicht einmal im eigentlichen Reiseland) und einmal auf einem Pass zwischen Niksic und Perast. Hier in Stari Bar haben wir per Zufall eine Unterkunft gefunden, die eigentlich das Hinterzimmer zu einem kleinen „Hobby-Barbershop“ ist. So stehen unsere Räder, vor Diebstahl geschützt, neben Rasierpinsel und Haarschere.

Am Abend des folgenden Tages sind wir nicht mehr ganz so sicher, was die bessere Entscheidung ist: den Hauptstrassen und dem Hauptreiseverkehr folgen – oder quer durch die Berge auf Nebenstrassen Blut und Wasser schwitzen. Wir geniessen es, einfach drauflos fahren zu können, ohne (allzugrosse) Rücksicht auf den vierrädrig-motorisierten Verkehr. Wir geniessen es, auf halber Strecke in einem schattigen Berglokal etwas zu trinken und auszuruhen und ja, wir geniessen es auch – als wir endlich den letzten der antizipierten Pässe erreicht haben – unsere Blache im Schatten auszubreiten, Brot und Käse zu essen und ein wenig zu schlafen. Und natürlich geniessen wir die Abfahrten. Aber am Abend, in Virpazar am anderen Ende des Skutari-Sees sind wir nach nur knapp über 30km und über 1000Höhenmetern doch ziemlich kaputt.

Täglich tausend Höhenmeter.
Unter diesem Motto geht es auch am folgenden Tag weiter. Die Strasse ist gelb, mit grünem Rand – auf unserer Strassenkarte. Das bedeutet: landschaftlich schöne Nebenstrasse. Und das stimmt. Wir fahren von 0müM auf ca. 400müM hinauf. Dann geht es wieder hinunter auf 0müM, nach Rijeka Crnojevica zu einem Zufluss des Skutari-Sees, der uns nun schon tagelang begleitet. Und wieder hoch, nach Cetinje auf 700müM.
Cetinje ist die alte Hauptstadt Montenegros. Davon zeugen noch die vielen umfunktionierten Botschaftsgebäude und das erste Theater Montenegros. Cetinje ist ein verschlafenes Nest, aber wir treffen doch auf einige Touristen. Die meisten nutzen den Schlecht-Wetter-Tag für einen Abstecher von der Küste ins Landesinnere. Cetinje ist auch Verkehrsknotenpunkt zwischen der Hauptstadt und Budva an der Küste. So werden wir – trotz schweisstreibendem Anstieg im Gebirge – auf den letzten 6km „Magistrale“ wieder in unserer Entscheidung bestärkt. Wir fahren lieber 20km mehr und 400 Höhenmeter mehr als 5km auf den verkehrsreichen und für Radfahrer ungeeigneten Hauptstrassen. Die Tunnel sind unbeleuchtet und hochgefährlich für uns bei blendendem Gegenverkehr oder Überholmanövern durch einen LKW.

Täglich tausend Höhenmeter.
Wir fahren wieder hinunter in das beschauliche und unverständliche Touristennest Rijeka Crnojevica. Und wir können es kaum glauben, dass wir gestern diese Strecke, diese 700 Höhenmeter zwar mit Zähneknirschen und Muskelschmerzen, aber doch relativ gut geschafft haben. Wir wundern uns immer wieder über unsere Ausdauer, über das, was unser Körper kann. Waren wir noch in Kirgistan mit einigem Winterspeck bewaffnet, so sehen wir nun Muskeln, von denen wir gar nicht wussten, dass sie bei uns existieren. Wir haben uns umgestellt, wir wachen nachts nicht mehr mit einem „Bärenhunger“ auf und sobald die Steigung weniger als 3% bergauf beträgt fahren wir locker-flockig und rasant-schnell.

Wie so viele Dörfer im schwach besiedelten Montenegro besteht auch Rijeka Crnojevica aus einer Handvoll Häuser. Einzig der malerische Zufluss und die Nähe zum Skutari-See machen aus diesem Ort ein Ausflugsziel. Also gibt es drei Cafés hier, zwei Wohnblocks, ein paar reparaturbedürftige Steinhäuser. Sonst nichts. Der einzige Laden, in dem wir verzweifelt versuchten, unser Mittagessen zusammen zu stellen, ist ein Trauerspiel. Blinde Fenster, eine Kühltheke mit zertrümmerter Scheibe – die Glassplitter liegen immer noch darin, neben einer nachlässig drapierten Dose „Pastete“ und einer Packung Schmelzkäse. Es gibt frisches Brot – aber das ist um 11:00Uhr morgens schon das Letzte und gehört eigentlich der Verkäuferin. Sie teilt es mit uns, wofür wir sehr dankbar sind.
Die Läden links und rechts sind schon lange geschlossen, mit eingeschlagenen Scheiben und einem Riesenchaos auf dem Boden und in den staubigen Regalen.

Die anderen Dörfer Montenegros, an denen wir vorbei oder hindurch fahren, sind häufig durchwachsen mit leerstehenden, dachlosen Steinhäusern, mit einzelnen Bauernhöfen und noch selteneren Neubauten. Meist ist einfach gar nichts los, es sei denn eine Kuh verirrt sich auf der Strasse. Wir haben schnell gelernt, dass wir auf unserer Tour über die Nebenstrassen immer genügend Wasser und Getränke dabei haben müssen – vor allem dann, wenn wir planen zu zelten.

Anhand der uns vorliegenden Strassenkarte (Massstab 1:150‘000) fällt es manchmal schwer, die richtige Entscheidung zu treffen. So kann es passieren, dass wir auf der „weissen“ Strasse im Zeta-Tal in den Genuss einer neu asphaltierten Strecke kommen. Die „weisse“ Strasse kurz hinter Niksic endet in einem unbefahrbaren steilen und holprigen Steinweg. Und die „weisse“ Strasse vom Hochplateau hinunter in die Bucht von Kotor ist einfach eine Wucht.
Montenegro ist landschaftlich immer wieder für eine Überraschung gut und die schönsten Überraschungen erleben wir, häufig, nachdem wir uns fluchend schon wieder tausend Meter in die Höhe gequält haben.

Wir wollten die Berge umgehen und sind aus dem Kosovo mit dem Bus angereist. Wir haben nur ca. 1/3 des Landes „erfahren“, das aber dafür umso intensiver und im „Zick-Zack-Kurs“. Wir haben Berge bestaunt und in Schluchten geschaut, wir haben den Skutari-See umrundet und den Stausee bei Niksic, wir haben Hochtäler durchquert und die Küste gesehen. Und dann sind wir von 1000müM in 30min hinunter gefahren zur Bucht von Kotor. Sie liegt „wie eingemeisselt in die herzegowinischen und montenegrinischen Berge“. Sie ist mehrbuchtig und unüberschaubar gross, fast schon wie ein Fjord. Und sie befindet sich unter den 10 schönsten Landschaften, die wir auf unserer Reise gesehen haben.

Hier in der Bucht von Kotor erleben wir das wildeste Gewitter auf unserer Reise. Von den knapp tausend Meter hohen Bergen, die die gesamte Bucht umgeben, hallt stundenlang – fast die ganze Nacht hindurch – der Donner, hin und her. Blitze erhellen das, was man durch die Wassermassen noch vom Meer sehen kann, die Lichter in der Stadt flackern und das Internet fällt aus. Auch am nächsten Morgen noch regnet es in Strömen. Wir ziehen uns an, nehmen unsere Regenjacken mit – und werden vor der Türe von schönstem Sonnenschein empfangen.
In Montenegro hat es viel geregnet, wir sind immer wieder von kleinen oder grösseren Schauern überrascht worden, wir haben in Cetinje den Nachmittag im Zimmer verbringen müssen und haben häufig nicht gezeltet, weil die Wolken sich am Himmel aufgetürmten.

Zimmer und Hotels gibt es leider nicht „wie Sand am Meer“, und vor allem Hotels sind relativ teuer. Alles – auch Restaurant-Besuche und Lebensmittel – ist sicher einmal 1/3 teurer als in Mazedonien. Was uns sehr wundert, denn die Löhne sind immer noch bescheiden. Unsere Hotelrezeptionistin verdient 400Euro im Monat, ihr Mann – er ist selbständig – zwischen 500 und 1000 Euro im Monat. Diese beiden Gehälter reichen nur knapp für eine 4 köpfige Familie, und nur deshalb, weil sie im eigenen Haus mietfrei wohnen können. Dennoch, so erzählt sie uns, findet „der Montenegriner“ immer noch irgendwo einen Euro, um gemütlich mit einer Zeitung in der Hand im Café ein Getränk zu geniessen. Dafür seien sie bekannt, die Montenegriner.
Uns sind die Menschen in diesem Land sehr sympathisch. Sie sind bodenständig, freundlich aber nicht überschwänglich; sie sind arbeitsam ohne gestresst zu sein, sie finden immer wieder auch ein paar Minuten um ein Schwätzchen zu halten.
Es sind die Menschen, die es geschafft haben, sich in einem günstigen Moment von Serbien unabhängig zu machen. Zu einem Zeitpunkt, als den Serben die Hände gebunden waren und sie sich keine Kriegshandlungen in diesem Gebiet leisten konnten, haben die Montenegriner sich per demokratischer Wahl und ohne Blutvergiessen losgesagt vom „grossen Bruder“.

Was bleibt uns von Montenegro in Erinnerung? Sicher einmal Seen und Meer, die hohen Berge, die wunderschöne und schwach besiedelte Landschaft. Uns bleiben die stark befahrenen „Magistrale“ in Erinnerung und die schönen „weissen“ Nebenstrassen, gesäumt von wild wachsenden – wuchernden – Granatapfelsträuchern. Uns bleiben die Düfte des Landes in Erinnerung. Seien es Blumen oder reife Früchte, sommerregennasse Strasse – oder, sehr unschön, der Geruch verwesender Kadaver am Strassenrand. Seien es die heissen, trockenen Pinienwälder, oder der feuchte, erdige Geruch im Mischwald nahe eines Baches. Oder sei es der Duft eines starken Espresso macchiato, unseres liebsten Getränkes in Montenegro!